Volk der Selk’nam: Wir existieren weiter
Chiles Abgeordnetenkammer hat den Genozid an den Indigenen anerkannt. Diese empören sich aber darüber, dass ihr Volk als nicht mehr existent angesehen werde und wenden sich daher an die Vereinten Nationen.
Im Jahr 2016 hatten Historiker und andere Intellektuelle in einem offenen Brief gefordert, der chilenische Staat solle endlich den Völkermord an den Selk’nam offiziell anerkennen. Die Abgeordnetenkammer hat dem Gesetz nun zugestimmt, nun wird sich der Senat damit befassen. Chile und Argentinien hatten 1885 mit der Besiedlung Feuerlands begonnen, Viehzüchter erhielten Konzessionen. Wie schon die spanischen Kolonialherren leugneten die beiden Staaten eine Souveränität der Selk’nam. Deutsches und britisches Kapital flossen in die Schafzucht. Die Indigenen leisteten Widerstand und zerstörten Zäune, die ihr angestammtes Land mehr und mehr zerschnitten. Bewaffnete machten Jagd auf die Selk’nam. Die Vorkommnisse, Morde und Deportationen sind umfangreich dokumentiert.
Chiles Ex-Präsidentin Hoffnungsträgerin?
Trotz der absehbaren Anerkennung des Genozids an den Selk’nam und den Aónikenk (auch Tehuelche genannt) herrscht in Chiles Region Magallanes keine Zufriedenheit. Indigenen-Organisationen prangern an, dass die Existenz der Selk’nam bestritten werde. 200 Personen lebten in der Gemeinde Covadonga Ona, sie stammten von den wenigen Überlebenden des Genozids Ende des 19. Jahrhunderts ab. Paradoxerweise erhalten die Indigenen Einladungen zu staatlichen Terminen, obwohl Chile leugnet, dass es die Selk’nam noch als Volk gebe. Der Verband Corporación Pueblo Selk’nam Chile wendet sich daher an internationale Organisationen, vor allem an die Hohe Kommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte, damit das umgestrittene Gesetzesprojekt noch aufgehalten wird. Das Amt bekleidet seit 2018 Chiles Ex-Präsidentin Michelle Bachelet. Ebenfalls angerufen wurde die UN-Sonderberichterstatterin für die Rechte der indigenen Völker, Victoria Tauli-Corpuz.
Alles nur ein Missverständnis?
Gabriel Boric (Frente Amplio), Abgeordneter der Region Magallanes, stimmte für das Gesetzesvorhaben. Er glaubt an ein Missverständnis. Das Eingeständnis eines Genozids seitens des chilenischen Staates bedeute keineswegs, dass das Volk für ausgestorben erklärt werde. Die Selk’nam sind weitgehend auf sich selbst gestellt in ihrem Kampf um Anerkennung. Sie betreiben selbst Studien und veranstalten Workshops zu kultureller Identität.