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Schmutz in Brasiliens Waschstraße?

 

Die Enthüllungsplattform "The Intercept" deckte auf, dass Brasiliens Anti-Korruptions-Operation "Lava Jato" wohl bei weitem nicht so unabhängig und überparteilich gearbeitet hat, wie sie selbst gern vorgibt.

Brasiliens Ex-Präsident Lula da Silva beim Weltsozialforum im März 2018 (Foto: Deputado Rosemberg, Flickr)

In den letzten fünf Jahren hatte die Anti-Korruptionsoperation "Lava Jato" (Operation 'Waschstraße') Brasilien auf den Kopf gestellt. Nachdem sie den größten Korruptionsskandal der Geschichte des Landes ans Licht brachte, mussten einst mächtige Politiker und Unternehmer reihenweise ins Gefängnis. Der Prominenteste von ihnen: Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva. Entwendete Milliardensummen flossen derweil zurück in die Staatskasse.

Die ermittelnden Staatsanwälte und - allen voran - Bundesrichter Sérgio Moro wurden zu nationalen Helden, Lava Jato selbst wurde gar mit dem Meilenstein der Korruptionsbekämpfung, der Operation "Mani pulite" ("Saubere Hände") im Italien der 1990er-Jahre, verglichen. Brasilien räume endlich mit der chronischen Korruption auf, so die Hoffnung vieler Brasilianer.

Geheime Absprachen?

Doch die seit Anfang Juni von der Plattform The Intercept veröffentlichten privaten Chats von Moro und den Staatsanwälten tauchen die Anti-Korruptionsoperation in ein neues Licht. Und verstärken damit den Verdacht der Anhänger von Ex-Präsident Lula, dass Lava Jato eher ein schmutziges Spiel mit gezinkten Karten ist.

Nicht nur sprachen sich Richter und Staatsanwaltschaft bei den Ermittlungen offensichtlich illegal ab. Sie setzten zudem angeblich alles daran, Lula von der Wahl 2018 auszuschließen. Besonders pikant: Wahlsieger Jair Messias Bolsonaro ernannte Moro schließlich sogar zu seinem Justizminister. Die Staatsanwälte hätten derweil geplant, durch lukrative Vorträge von ihrem Star-Image zu profitieren. Man habe es mit einem Verbrechen zu tun, sagt der Soziologe Demétrio Magnoli der Deutschen Welle (DW). "Das sind illegale Absprachen zwischen der Anklage, also der Staatsanwaltschaft, und dem Richter, also Sérgio Moro. Und Moro hat dabei Regie geführt, sowohl was das Juristische als auch was den Medienzirkus angeht." Moro instruierte den Veröffentlichungen zufolge, wann gegen wen ermittelt wird, wie Kronzeugenregelungen aussehen müssen und wie man die Ergebnisse am medienwirksamsten präsentiert.

Es ist kein Geheimnis, dass The Intercept, geleitet vom US-amerikanischen Journalisten Glenn Greenwald, eindeutig Position gegen Lava Jato bezieht. "Wichtig ist jedoch die Frage, ob es stimmt, was da veröffentlicht wird. Und alle Indizien deuten darauf hin, dass es die Wahrheit ist", so Magnoli. Denn weder Moro noch die Staatsanwälte hätten je die Inhalte der Gespräche dementiert. Zu ihrer Verteidigung behaupteten sie, dass die Chat-Protokolle von einem Hacker geraubt und damit illegal und als Beweise unbrauchbar seien. Dies sei reine Spekulation, um die Gegenseite zu kriminalisieren, entgegnet Magnoli. "Die Mitschnitte könnten ebenso aus anderen Quellen stammen, wie aus dem Umfeld der Staatsanwaltschaft, die ja in mehrere rivalisierende Fraktionen aufgespalten ist."

Keine Konsequenzen?

Doch welche Konsequenzen müssen Moro und die Lava Jato fürchten? Eigentlich müssten die internen Kontrollinstanzen der Justiz nun Ermittlungen aufnehmen und das Oberste Gericht Moros Urteile prüfen. "Doch daran zweifle ich, denn in der öffentlichen Meinung herrscht ein verständlicher Hass auf die Korruption. Das politische Klima schützt sie also", so Magnoli. Es könnte durchaus eine Überprüfung der in Zweifel stehenden Urteile durch das Oberste Gericht geben, glaubt hingegen der Politologe Ricardo Ribeiro, von der Wirtschafts-Consulting-Firma MCM-LCA Consultores. Fraglich sei dabei jedoch, welchen juristischen Wert die Justiz letztlich den unter ominösen Umständen hervorgebrachten Chats einräumt.

