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Peru |

Religion und Freiheit - Der Fall Mario Bartolini

Der italienische Priester Mario Bartolini ist wegen „Aufruf zur Störung der öffentlichen Ordnung" vor dem Ersten Gemischten Gerichtshof des "Alto Amazonas" angeklagt. Hintergrund sind die indigenen Proteste vom Juni 2009 in Bagua. Pater Mario solidarisierte sich damals mit den Indigenen und versuchte, ein Blutbad zu verhindern. Jetzt stehen er sowie ein Indigenen-Vertreter und der Leiter des katholischen Lokalradios "Radio Oriente" vor Gericht.

Bartolini ist seit 35 Jahren als Priester im Amazonasgebiet tätig.
Die für den 26. Oktober 2010 angesetzte Verhandlung fand aufgrund eines Streiks jedoch nicht statt.

Der Autor und Anwalt Wilfredo Ardito Vega diskutiert den Fall ausgehend von christlichen Religionsauffassungen:

Religionsauffassungen und Werte

Es scheint ein seltsames Paradoxon, dass die peruanische Regierung ein Gesetz verkündet, das den Señor de los Milagros (Herr der Wunder) zum Schutzheiligen für die Spiritualität der katholischen Kirche erklärt, während sich gläubige Katholiken wie Bruder Paul McAuley oder der Priester Mario Bartolini zur selben Zeit einer juristischen Hetzjagd ausgesetzt sehen - und Unterstützung von atheistischen und kirchenfeindlichen Peruanern erhalten.

Um dieses Szenario verstehen zu können, muss man sich vergegenwärtigen, dass es verschiedene Auffassungen von Religion gibt. Die erste, sehr traditionelle, geht davon aus, dass Religion tiefe Ehrfurcht vor einer machtvollen, übernatürlichen Wesenheit ist. Dies war die griechisch-römische Religion, deren Götter nicht die ehrlichsten oder gütigsten Menschen bevorzugten, sondern jene, die ihnen die wertvollsten Opfer darbrachten. Und so sind auch diese Götter selbst egoistisch und stolz, einige von ihnen waren sogar Mörder, Vergewaltiger oder brachten ihre Eltern um.

Religion und ständische Gesellschaften

In Peru gibt es noch immer Personen, die deutlich sichtbar Gott, die Jungfrau oder die Heiligen verehren und lediglich das Ziel verfolgen, einen konkreten Vorteil daraus zu ziehen. Der machtvolle Gott, der angerufen wird, kann auch brutal und ungerecht sein. Das ging mir durch den Kopf, als manche Menschen während des letzten Erdbebens sagten: “Man muss Gottes Wille akzeptieren”.

Diese Auffassung von Religion, die es ermöglichte, Resignation und Verzicht unter den Armen hervorzubringen, entwickelte sich vor allem in ständischen Gesellschaften. Religiösen Ritualen wurde dabei viel Gewicht beigemessen, während gleichzeitig völlig unchristliche Werte hoch im Kurs standen. Das war etwa im Mittelalter in Europa oder im kolonialen Peru der Fall.

Kritik an Sozialstrukturen

Glücklicherweise legen heutzutage viele Peruaner, die der katholischen Kirche oder den evangelikalen Kirchen angehören, in ihrem persönlichen Leben viel mehr Wert auf Kohärenz. Innerhalb beider Kirchen gibt es Strömungen, die der Ansicht sind, dass das Essentielle eines guten Christen darin besteht, für eine gerechtere und menschlichere Gesellschaft einzutreten. Betrachtet man Religion auf diese Weise, ist Armut nicht mehr "der Wille Gottes" sondern etwas, dass diesem Willen diametral entgegensteht. “Der Wille Gottes” ist stattdessen gegen Armut anzukämpfen.

