Bischöfliche Aktion Adveniat e.V.
Peru |

"Schieß ihm in den Kopf!"

Ein Bekannter von mir wurde 2009 in Trujillo überfallen. Da er eine Pistole bei sich trug, schoss er dem Angreifer ins Bein. Während der Kriminelle verletzt zu Boden ging, schrien die Passanten jedoch: „In den Kopf! Schieß ihm in den Kopf!“. Selbst die Polizisten wandten sich, als sie vor Ort eintrafen, voller Unmut an den Überfallenen: Und warum haben Sie ihn nicht umgebracht? Ist ihnen denn nicht klar, dass er wieder frei kommen wird?“

Am 3. Dezember fiel mir diese Geschichte wieder ein, als ich hörte, dass ein Scharfschütze mit einem Kopfschuss einen Geiselnehmer getötet hatte. Der Getötete hatte 30 Geiseln einer Bankfiliale in Gamarra, einem großen Einkaufszentrum in Lima, in seiner Gewalt.

Außergerichtliche Hinrichtungen in Trujillo

Die Straflosigkeit, mit der verschiedene Banden in Trujillo seit vielen Jahren erpressen und rauben können, hat in den Bürgern der Stadt den Eindruck entstehen lassen, dass sie diesem Problem nur beikommen können, indem die Straftäter getötet werden. Die Ermordung von 46 Personen durch Angehörige des Sondereinsatzkommandos der Polizei im Zeitraum zwischen August 2008 und Oktober 2009 wird daher von den Bürgern Trujillos auch mehrheitlich gut geheißen.

Weder die Menschenrechtsorganisationen dieser Region noch das Lokalbüro der Menschenrechts-Ombudsstelle, das garantieren soll, dass der Staat die Bürgerrechte einhält, protestierten, als nach und nach Leichen von Unschuldigen auftauchten, die Folterspuren aufwiesen.

Schweigen der Medien zum Thema Menschenrechte

Als das Fernsehen der Hauptstadt Lima und andere Medien Reportagen zu diesem Thema veröffentlichten, wies ich eine Person, die sonst viel über die Menschenrechte sprach, auf die Notwendigkeit hin sich öffentlich dazu zu äußern. Doch die Antwort auf meinen Einwurf lautete: „Bist du verrückt? Willst du, dass man uns vorwirft, wir würden die Kriminellen verteidigen?“ Glücklicherweise veröffentlichte die Landesweite Koordinationsstelle für Menschenrechte die Geschehnisse in ihrem letzten Jahresbericht.

Meiner Ansicht nach sollte sich die Verteidigung der Menschenrechte nicht an den moralischen Qualitäten des Opfers von Folter, Vergewaltigung oder außergerichtlicher Hinrichtung orientieren, egal, ob es sich dabei um einen Bauern handelte, der gegen die Umweltverschmutzung oder einen Straftäter gekämpft hat, oder ob ein engagierter Student oder ein korrupter Politiker das Opfer war.

Solidaritätskampagne für einen Hund

Allerdings denken viele Menschen anders und sind der Meinung, dass Übeltäter ihr Recht auf Leben verwirkt haben. Vergangenen Oktober habe ich mich gefragt, ob wir in Peru nicht auch ein Zeugnis nationalen Stolzes und der Solidarität vorweisen könnten, wie die Chilenen angesichts der Rettung ihrer verschütteten Bergleute? „Natürlich“, sagte jemand zu mir „als die Geiseln aus der japanischen Botschaft befreit wurden“. Diese Person hatte jedoch vollkommen ausgeblendet, dass bei diesem Einsatz 17 Peruaner gestorben waren. Der Tod von 14 von ihnen – die Geiselnehmer [Anm. d. Ü.] – ging in allgemeiner Gleichgültigkeit unter.

Ein Beispiel der Kaltblütigkeit, die man gegenüber dem menschlichen Leben an den Tag legen kann, trug sich im Juli 2006 zu, als der Straftäter Wilson Paredes Quispe von einem Hund tot gebissen und eine Solidaritätskampagne ausgerufen wurde – für den Hund! Die Regierung García präsentierte den Hund anschließend bei öffentlichen Auftritten als eine Art grausamer „ziviler Held“.

„Menschen, die das Leben nicht verdienen“

Es war genau nach diesem Vorfall, als Alan García postulierte: „In Peru gibt es Menschen, die das Leben nicht verdienen“, und er sich für die Wiedereinführung der Todesstrafe für Terroristen und für Vergewaltiger von Kindern aussprach. Auch wenn er das auf legalem Wege nicht geschafft hat, in der Praxis ist die Todesstrafe doch das eine oder andere Mal angewendet worden. Während der Regierung Toledo (2001-2006) waren elf Bauern und vier Studenten von den Sicherheitskräften umgebracht worden. In den viereinhalb Jahren der aktuellen Regierung García beträgt die Zahl der auf diese Weise Getöteten 120.

Für die Praxis, auf den Kopf von Demonstranten zu schießen, gibt es Präzedenzfälle: Der Bauer Julio Rojas starb am 18. Februar 2008 auf diese Weise in Barranca und am darauf folgenden Tag wurden in Ayacucho Emiliano García und Rubén Pariona auf diese Weise getötet.

Neuer Chef der Nationalpolizei kommt aus Trujillo

Wenn verschiedene Polizisten in unterschiedlichen Regionen dasselbe tun, dann geschieht dies deshalb, weil sie bestimmte Befehle befolgen. So, wie das auch am vergangenen 3. Dezember in Gamarra geschehen ist. Möglich ist, dass zum Ausgang des Dramas im Einkaufszentrum auch die Gegenwart des eben erst zum Chef der Nationalpolizei ernannten Raúl Becerra beigetragen hatte. Becerra war zuvor Polizeichef in Trujillo gewesen und hatte sich stets hinter seine Polizisten gestellt, wenn diese der außergerichtlichen Hinrichtung beschuldigt worden waren.

Es war offenkundig, dass es sich bei dem Geiselnehmer von Gamarra, Ruiz Ninasqui, um eine Person mit ernsthaften psychischen Problemen handelte. Er schrie herum, dass er eine Atombombe bei sich hätte und man ihn nicht ansehen solle, weil er hässlich sei. In diesem Zusammenhang kann ein Kopfschuss schwerlich als „perfekter Polizeieinsatz“ gewertet werden, wie es in vielen Medien jedoch geschah, die zudem bewusst wenig emotionalisierende Termini wie „das Subjekt“ und „der Erschossene“ für den Geiselnehmer verwandten.

Gamarra - Prüfung für die Menschenrechte

Interessant ist der Aspekt, dass 117 der 120 Personen, die während der Regierungszeit von García auf diese Weise ermordet wurden, der einfachen Bevölkerung angehören. Und gleichzeitig ist es dieser Teil der Bevölkerung, in dem die Todesstrafe die meisten Fürsprecher hat. Oft protestieren sie auch nur dann, wenn jemand aus ihrer eigenen Gruppe umgebracht wurde.

Der Vorfall in Gamarra ist schließlich eine Prüfung für all jene unter uns, die das Recht auf Leben, auf Gerechtigkeit und auf die Würde des Menschen verteidigen. Hoffen wir, dass die in Trujillo gegen die Kriminalität angewandten Methoden jetzt nicht im ganzen Land Anwendung finden werden.

Autor: Wilfredo Ardito Vega in Adital; deutsche Bearbeitung Bettina Hoyer

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