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Brasilien |

Nunca mais - Nie wieder Diktatur

Der argentinische Friedensnobelpreisträger Adolfo Pérez Esquivel (1980 ausgezeichnet) über die mangelnde Aufarbeitung der Militärdiktatur in Brasilien, und warum Argentinien ein Vorbild für das Nachbarland ist.

Die Militärdiktatur, die Brasilien von 1964 bis 1985 beherrschte, basierte auf der US-Doktrin der Nationalen Sicherheit. Viele der Militärs wurden in der berüchtigten Escuela de las Américas in Panama ausgebildet, sowie auf Militärakademien in den USA. Das ideologische Konzept der Nationalen Sicherheit vermittelte in Brasilien die Oberste Kriegsschule (Escola Superior de Guerra), hier wurde es perfektioniert. Auch in anderen lateinamerikanischen Ländern diente es der Indoktrinierung der Streitkräfte, Stichwort “Plan Cóndor”.

Plan Cóndor – Netzwerk des Terrors

Die diktatorisch regierten Länder Brasilien, Argentinien, Chile, Paraguay und Uruguay bildeten ein Netzwerk des Terrors, das sich auch auf mittelamerikanische Staaten erstrecken sollte. Entführungen, Folter, Morde, Verschleppungen von Gefangenen von einem Land in ein anderes – so sah die Kooperation aus. Dies alles spielte sich vor dem Hintergrund des Ost-West-Konflikts ab, der Feind wurde im Inneren gewähnt. Die Streitkräfte verwandelten sich in Besatzungstruppen gegen das eigene Volk.

Pensionierte Militärs gehen auf die Barrikaden

Brasiliens Ex-Präsident Lula bekam den Druck von Teilen des Militärs zu spüren, als er die Einrichtung einer Wahrheitskommission beabsichtigte, die untersuchen sollte, was während der Militärdiktatur geschah. Es ist Besorgnis erregend und erstaunlich, dass einige pensionierte Militärs in Brasilien versuchen, die Konstituierung der Wahrheitskommission zu hintertreiben, die schon Gestalt in Form eines Gesetzes angenommen hat. Diese Militärs gehen auf Konfrontation zur Regierung von Präsidentin Dilma Rousseff, um über die Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen gegen das brasilianische Volk den Mantel des Schweigens zu legen und für die Täter Straffreiheit zu sichern.

Ich selbst wurde Opfer der Politik des „Plan Cóndor“, in mehreren lateinamerikanischen Ländern. Zweimal wurde ich in Brasilien verhaftet, das erste Mal 1975 am Flughafen in São Paulo, als wir ein Treffen lateinamerikanischer Bischöfe vorbereiteten. Beide Male verdankte ich meine Freilassung Dom Paulo Evaristo Arns, dem Erzbischof von São Paulo, weiteren Bischöfen, sowie religiösen Gemeinschaften und sozialen Organisationen.

Militär schadet sich selbst

Heute versucht der pensionierte General Luiz Eduardo Rocha Paiva, gemeinsam mit anderen Militärs, die sich im Ruhestand befinden, in Zweifel zu ziehen, was das brasilianische Volk unter der Diktatur erlitt. Es sollen Verdächtigungen erzeugt und die historische Wahrheit verdunkelt werden. Die Furcht vor der historischen Erforschung der Institution Militär fügt den brasilianischen Streitkräften aber schweren Schaden zu – nicht zuletzt den neuen Generationen, aus denen sie sich zusammensetzen.

Jedes Volk muss seinen eigenen Weg finden und seine demokratischen Institutionen stärken. Mit Nachdruck weise ich allerdings darauf hin, dass sich auf der Grundlage von Straffreiheit unmöglich eine Demokratie errichten lässt. Jene Länder, welche die Erinnerung verschleiern oder versuchen, sie zu ignorieren, verlieren ihre Identität und ihre Werte. Die Streitkräfte müssen den Mut aufbringen, ihre Rolle zu analysieren in dem, was in jedem Land während der Diktaturen geschah, und bei der Wahrheitssuche helfen. Sie dürfen nicht vergessen, dass sie ein Bestandteil des Volkes, und nicht eine von diesem getrennte Einrichtung sind.

Brasilien wartete über 25 Jahre auf Wahrheitskommission

Bis zu jenem Gesetz, das Ende 2011 die Wahrheitskommission ins Leben rief, war Brasilien das einzige Land in Lateinamerika, das keine Kommission gebildet hatte, um den Verbrechen der eigenen Diktatur nachzuforschen. Ein freies und souveränes Projekt ist aber grundsätzlich unmöglich für ein Land, wenn das Militär nicht daran beteiligt ist. Wir müssen die Mystik der Befreier, die für die Unabhängigkeit unserer Völker kämpften, wiedererlangen und an der regionalen Integration und jener des Kontinentes arbeiten. Wir müssen solidarisch sein und Präsidentin Rousseff unterstützen bei der Suche nach Wegen des Friedens zwischen den verschiedenen Gruppen des brasilianischen Volkes.

Vielleicht hilft ein Blick ins Nachbarland: Argentinien hat beispielhafte Fortschritte gemacht, was den Anspruch auf Wahrheit und Gerechtigkeit betrifft. Dies war möglich dank des unermüdlichen Kampfes von Menschenrechtsorganisationen, der Unterstützung der Gesellschaft, sowie des politischen Willens des argentinischen Ex-Präsidenten Néstor Kirchner und von Präsidentin Cristina Kirchner, die Straffreiheit zu überwinden. Dies ist der richtige Weg, damit wir niemals mehr das Grauen durchleben, den Tod und das Verschwinden von Menschen, von Kindern – Opfer der unheilvollen Politik, die unseren Völkern im Namen der Doktrin der Nationalen Sicherheit auferlegt wurde, um sie zu unterwerfen.

Quelle: adital

deutsche Bearbeitung: Bernd Stößel

 

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