Bischöfliche Aktion Adveniat e.V.
|

OAS demontiert interamerikanisches Menschenrechtssystem

Vor einigen Jahren wurde die UN-Menschenrechtskommission demontiert, nun droht dem Interamerikanischen Menschenrechtssystem das gleiche Schicksal. Auf der Vollversammlung der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) in Bolivien wurde der Grundstein gelegt für die weitere Aushöhlung der Bürgerrechte, warnt der Amerika-Direktor der Organisation Human Rights Watch, Jose Miguel Vivanco. Mit dramatischen Folgen für den Einzelnen und die Gesellschaften. Denn nicht nur die arabischen Staaten verletzen systematisch Grundrechte, auch die angehenden Weltmächte wie China, Indien und Südafrika lassen sich nicht gerne auf die Finger sehen und sind dabei, Bürgerrechte einzuschränken und die internationalen Menschenrechtskonventionen auszuhebeln. Nun hat sich auch Brasilien auf ihre Seite geschlagen.

SW: Auf der jüngsten OAS-Vollversammlung gab es eine ganze Reihe Kritik an der Interamerikanischen Menschenrechtskommission und am Menschenrechtsgerichtshof. Vor allem Venezuela, aber auch Ecuador, Bolivien und Nicaragua kritisieren, es seien politisierte Gremien, in denen Funktionäre ihre Kompetenzen überschreiten und die Souveränitat der Staaten verletzten. Ausserdem stünden sie im Dienst der USA, hiess es. Worauf ist diese heftige Kritik zurückzuführen?

JMV: Die linksgerichteten Staaten des Alba-Verbands unter Anführung von Venezuela haben schon vor einiger Zeit eine Offensive gegen das interamerikanische Menschenrechtssystem gestartet. Das ist insofern nicht verwunderlich, als es sich um Regierungen handelt, die nichts halten von Demokratie, Gewaltenteilung, Menschenrechten und Meinungsfreiheit. Sie möchten so viel Macht wie möglich haben, und die nationale und internationale Kritik stört sie, deshalb greifen sie auch immer wieder die Medien an. Sie hätten gerne Menschenrechtsinstitutionen, die ihnen applaudieren und sie über den grünen Klee loben.

SW: Damit sind sie schon recht weit geraten, immerhin wird das Thema auf Regionalniveau im Rahmen der OAS diskutiert...

JMV: Neu ist, dass sich auch Brasilien diesen Ländern angeschlossen hat. Kolumbien vertrat schon länger diese Linie und macht die Menschenrechtsorganisationen systematisch schlecht. Dass sich nun aber auch Brasilien der Kritik anschliesst, ist meiner Meinung nach auf eine Empfehlung der Menschenrechtskommission zurückzuführen, die Präsidentin Dilma Rousseff missfallen hat.Dabei ging es darum, die Auswirkung von Staudämmen im Amazonas auf die Ureinwohner zu prüfen, bevor mit dem Bau begonnen wird. Das brachte die brasilianische Regierung derart in Rage, dass sie ihren Botschafter aus der OAS abzog, ihre Beitragszahlungen aussetzte und ihren Kandidaten für den Vorsitz der Menschenrechtskommission zurückzog. Brasilia droht, erst dann in die OAS zurückzukehren, wenn die Menschenrechtskommission reformiert wird. Das ist sehr bedauerlich, denn immerhin reden wir hier von einem Land, das zu den Weltmächten gehören will.

SW: Und welche Länder verteidigen die Menschenrechtsinstitutionen?

JMV: Wenige. Mexiko, Chile, Uruguay, Costa Rica, Kanada und die USA. Argentiniens Position schwankt sehr stark. Argentinien hat unter der Diktatur sehr viel von den Menschenrechtsorganen profitiert, deren Massnahmen unzähligen Regimegegnern das Leben gerettet haben. Daher war Argentinien lange ein grosser Verteidiger der Einrichtungen. In letzter Zeit will sich Buenos Aires aber mit niemandem überwerfen, und am wenigsten mit Brasilien, so dass die Regierung nun sehr zurückhaltend ist.

SW: Ist es nicht etwas merkwürdig, dass die Kritik ausgerechnet von linken Regierungen ausgeht, wo es doch die Linke war, die während der Diktaturen in Südamerika jedes Urteil und jeden Bericht der Interamerikanischen Menschenrechtsorgane feierte.

JMV: In dieser Frage sind rechts und links irrelevant. Es gibt demokratische Regierungen und autokratische. Wir haben zum Beispiel in Chile eine rechte Regierung, die aber ihre internationalen Verpflichten in Sachen Menschenrechte sehr ernst nimmt. Und ein linksregiertes Land wie Uruguay, das eine der grossen Stützen der Menschenrechtsorgane ist. Ebenso findet man rechte und linke Staaten unter den Gegnern.

SW: Wie sehen denn die Reformen aus, die diese Staaten vorgeschlagen haben und welche Gefahr geht von ihnen aus?

JMV: Es geht darum, den Menschenrechten den Zahn zu ziehen.Man will der Kommission die Flügel stutzen, ihr weniger Geld geben, ihr Fakultäten entziehen und ihre als unbequem empfundenen Berichte in die Finsternis verdammen. Wie? Indem man den Staaten ein Jahr Zeit gibt, jeden Bericht zu prüfen und Anmerkungen zu formulieren, bevor der Bericht öffentlich gemacht werden kann. Das ist unzumutbar, gerade in Krisensituationen, in denen zum Beispiel dringende Schutzmassnahmen empfohlen werden. Wenn sich dieser Vorschlag des OAS-Generalsekretärs José Miguel Insulza durchsetzt, sind die Berichte bei ihrer Veröffentlichung veraltet und irrelevant.

