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Täter willkommen, Opfer nicht

Foto: picture-alliance/dpa
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David Galante lächelt, aber seine Füße schmerzen. Die alten Verbrennungen machen Ärger - Brandnarbenkrebs.

Damals, in Auschwitz war ihm so fürchterlich kalt. Also schlich er sich an ein Lagerfeuer, an dem sich seine Bewacher die Hände wärmten. Ein SS-Mann stieß den 18-Jährigen Juden in die Flammen. Es war kurz vor Kriegsende, bald kam die Anweisung aus Berlin, die Gaskammern zu vernichten, um Spuren zu vernichten. Galante, geboren auf der griechischen Insel Rhodos, 1944 von den Deutschen nach Auschwitz deportiert, überlebte. "Ich entschied, nach Argentinien zu gehen. Dort wohnte einer meiner Brüder, er war schon vor dem Krieg ausgewandert", sagt der heute 91-Jährige. Aber Galantes Antrag wurde von allen Konsulaten abgewiesen: "Ich bekam einfach kein Visum."

Irgendwann sagte ihm ein Botschaftsmitarbeiter leise: "Es ist, weil Du Jude bist." Galante schaffte es trotzdem: Ein Matrose schmuggelte ihn in einem Schrank auf einem Containerschiff nach Argentinien. "Juden, die nach dem Krieg nach Argentinien einwandern wollten, hatten keine Wahl. Sie mussten illegale Wege suchen", sagt Galante. "Viele gingen zuerst nach Paraguay, Bolivien oder Uruguay, von da aus war es dann einfacher."

Abgemagert auf 38 Kilo

50 Jahre lang sprach David Galante nicht über all die Schrecken, die er erlebt hatte. Die Deportation aus Griechenland zunächst auf Barkassen, dann in überfüllten Güterwaggons. "Wie viele schon auf dem Weg starben, habe ich nie erfahren", sagt er. Dann die Hölle von Auschwitz. Die Arbeit, die Kälte, der Hunger, die Willkür der Nazis. "Einen Tag noch", sagte sich Galante immer wieder. "Jeder Tag, den man überlebte, war ein Triumph." Er wog gerade mal 38 Kilo, als die Russen Auschwitz befreiten.

Als Galante nach der 50-tägigen Schiffsreise in Argentinien ankam, schwieg er über das Geschehene, "ich war traumatisiert, hatte Angst." Er heiratete, gründete eine Familie. Erst Jahrzehnte später, nachdem er den Film "Schindlers Liste" gesehen hatte, sprach er mit anderen Holocaust-Überlebenden - und sie beschlossen gemeinsam, von nun an von ihren Schicksalen zu erzählen. "Ich war selbst überrascht, aber es tat gut, darüber zu sprechen. Es ist außerdem wichtig, dass möglichst viele Menschen unsere Geschichte hören. Damit so etwas nie wieder passiert", sagt Galante.

Argentinische Geheimanweisung

Seine Frau sitzt auf einem Sofa gegenüber und wirkt so gebannt und betroffen, als höre sie die Erzählungen zum ersten Mal. Vielleicht ist es, weil sie so lange warten musste, bis ihr Mann überhaupt Details aus dem Lager erzählte. Es war kein Zufall, dass Galante und andere Juden in Argentinien keine Zuflucht fanden. Der argentinische Journalist Uki Goñi, der seit vielen Jahren zu den Fluchtwegen der Nazis nach Argentinien recherchiert, fand heraus, warum: "Mein Großvater war in den 1930ern Konsul in Bolivien. Deshalb hatte ich schon im familiären Rahmen Gerüchte gehört, dass es damals eine geheime Anweisung an die Botschaften gegeben haben soll, keine Juden ins Land zu lassen."

