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Unverständlichen Dingen Bedeutung verleihen

Ein Mann muss ein Macho sein: Stark, durchsetzungsfähig und furchtlos. Außerdem soll er reich sein. Wer kein Macho ist, der ist eine Schwuchtel. Sein Vater ist ein Macho – klar doch! – und die Männer, die er anführt, bilden eine Machobande.

Das Bild des Machismo hat Tochtli, der Ich-Erzähler des kurzen Romans „Fiesta in der Räuberhöhle“, frühzeitig verinnerlicht. Tochtli ist ein Junge, der in der Höhle seines Macho-Räuber-Vaters lebt. Er wächst dort alleine auf, weiß nichts von der Frau, die ihn geboren hat, geht nicht zur Schule und hat keinen Kontakt zu gleichaltrigen Kindern. Für den Unterricht ist ein Privatlehrer zuständig. Ansonsten lernt Tochtli aus der Beobachtung seiner Umwelt.

Einsames Leben im Luxus

Aus der Perspektive dieses privilegierten Kindes erfahren die Leser vom Leben im hermetisch gesicherten Anwesen eines mexikanischen Drogenbarons. Nichts anderes ist Tochtlis Vater, und die Männer der Machobande sind seine Leibwächter, Killer, Verwalter und Diener. Es ist eine extrem abgeschottete Welt, in welcher der Junge aufwächst, aber auch eine Welt des Reichtums und des abstrusen Luxus: Es gibt einen Privatzoo mit großen Raubkatzen, einen geheimen Raum voller Pistolen, Gewehre und Munition sowie eine Sammlung von Hüten. Je größer der Hut, das hat Tochtli gelernt, umso wichtiger und einflussreicher der Macho, der ihn auf dem Kopf trägt. Anders ausgerückt: Wer das meiste Geld und die meisten Toten angehäuft hat, dem gebührt die Krone.

Tochtli beobachtet, lernt, imitiert und verleiht den Dingen der ihn umgebenden Welt Bedeutung. Mit dieser für ein Kind typischen Herangehensweise liegt er oft intuitiv richtig. Ab und zu kann er sich jedoch beim besten Willen keinen Reim auf das Erlebte machen. Etwa wenn sein Macho-Vater Besuch von jungen Frauen bekommt. Tochtli fehlt die Vorstellungskraft, dass es sich dabei um Freundinnen, Gespielinnen oder Prostituierte handelt und dass der Vater keine gewöhnlichen sozialen Kontakte pflegt.

Drei Mexikaner auf Großwildjagd

Der in Mexiko geborene und heute in Spanien lebende Schriftsteller Juan Pablo Villalobos behandelt das Thema des extremen Drogenkrieges in Nordmexiko aus der verfremdenden Perspektive des kindlichen Erzählers. Indem er Tochtli mit offenkundiger Naivität nach Bedeutungen suchen und altkluge Erklärungen geben lässt, verdeutlicht er die Menschenverachtung der Drogenbarone, deren krude Ansichten, Gewaltexzesse und Allmachtsphantasien. Vor letzteren ist auch das Kind nicht gefeit: Tochtli wünscht sich für den Privatzoo ausgerechnet ein liberianisches Zwergnilpferd. Dass diese Tiere vom Aussterben bedroht sind und es vollkommen unklar ist, ob man sie in Mexiko halten kann, ist für ihn zweitrangig. Wichtiger ist, dass er dieses Tier besitzen will und dass sein Vater in der Lage ist, den Wunsch zu erfüllen. Also reisen der Drogenbaron, sein Sohn und der Privatlehrer inkognito nach Westafrika und versuchen, ein Zwergnilpferd-Pärchen zu fangen und nach Mittelamerika verschiffen zu lassen.

Dieser skurrile Abschnitt der ernüchternden Geschichte illustriert die weitreichende Macht der mexikanischen Drogen-Machos aufs Vortrefflichste: Sie stehen über den Gesetzen des eigenen und des fremden Landes, über den Regeln des menschlichen Miteinanders sowie über den Menschen und Kreaturen selbst – über jenen, die für sie arbeiten, und jenen, die sie liquidieren können.

Düstere Aussichten für Tochtlis Zukunft

Für das einsame Kind besteht wenig Hoffnung, dass es einmal etwas anderes sieht, erfährt und imitiert, als die Machismo-Welt seines Vaters. Dass Tochtli das Gesehene nicht einfach wegsteckt, zeigt sich, wenn er von seinen Bauchschmerzen berichtet. Früher habe der Vater einen Doktor kommen lassen, doch der meinte zuletzt, der Junge sei nicht am Bauch krank, sondern an der Psyche. Eine solche Diagnose kann der Vater nicht akzeptieren. Sein Sohn ist gesund! Er muss lernen, mit der Gefahr zu leben und die tägliche Gewalt auszuhalten! Schließlich soll er in ein paar Jahren ein Macho werden, keine feige Schwuchtel!

Autor: Thomas Völkner

Juan Pablo Villalobos: Fiesta in der Räuberhöhle, Übersetzt von Carsten Regling, Berlin: Berenberg 2011, 80 Seiten, EUR 19,00, ISBN 978-3-937834-45-0.

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