Pflichten ja, aber keine Rechte
Am 3. Oktober sind mehr als 135 Millionen Brasilianer und Brasilianerinnen dazu aufgerufen, die künftigen Repräsentanten des Landes zu wählen. Neben dem Staatspräsidenten werden gewählt: Gouverneure, Senatoren, Abgeordnete für das Bundesparlament und für die Parlamente der Bundesstaaten.
Eine Million Migranten von Wahl ausgeschlossen
Am gleichen Tag wird allerdings über eine Million Menschen nicht zur Wahl gehen können, obwohl sie bereits seit vielen Jahren in Brasilien leben und arbeiten, Steuern zahlen und unsere Kultur bereichern. Es handelt sich um Menschen, die Brasilien als das Land wählten, in dem sie sich ein neues Leben aufbauen wollten. Sie haben kein Wahlrecht, da sie entweder nicht in Brasilien geboren wurden oder nicht die brasilianische Staatsangehörigkeit angenommen haben. Somit bleibt ihnen die direkteste Form der Beteiligung an der Demokratie versagt.
Bei Wahldebatten außen vor
Immigranten haben nicht selten unter Vorurteilen und Diskriminierung zu leiden, in einem Land mit neuen Gewohnheiten und einer anderen Sprache – am Arbeitsplatz, ihre Kinder in der Schule. Sie können keine Vertreter wählen, die ihre Bedürfnisse kennen und für entsprechende Gesetze und neue Rechte kämpfen. Die Immigranten bleiben daher bei den Wahldebatten außen vor. Dabei handelt es sich hier um besonders geeignete politische Räume, um Garantien für eine wirkliche Integration und ein würdevolles Leben zu schaffen.
Verfassungsänderung in der Diskussion
Brasilien steht hiermit in Südamerika weitgehend allein – in Paraguay, Bolivien oder Peru zum Beispiel können Immigranten auf kommunaler und Distriktsebene wählen. Und in Chile und Uruguay wählen Immigranten auch den Staatspräsidenten mit. Derzeit wird in Brasilien deshalb eine Verfassungsergänzung diskutiert, die sich im Rechtsausschuss der Abgeordnetenkammer befindet.
Migranten und ihre Bedürfnisse kaum Thema
Analysiert man die Regierungsprogramme der in Meinungsumfragen führenden vier Präsidentschaftskandidaten- und kandidatinnen, wird klar, dass das Thema Immigranten und Wahlrecht einmal mehr in seiner Bedeutung ignoriert wird. José Serra beispielsweise, der Kandidat der (nur dem Namen nach) sozialdemokratischen PSDB, spricht wolkig von der Verteidigung der Menschenrechte, ohne aber die in Brasilien lebenden Immigranten zu erwähnen.
Dilma Rousseff, die in Meinungsumfragen führende Kandidatin der Arbeiterpartei PT, wendet sich dem Thema Immigranten in ihrem Programm zu und verspricht einen besseren Schutz gegen Diskriminierung und härtere Strafen gegen Fälle der selben.
Schöne Versprechen
Regierungspläne werden fast nie eingehalten. Schöne Papiere enthalten all das, was die Mehrheit gerne hören möchte: das Versprechen wirtschaftlichen Wachstums, soziale Gerechtigkeit, einen Fokus auf hochwertige Bildung und Gesundheit und Sorge um die Umwelt – eine Litanei ohne Ende. Dem Wähler bleibt da nur, sich selbst ein Urteil zu bilden über das, was die Kandidaten und ihre Parteien in der Vergangenheit zuwege gebracht haben. Der Blick richtet sich also vor allem zurück auf die letzten 16 Jahre in Brasilien: auf die Amtszeiten der Präsidenten Fernando Henrique Cardoso und Luiz Inácio Lula da Silva als Vertreter der beiden Parteien, denen José Serra und Dilma Rousseff angehören.
Dennoch: Verbesserung der Situation
Auch wenn noch viel zu tun bleibt, hat sich die Situation der Immigranten in Brasilien in den vergangenen Jahren zweifellos verbessert. So wie unsere Bürger in vielen Ländern der Welt leben, auf der Suche nach einem besseren Leben, so nehmen wir Menschen aus den unterschiedlichsten Ländern der Welt auf. Wer dies nicht zur Kenntnis nimmt, leugnet, dass Brasilien ein multikulturelles Land ist. Und wer weiß, vielleicht können die Immigranten bei den nächsten Wahlen ihr volles Bürgerrecht ausüben?
Autoren: Paulo Illes und Wendy Villalobos, Übersetzung: Bernd Stößel, Quelle: adital