Goñi recherchierte hartnäckig - und wurde fündig. Das Unfassbare: Im Jahr 2003 findet er die "Circular 11" (Direktive 11). Sie wird wird totgeschwiegen, aber sie ist noch immer nicht gekippt. "Erst 2005 gab es dann einen offiziellen Akt in der Casa Rosada, bei dem auch Präsident Kirchner anwesend war", erinnert sich Goñi. "Da wurde erstmals offiziell über die Existenz der geheimen Anweisung gesprochen. Und sie wurde endlich außer Kraft gesetzt."

Eichmanns letzte Worte: "Lang lebe Argentinien"

Als Juan Domingo Perón 1946 Präsident wurde, änderte sich die Situation für die Opfer des Nazi-Terrors nicht. "Zwar gab Perón Anweisung, Kinder und ältere Juden ins Land zu lassen. Aber, was bezweckte er damit? Es sollte so aussehen, als nehme Argentinien Juden auf. Aber sie waren nicht im fortpflanzungsfähigen Alter", sagt Goñi. Perón soll die Nürnberger Prozesse als "Ungeheuerlichkeit" bezeichnet haben. Begleitet von der Ankündigung, so viele Nazis wie möglich in Argentinien aufnehmen zu wollen. Was er auch von Sondergesandten in die Tat umsetzen ließ - zunächst über die Nordroute, über Dänemark und Schweden. Später über die Schweiz und Italien. In Argentinien waren Nazis willkommen. Nicht umsonst waren die letzten Worte Adolf Eichmanns, bevor er 1962 in Jerusalem hingerichtet wurde: "Lang lebe Deutschland. Lang lebe Österreich. Lang lebe Argentinien."

"Leider gibt es in Argentinien nur wenig Interesse", sagt Goñi. "Ich bin noch nie von einer Schule oder einer Universität eingeladen worden, um darüber zu sprechen." Vielleicht liegt es daran, dass das Thema am Image von Nationalheld Juan Domingo Perón kratzt? "Die Peronisten fühlen sich von mir angegriffen, Anti-Peronisten benutzen meine Arbeit, um die Peronisten zu attackieren. Ich gehöre jedoch keiner der beiden Seiten an", erklärt Goñi. "Ich habe das Thema recherchiert, weil es Teil unserer Geschichte ist und eine Aufarbeitung verdient."

Die Nazi-Verbrecher fühlten sich schnell sicher

Viele der NS-Verbrecher, etwa Adolf Eichmann, Erich Priebke oder auch der KZ-Arzt Josef Mengele, waren zwar zunächst mit falschen Namen nach Argentinien eingereist, aber nach einiger Zeit fühlten sie sich so sicher, dass sie neue Ausweispapiere ausstellen ließen. "Mengele bat im Jahr 1956 um Papiere mit seinem echten Namen", sagt Sergio Widder, Präsident der Simon Wiesenthal-Stiftung in Argentinien. "Das bedeutet, dass die Komplizenschaft auch nach der Regierung Perón weiter ging."

Seit vielen Jahren widmet sich Widder dem Kampf gegen Antisemitismus und der Suche nach Nazi-Verbrechern, die noch vor Gericht gestellt werden können: "Zurzeit haben wir in Lateinamerika keine Einzelperson vor Augen, aber das Thema ist nicht abgeschlossen."

David Galante hofft, dass seine Füße bald nicht mehr schmerzen. Er möchte so vielen Menschen wie möglich von den bestialischen Taten der Nazis berichten. Und er möchte von einem Franzosen erzählen, mit dem er sich in Auschwitz angefreundet hatte: "Einmal schlug mich ein Nazi brutal zusammen und ließ mich in der Kälte liegen. Mein Freund rettete mich, ich wäre sonst erfroren. Wenige Tage später war wieder Selektion. Wir mussten uns nackt ausziehen und sie entschieden, wer in die Gaskammer kam, wer weiter arbeiten sollte. Mein Freund wurde aussortiert und ich konnte nichts für ihn tun. Aber für mich lebt er. So lange ich lebe, lebt er in mir." Galante macht eine Pause und fügt hinzu: "Aber das ist nur eine von vielen, vielen Geschichten."

Quelle: Deutsche Welle, Autorin: Karin Naundorf

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