Dieses Konzept von Religion stellt jedoch die Sozialstrukturen insgesamt in Frage: die Konzentration des Reichtums in den Händen weniger, den Analphabetismus, die Unterernährung von Kindern oder die Verschmutzung der Umwelt - all das ist gemäß dieser Haltung mit dem Christentum nicht vereinbar. Ein korrupter Funktionär, der ein Heiligenfest finanziert, ist demnach ein schlechter Christ, ebenso wie der Unternehmer, der tausende peruanische Soles für den Bau einer Kirche beisteuert, aber seine Arbeiter ausbeutet.

Bischöfe kritisieren strukturelle Ungleichheit

Diejenigen Christen, die eine solche Ansicht vertreten, werden von ihren Glaubensbrüdern dafür zuweilen harsch kritisiert: als "spaltend, konfliktiv, politischen Proselytismus betreibend", bezeichnete der ehemalige Bürgermeister von Barranquita, der dem Romero-Konzern nahesteht, Pater Mario Bartolini. Seit die Bischöfe 1968 auf der Konferenz von Medellín die strukturelle Ungleichheit in Lateinamerika kritisierten, ist das größte Paradoxon auf diesem Kontinent allerdings, dass auf einer langen Liste von Priestern, Ordensschwestern und gläubigen Laien diejenigen als “am katholischsten" angesehen werden, die umgebracht wurden, weil sie “für Unruhe unter der Bevölkerung" gesorgt haben oder "die Religion mit der Politik vermischen".

Der Fall Peru ist sehr speziell. Angehörige der Guerilla-Organisation Leuchtender Pfad (Sendero Luminoso) brachten während des Bürgerkriegs Tausende Menschen um: Doch für die Guerilla war es sehr schwer, Anhänger in Gebieten zu finden, in denen die Kirche den Wandel der Sozialstrukturen ohne die Anwendung von Gewalt propagierte.

Bartolini bleibt trotz Morddrohungen

Pater Mario Bartolini lernte ich in den 1990er-Jahren kennen, als die Revolutionäre Bewegung Túpac Amaru MRTA und der Leuchtende Pfad mit ihren gewaltsamen Streifzügen im peruanischen Urwald anlässlich jener Treffen begannen, die dort jährlich stattfanden, um das Geschehen zu analysieren. Ich erinnere mich, dass mit Psychologen gearbeitet werden musste, um mit der Angst und den Schmerzen umgehen zu können. Bei dieser Arbeit begegnete ich Mariano Gagnon, dem es gelungen war, Dutzende Ashaninka-Indigene vor dem Leuchtenden Pfad zu retten. Viele wurden damals, so wie Pater Bartolini, mit dem Leben bedroht, falls sie ihre Arbeit nicht beendeten. Und Bartolini und andere blieben, weil sie sich ihrem Versprechen verpflichtet fühlten. Sie wären nur gegangen, wenn ihr Bleiben ein Risiko für andere Menschen bedeutet hätte.

Als der bewaffnete Konflikt in Peru vorüber war, gab es neue Probleme: Die Konzern-Gruppe Romero hat Interesse, Plantagen mit ölpalmen in dem Gebiet um Barranquita anzulegen, wo Bartolini arbeitet. Das Problem hierbei ist, dass der Konzern dafür Land beansprucht, das seit Jahrzehnten von verarmten Bauern genutzt wird, deren Rechte Bartolini mit sehr viel Mut vertreten hat.

Internationale Solidarität wegen Anklage

Die Anklage gegen Bartolini, den indigenen Anführer Vladimiro Tapayuri und den Leiter des Radiosenders des Vikariats von Yurimagua, “Radio Oriente”, Giovanni Acate, wegen “Aufruf zur Störung der öffentlichen Ordnung”, zeigt deutlich das Zusammenspiel von mächtigen wirtschaftlichen und politischen Interessen.

In den letzten Tagen haben tausende Menschen auf der ganzen Welt ihre Solidarität mit den Angeklagten bekundet. Der Präsident der Republik Peru hüllt sich hingegen in Schweigen. Seine Verehrung für den Heiligen der Wunder ist für ihn offensichtlich kein Grund, jene zu unterstützen, die Gerechtigkeit einfordern.

Autor: Wilfredo Ardito Vega in Adital, dt. Bearbeitung: Bettina Hoyer

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