Für Klarheit könnte dabei das Oberste Gericht in den nächsten Wochen sorgen, wenn es über Lulas Antrag berät, Moros Urteil wegen Parteilichkeit zu kassieren. Das Urteil könnte gar aufgehoben werden, was jedoch nicht automatisch Lulas Unschuld bedeuten würde. "Man muss Lula nicht für unschuldig halten um zu sehen, dass Moro und Lava Jato gegen Gesetze verstoßen haben", so Magnoli. Und nicht nur in Lulas Fall.

Trotzdem sitzt Moro fest im Sattel. "Ich hatte zu Beginn der Veröffentlichungen geglaubt, dass er aufgrund des öffentlichen Drucks seinen Hut nehmen müsste", erzählt der Politologe Sérgio Praça der DW. Doch das Gegenteil sei eingetreten. "Die Allianz zwischen Bolsonaro und Lava Jato ist noch stärker geworden, und jetzt kann Bolsonaro ihn unmöglich entlassen." Auch kann Moro nicht durch den Kongress oder die Justiz gestürzt werden. "Die Besetzung der Ministerposten ist ausschließlich Sache des Präsidenten", erinnert Ribeiro. Moro sei zwar als politische Figur geschrumpft, aber immer noch populär. Und die Regierung brauche derzeit das positive Image der Lava Jato für das eigene Standing, so der Politologe. Ein weiterer Pluspunkt für Moro.

Polarisierung in der Gesellschaft noch verstärkt

Die Veröffentlichungen haben die Polarisierung der politischen Lager noch einmal verschärft. "Wer vorher gegen Lava Jato war, hat jetzt neue Argumente", so Ribeiro. "Und wer vorher für Lava Jato war, verteidigt sie jetzt auch weiter." Zwar glaube eine Mehrheit, dass sich Moro und die Lava Jato nicht korrekt verhalten hätten. "Gleichzeitig halten sie die Verurteilungen aber für korrekt."

Trotzdem habe der Anti-Korruptionskampf derzeit an Schwung verloren, berichtet Ribeiro. Sinnbildlich sei das jüngste Urteil des Obersten Richters Dias Toffoli, die Verwendung von Daten der Anti-Geldwäscheeinheit des Finanzministeriums einzuschränken. Beantragt hatte dies ausgerechnet der in dubiose Finanztransfers verwickelte Präsidenten-Sohn Flávio Bolsonaro. Die Entscheidung blockiert nun nahezu sämtliche Ermittlungen der Lava Jato.

Kollaterale Effekte

"Die Entscheidung kommt ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt, benutzt die derzeitigen Zweifel gegenüber Lava Jato. Und es ist ja auch günstig, dass es sich um den Sohn des Präsidenten handelt. Das alles hat es für Toffoli einfacher gemacht, so zu entscheiden", urteilt Ribeiro. So scheint vom Obersten Gericht derzeit mehr Gefahr für die Lava Jato auszugehen als von Greenwalds Enthüllungen. Mittlerweile legte Generalstaatsanwältin Raquel Dodge Einspruch gegen Toffolis Entscheidung ein. Dodge äußerte sich unter anderem besorgt über die Folgen dieser Maßnahme für das internationale Image Brasiliens.

Mit der "Mani pulite" in Italien hat die Lava Jato zumindest schon einmal ähnliche Kollateraleffekte gemeinsam. "Mani pulite destabilisierte Italiens politisches System derart, dass der Populist Berlusconi an die Macht kommen konnte. Und in Brasilien bereitete Lava Jato den Weg für Bolsonaros Machtübernahme", meint Politologe Ribeiro. Eine unheilvolle Konsequenz, findet auch Riberios Kollege, der Politologe Sérgio Praca. "Am erschütterndsten ist, dass jetzt klar geworden ist, wie parteiisch Lava Jato gehandelt hat. Für sie hatte es Priorität, Lulas Kandidatur zu verhindern. Das ist das genaue Gegenteil von republikanischem Verhalten."

Autor: Thomas Milz, Deutsche Welle

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