SW: OAS-Generalsekretär Insulza spielt also eine eher unrühmliche Rolle?

JMV: Er ist derjenige, der im Mai vorgeschlagen hat, den bis dahin eingeschlagenen Weg zu verlassen, auf dem die Mitgliedsstaaten zwar Reformvorschläge vorlegten, es letztlich aber der Kommission überlassen blieb, diese zu prüfen und wenn sie ihr gut erschienen, umzusetzen. Damit blieb die Autonomie der Kommission unangetastet. Jetzt wurde beschlossen, dass die Staaten per Konsens entscheiden, welche Reformen wie umgesetzt werden müssen. Das ist ein herber Rückschlag für die Verteidiger der Menschenrechte.

SW: Aber ist die Kritik an den Organisationen nicht auch teilweise gerechtfertigt? So führt Venezuela an, dass die Menschenrechtskommission 2002 den Putsch gegen Präsident Hugo Chávez gut geheissen hat. Und Ecuador kritisiert, dass die USA zwar keine Reform des Systems wollen, aber selbst nicht einmal die Interamerikanische Menschenrechtskommission ratifiziert haben.

JMV: Dass die Kommission den Putsch unterstützt hat, ist eine Lüge, die dadurch nicht wahrer wird, dass Chávez sie gebetsmühlenartig wiederholt. Die USA sind in der Tat nicht Unterzeichner der Konvention, aber das entbindet sie nicht von ihren Verpflichtungen. Auch sie werden einer Prüfung durch die Kommission unterzogen und haben schon einiges an Kritik einstecken müssen, zum Beispiel am Gefangenenlager in Guantánamo oder wegen der Folterpraktiken unter der Regierung von George W. Bush. Ausserdem ist es völlig absurd zu behaupten, dass die Kommission ein US-höriges Organ sei. Dort sind Vertreter aller Länder Amerikas präsent, die zudem aufgrund ihrer persönlichen Erfahrung im Menschenrechtsbereich dort hinein gewählt wurden, und die ausdrücklich nicht ihre Heimatländer repräsentieren.

SW: Also machen Reformen keinen Sinn?

JMV: Doch, es gibt Reformen, die sinnvoll wären. Zum Beispiel den Haushalt erhöhen, damit die Kommission ihren Verpflichtungen besser nachkommen kann. Oder verschärfte Sanktionen, wenn ein Staat seine Auflagen nicht erfüllt. Momentan sind 80% der entschiedenen Fälle noch in der Schwebe, weil die Staaten ihren Verpflichtungen nicht vollständig nachkommen. Und gerade diejenigen, die am wenigsten tun, fordern nun Reformen.

SW: Sollten das Vorhaben gelingen und die Menschenrechtsorgane geschwächt werden, was hätte dies für konkrete Folgen für die Menschen?

JMV: Es wäre dann schwieriger, bei Bedrohungen durch den Staat internationalen Schutz zu erhalten. Die Entscheidungen dieser Menschenrechtsorgane hätten weniger Gewicht, und die Staaten könnten sich leichter über sie hinwegsetzen.

SW: Venezuela hat angedroht, sich von der Internamerikanischen Menschenrechtskonvention zurückzuziehen. Ist dies eine ernstzunehmende Drohung, und wie gross wäre der Schaden?

JMV: In der Tat prüft Venezuela diese Möglichkeit, und das wäre ein herber Rückschlag für die Venezolaner. Es gibt einen Präzedenzfall, das war Peru unter dem Diktator Alberto Fujimori.Wir müssen abwarten, ob Caracas diese Drohung wahr macht.Die Venezolaner verlören vor allem die Möglichkeit, den Menschenrechtsgerichtshof anzurufen. Bezüglich der Kommission würde sich kaum etwas ändern, denn selbst wenn die Regierung sich zurückzieht, ist sie weiter verpflichtet, die Menschenrechte zu beachten und ist weiterhin Überprüfungen unterzogen – so wie auch die USA, die ja ebenfalls nicht Mitglied der Konvention sind.

Sandra Weiss

Cookie Einstellungen

Erforderliche Cookies sind für den reibungslosen Betrieb der Website zuständig, indem sie Kernfunktionalitäten ermöglichen, ohne die unsere Website nicht richtig funktioniert. Diese Cookies können nur über Ihre Browser-Einstellungen deaktiviert werden.

Anbieter:

Bischöfliche Aktion Adveniat e.V.

Datenschutz

Marketing-Cookies werden verwendet, um Besuchern auf Webseiten zu folgen. Die Absicht ist, Anzeigen zu zeigen, die relevant und ansprechend für den einzelnen Benutzer sind und daher wertvoller für Publisher und werbetreibende Drittparteien sind.

Anbieter:

Google Ireland Limited

Datenschutz

Statistik-Cookies dienen der Analyse und helfen uns dabei zu verstehen, wie Besucher mit unserer Website interagieren, indem Informationen anonymisiert gesammelt werden. Auf Basis dieser Informationen können wir unsere Website für Sie weiter verbessern und optimieren.

Anbieter:

Google Ireland Limited

Datenschutz