Nichts geht mehr!
Es ist nicht ungewöhnlich für Präsidialdemokratien, dass Präsidenten in ihrer zweiten Amtszeit zu "lahmen Enten" werden. Es gibt kein Misstrauensvotum, um sie loszuwerden. Doch Rousseff lahmt nicht nur, sie liegt - politisch - im Koma. Erst im Oktober wiedergewählt, rangieren ihre Zustimmungswerte bei nur noch acht Prozent.
Zum einen bricht die Wirtschaft ein. 2015 drohen zwei Prozent Rückgang; 2016 könnte ähnlich grausam werden. Rousseff und Amtsvorgänger Luiz Inacio Lula da Silva haben den Staatsapparat so aufgebläht, dass nun sogar bei Bildung und Gesundheit gespart wird. Selbst bei Sozialprogrammen, den Markenzeichen der Arbeiterpartei, könnte es bald Einschnitte geben.
Gegen den Sparkurs rebellieren die Koalitionspartner und Dilmas eigene Parteibasis; im Kongress erleidet Dilma eine Niederlage nach der anderen. Brasilien droht die Unregierbarkeit. Dazu kommen Korruptionsskandale in den Staatsunternehmen, in die die PT und ihre Koalitionspartner verstrickt sind. Zwei Drittel der Bürger sind laut Umfragen inzwischen für ein Amtsenthebungsverfahren gegen Rousseff.
Zwar gibt es gegen sie selbst keine Beweise für Korruption. Doch soll sie die Haushaltsdaten ihrer ersten Amtszeit (2011-2014) geschönt haben. Sollten zudem Korruptionsgelder in ihre Wahlkampagne 2014 geflossen sein, könnte ihre Kandidatur rückwirkend für ungültig erklärt werden.
"Für mich stellt sich die Frage der Amtsenthebung nicht", sagt der Dominikaner Frei Betto, ein Weggefährte Dilmas und Lulas. "Vielmehr frage ich mich, ob Dilma diese Situation noch dreieinhalb Jahre erträgt", so der Befreiungstheologe. "Entweder wirft sie das Steuer herum, oder aber sie sagt, dass sie der Sache nicht gewachsen ist und nach Hause geht. Ich fürchte, dass Letzteres eintritt."
Korruption
Bereits 2005 stand die PT im Zentrum eines Skandals, als man Kongressabgeordneten Prämien für Abstimmungen zahlte. Spitzenpolitiker mussten ins Gefängnis, darunter Lulas Thronerbe und Mastermind Jose Dirceu. Er sei Opfer von Verleumdungen geworden, rief damals die Partei, die Dirceu wie einen Helden feierte. An seiner Stelle wurde die bis dahin unbekannte Rousseff zu Lulas Nachfolgerin aufgebaut.
Vor wenigen Tagen wurde Dirceu nun im Zuge der Korruptionsermittlungen um den Staatsbetrieb Petrobras erneut festgenommen. Anders als damals verteidigt heute niemand mehr den einstigen Parteichef. Millionensummen soll Dirceu in die eigene Tasche gesteckt haben - der GAU für die einst als moralische Instanz angetretene Arbeiterpartei. Bei den nächsten Wahlen drohe eine Kernschmelze an den Urnen, glauben selbst führende PT-Politiker.
Lahme Ente
Derzeit beantragen wegen Korruption angeklagte Politiker und Unternehmer Kronzeugenregelungen. Das könnte sogar Ex-Präsident Lula gefährlich werden, vermuten Experten. Wie 2005 versucht die PT, ihre Gegner nun als Putschisten darzustellen. Rousseff erklärte, dass sie das ihr per demokratischer Wahl zugesprochene Amt verteidigen werde. Zudem vertraue sie grundsätzlich nicht den Aussagen von "Kronzeugen". Dabei hatte sie selbst das neue Kronzeugengesetz 2013 in Kraft gesetzt.
In der vergangenen Woche verglich die Präsidentin die Ermittlungen gegen die PT gar mit jener Folter, die ihr als Guerillakämpferin in den 70er Jahren von den Militärs zugefügt wurde. Sie könne Druck aushalten, genau wie Ungerechtigkeiten, so Rousseff, die Medienberichten zufolge derzeit weder Zeitungen liest noch Nachrichten schaut. Auf öffentliche Auftritte verzichtet sie, nachdem einige Minister von wütenden Bürgern angefeindet wurden.
Aber: "Rousseff hat nicht das psychologische Profil einer Person, die zurücktritt", glaubt der Soziologe Claudio Couto. Bleibt sie im Amt, drohen dreieinhalb Jahre Stillstand. Brasilien würde selbst zur "lahmen Ente".
Quelle: KNA
Autor: Thomas Milz
Foto: Silvio Medeiros. CC BY-NC-ND 2.0