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Guatemala |

"Wir sind an den mächtigen Parallelstrukturen gescheitert, die heute wieder die Macht in Guatemala haben"

Miguel Ángel Gálvez ist einer der prominentesten Richter Guatemalas - und auf der Flucht. Wie so viele seiner ehemaligen Kollegen: Drei Dutzend Richterinnen, Staatsanwälte und Ermittlerinnen sind aus Guatemala geflüchtet - das Gros in die USA. Gálvez kam nach Deutschland. Blickpunkt Lateinamerika hat mit dem 64-Jährigen über den Roll-Back in Guatemalas Justizsystem gesprochen.

Herr Gálvez, seit Mitte November leben Sie im Exil. Erst in Deutschland, zwischenzeitlich waren sie in Costa Rica, um Ihre Situation den Kollegen am Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte zu schildern. Nun sind Sie wieder in Deutschland – wie geht es weiter?

Die Frage würde ich sehr gerne beantworten, aber ich kann es nicht. Derzeit suche in nach einer Option, um außerhalb von Guatemala arbeiten zu können. Als Richter könnte das schwierig werden, aber an einer juristischen Fakultät einer Universität, an einem Forschungsprojekt, bei einer Stiftung könnte das schon eher klappen. Ich habe in 23 Jahren als Richter vieles gelernt, was auch für andere Länder von Interesse sein könnte und mir würde es gut gefallen in die Forschung zu gehen und meine Erfahrungen im Kontext der organisierten Kriminalität, der Korruption und der Übergangsjustiz in Guatemala niederzuschreiben. 

Was sind die Gründe für Ihre Flucht aus Guatemala? Sie sind ein international bekannter Richter – zuletzt an einem der höchsten Gerichte Guatemalas, am Tribunal B für Kapitaldelikte, im Einsatz. Eigentlich genießen Sie Immunität.

Als Richter bin ich immer wieder bedroht worden, weil ich in wichtigen Fällen Urteile fällen musste. Deshalb habe ich über 22 Jahre, seit dem Jahr 2000, spezifische Sicherheitsstandards erhalten, stand unter dem Schutz von Leibwächtern und hatte seit 2015 auch eine gepanzerte Limousine zur Verfügung. Doch im Laufe des Jahres 2022 kamen die Analysten zu dem Urteil, dass mein Leben gefährdet sei und ein Attentat wahrscheinlich.

Haben Sie eine Vermutung, wer Interesse haben könnte, dass Sie das Land verlassen?

Ja. Guatemala ist ein von einem Bürgerkrieg (1960-1996) geprägtes Land. Der Krieg hatte nicht nur für die indigene Bevölkerung traumatischen Charakter. Das 1996 ausgehandelte Friedensabkommen mit zwölf Kapiteln sah eine Übergangszeit von zwölf bis vierzehn Jahren vor und die Vereinten Nationen gehörten zu den Garantie-Mächten dahinter. Das schlug sich auch in der UN-Friedensmission, der Verifikationsmission der Vereinten Nationen in Guatemala (Minugua) nieder, die 1994 ihre Arbeit aufnahm. Damals tauchten die ersten Indizien auf, später Beweise für die Existenz illegaler Korps und geheimer Sicherheitsapparate (CIACS). Die CIACS hatten ihre Wiege in den Strukturen des militärischen Geheimdienstes, sie sollten eine soziale Kontrolle ausüben, die Zivilgesellschaft in den Fokus nehmen und sie hatten die Unterstützung der politischen und wirtschaftlichen Eliten des Landes. So entstand eine repressive Parallelstruktur, die ausradiert werden sollte – so sahen es zumindest die verbalen Versprechen der Regierung vor und dafür wurde unter anderem die UN-Kommission gegen Straflosigkeit (CICIG) gegründet. 

Ist das in dem Abkommen zwischen den Vereinten Nationen und der guatemaltekischen Regierung so fixiert?

Ja, definitiv. Für diesen Auftrag musste die CICIG erst einmal Strukturen aufbauen: drei neue Gerichtshöfe für Kapitaldelikte entstanden, Gesetze wurden modifiziert, Institutionen gestärkt, ein Abhörzentrum eingerichtet. Das waren die Grundlagen, um den Auftrag erfüllen zu können, hinzu kam die enge Zusammenarbeit mit der guatemaltekischen Generalstaatsanwaltschaft, dem Ministerio Público. Dafür wurde als Verbindungsglied zur CICIG die FECI, die Spezielle Staatsanwaltschaft gegen die Straflosigkeit gegründet, die lange von Francisco Sandoval geleitet wurde, der im Juli 2021 das Land fluchtartig verlassen musste.

Weil gegen ihn Ermittlungen eingeleitet wurden, genauso wie später gegen Sie und andere Richterinnen und Richter. Hat das Strategie?

Ja, leider, denn ermittelt wurde gegen das Justizpersonal, welches besonders unbequem war und Ermittlungen oder Prozesse führte, die den Interessen der  ökonomischen, politischen und militärischen Elite des Landes zu widerliefen. Es ging um die großen Korruptionsprozesse wie La Línea (2015 hatten die Ermittlungen wegen Korruption zum Rücktritt von Ex-Präsident Otto Pérez Molina geführt), die Prozesse im Kontext des Bürgerkriegs wie den Genozidprozess gegen Efráin Ríos Montt, den Sepur Zarco–Prozess gegen die sexuelle Versklavung indigener Frauen oder zuletzt den Diario Militar-Prozess.

Als „Diario Militar“, militärisches Tagebuch, wird die Sammlung von ursprünglich 53, später 74 maschinenbeschriebenen Karteikarten bezeichnet, auf denen die Daten von 183 später 195 Personen aufgeführt waren, die von geheimen militärischen Todeskommandos zum Verschwinden gebracht wurden. Sind dafür die geheimen militärischen Parallelstrukturen verantwortlich?

Ja, so kann man das sagen und die Ermittlungen haben diese geheimen Seilschaften letztlich aufgeweckt, sie haben sich verständigt und Gegenmaßnahmen durchgeführt, die letztlich im September 2019 zum Abzug der UN-Kommission gegen Straflosigkeit (CICIG) führten und danach zu einem beispiellosen Roll Back im Justizsystem. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der FECI, der Staatsanwaltschaft gegen die Straflosigkeit, haben nahezu ausnahmslos Guatemala verlassen, weil sie nicht wie ihre Kollegin Virginia Laparra unter fragwürdigen Vorwürfen in Haft landen wollten. Das ist das Panorama Guatemalas und wir sind im Jahr 2023 wieder dort angekommen, wo wir 1996 die Arbeit zum Aufbau einer unabhängigen Justiz aufgenommen haben. Wir sind an den geheimen, mächtigen Parallelstrukturen gescheitert, die heute wieder die Macht in Guatemala inne haben und die wohl auch hinter den Morddrohungen gegen mich stecken.  

Gibt es einen Wendepunkt, an dem diese Strukturen wieder aktiv wurden?

Ein konkretes Datum ist schwierig zu nennen. Unstrittig ist, dass unter Jimmy Morales die Angriffe gegen die CICIG begannen und die Neubesetzung von Schlüsselpositionen – das war 2017. 

Hat es und gibt es heute zu wenig internationale Aufmerksamkeit und Unterstützung von Seiten der USA und auch der Europäischen Union?

Ja, ohne Zweifel. Heute sind die USA und die EU vor allem mit dem Krieg in der Ukraine beschäftigt. Der Blick nach Guatemala, wo im Juni Präsidentschaftswahlen anstehen, kommt zu kurz.

Das Interview führte Knut Henkel

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