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Schatzsuche in der Kloake von Caracas

Dutzende Venezolaner suchen täglich im verdreckten Wasser des Rio Guaire nach etwas, das sich zu Geld machen lässt. Foto: DW/Yan Boechat
Dutzende Venezolaner suchen täglich im verdreckten Wasser des Rio Guaire nach etwas, das sich zu Geld machen lässt. Foto: DW/Yan Boechat

Jorge Muñoz geht systematisch vor, wenn er im stinkenden Wasser des Rio Guaire nach Kostbarkeiten sucht.

Begleitet von seinem Bruder und zwei Freunden, schürft und taucht er nach Bruchstücken von Schmuck, die in den Badezimmern der reicheren Viertel verloren gehen. In Caracas, der Hauptstadt Venezuelas, nennt man diese Menschen, meist Männer, "Schatzsucher der Kanalisation".

"Es gibt hier alles: Gold, Silber, Kupfer. Manchmal finden wir sogar heile Schmuckstücke", erzählt Jorge, 22 Jahre alt. Er verbringt den Großteil seiner Zeit im Fluss Guaire, nur wenige Kilometer von Miraflores-Palast entfernt, der offiziellen Residenz von Präsident Nicolás Maduro.

Es sind Kilos über Kilos von dunklem Matsch, die Jorge und seine Kollegen mit bloßen Händen durchwühlen. Von Plastikpartikeln, Gummi und Steinen bis hin zu organischem Müll, von dem man lieber nicht genau wissen will, worum es sich handelt, ist alles dabei. "Wenn es wenig regnet, riecht es manchmal echt übel. Es ist eklig, aber das gehört bei dieser Arbeit mit dazu", erzählt Jorge. Zu den Dutzenden, manchmal Hunderten Venezolanern in den Flußbetten kommen noch ganze Familien, die in Mülltonnen und Müllbergen auf der Straße nach Essen suchen. So versuchen sie, die beispiellose Wirtschaftskrise zu überleben, mit der Nahrungsmittelknappheit und Hyperinflation einhergehen. Letztere hat 2017 die Marke von 2000 Prozent überschritten.

Eher offener Abwasserkanal als Fluss

Der Rio Guaire ist der größte Fluss von Caracas und teilt die Stadt. In ihn fließen die größtenteils unbehandelten Abwässer der Stadt. Praktisch alles, was die circa zwei Millionen Einwohner durch ihre Duschen, Wasch- und Spülbecken und Toiletten in die Kanalisation spülen, landet im Guaire.

Über weite Strecken dreckig und stinkend, wirkt der Fluss eher wie ein offenliegender Abwasserkanal. Versprechen, ihn zu revitalisieren und ein System zur Wasseraufbereitung einzuführen, hat bisher jede Regierung gemacht. Passiert ist nichts.

Javier Muñoz, der seinen Bruder Jorge bei der täglichen Suche nach etwas Wertvollem begleitet, sagt, in der Nähe des Miraflores-Palasts könne man alles finden. Am häufigsten sei Schmuck, der sich auf dem Weg von einem Mittelklasse-Badezimmer bis zum Flussbett in einzelne Bestandteile aufgelöst habe. Manchmal, so der 17-Jährige, habe man aber mehr Glück.

Der Handel mit Gold floriert

"Allein dieses Jahr haben wir mindestens drei Eheringe aus echtem Gold gefunden", erzählt Javier. Er hat die Schule abgebrochen und will sein Goldgräber-Dasein so bald nicht aufgeben. "Wenn ich eine Woche hier arbeite, verdiene ich dreimal so viel wie der offizielle Mindest-Monatslohn."

Die venezolanische Währung, der Bolívar, hat in den letzten Jahren eine extreme Abwertung erfahren. Allein in den ersten Wochen des Jahres 2018 verlor er 56 Prozent seines Werts im Vergleich zum US-Dollar. Betrachtet man die letzten zwölf Monate, sind es gar 99 Prozent. Den Verlust des kompletten Vermögens kann nur vermeiden, wer in Anlagen investiert, die von den Währungsschwankungen weitgehend unberührt sind, etwa Gold oder Dollar. Und da der Handel mit der amerikanischen Währung Sache des Staates ist, ist der Dollar in Venezuela knapp. Das macht Gold als Anlage umso attraktiver.

Lektospirose, Hepatitis und andere Krankheiten

Weder Javier noch Jorge noch die anderen Schatzsucher haben Schwierigkeiten, loszuwerden, was sie im Fluss finden. "Wir kaufen Gold und Silber sogar nach Zehntelgramm", erzählt Pedro Ortega, einer der vielen Goldhändler in Caracas. Der Markt sei angeheizt, weil viele gerade ihren Schmuck loswerden wollten. Andererseits wolle wegen der Inflation auch jeder, der Geld verdient hat, seine Bolívares möglichst schnell wieder loswerden.

Der Gestank und der Dreck des Guaire lassen ahnen, wie viele Bakterien, Parasiten und andere Gesundheitsgefahren hier auf die Menschen lauern. Laut Infektiologen der Zentraluniversität von Venezuela, die die Qualität des Flusses untersucht haben, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass der Guaire mit Leptospirose, Hepatitis und den Erregern anderer schwerer Krankheiten verseucht ist. Jorge und Javier dagegen beschwören, dass sie noch nie bei ihrer Arbeit krank geworden sind. Das einzige Problem sei, wenn sie sich an einem Stück Glas oder Metall verletzten. "Das dauert dann, bis es wieder heilt; es infiziert sich. Aber unsere Körper sind schon abgehärtet", sagt Jorge, bevor er wieder kopfüber in die stinkende Brühe abtaucht, um noch ein Metallstück aus dem Badezimmer eines Nachbarn von Präsident Maduro herauszufischen.

Autor: Yan Boechat / DW.de

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