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Mexiko |

"Mexiko ist ein Paradies des Organisierten Verbrechens"

Der Jurist und Politologe Edgardo Buscaglia ist spezialisiert auf Internationale Kriminalität, lehrt an US-Universitäten wie Stanford und Georgetown und ist Gastprofessor der mexikanischen Universität ITAM. Mit ihm sprach unsere Korrespondentin Sandra Weiss.

In Mexiko sind seit neuestem bewaffnete Gruppen aufgeteten, die sogenannten „Matazetas“, die das Organisierte Verbrechen auf eigene Faust bekämpfen. Die Regierung sagt aber, es gäbe keinen Paramilitarismus, sondern es wären Killer eines gegnerischen Kartells. Wem soll man nun glauben?

Das ist eine Lüge für die Medien. Diese Regierung hat eine primär wirtschaftliche Vision von Politik und ist natürlich besorgt, dass die Investitionen in Mexiko durch eine Berichterstattung über Terroranschläge und Paramilitärs zurückgehen.

Worauf ist Ihrer Meinung nach die Gewalteskalation in Mexiko zurückzuführen?

Früher gab es in Mexiko eine einzige Staatspartei, die mit dem Organisierten Verbrechen paktiert hat und von ihm zum Teil finanziert wurde. Seit Ende der 60er Jahre hat sich diese absolute Kontrolle gelockert. Das politische System hat sich dezentralisiert und geöffnet, vor allem die Wahlen sind demokratischer geworden, aber zugleich ist die Kontrolle und die zentrale Lenkung verloren gegangen. Das hat Raum geschaffen für die Kartelle, die anfingen, untereinander um Gebiete und die Gunst der Politiker zu konkurrieren. So zerfiel Mexiko in ein undurchschaubares Puzzle, jedes Fragment wird von einer anderen Gruppe beherrscht mittels Gewalt und Korruption.

Dann ist Mexiko ein gescheiterter Staat?

Mexiko ist ein schwacher, korrupter Staat, und in einigen Gegenden ist er gescheitert.

Und die Gesellschaft hat sich zum Komplizen des Organisierten Verbrechens gemacht?

Teile der Gesellschaft sind marginalisiert, schutzlos und haben sich deshalb unter die Fittiche der Kartelle begeben, die ihnen Schulen, Strassen und Krankenhäuser bauen.

Die Antwort von Präsident Calderón war, dem Organisierten Verbrechen den Krieg zu erklären. Sie kritisieren dies als kontraproduktiv, warum?

Calderón war von Anfang an ein schwacher Präsident, der eine von Betrugsvorwürfen überschattete Wahl mit einem knappen Vorsprung gewonnen hat. Er hatte nicht den Rückhalt, die Reformen in Angriff zu nehmen, die wirklich nötig gewesen wären: Korruptionsbekämpfung oder die wirtschaftlichen Tentakel der Organisierten Kriminalität abzuschnüren. Wenn man Beispiele wie Italien oder Kolumbien nimmt, ist ganz klar, dass das Organisierte Verbrechen nur dann wirksam bekämpft werden kann, wenn man seine Logistik, seine Finanzstruktur, also seine wirtschaftliche Basis zerschlägt.

Aber einiges ist in dieser Hinsicht doch geschehen, Gesetze zur Bekämpfung der Geldwäsche, die automatische Verstaatlichung illegal erworbenen Vermögens...

Das ist eine Farce. In Kolumbien gibt es zehn Tatbestände, die zur Verstaatlichung krimineller Güter führen, in Mexiko zwei oder drei. Zum Beispiel ist die Tatsache, dass man die Herkunft seines Vermögens nicht rechtfertigen kann, kein Verstaatlichungsgrund. Das ist der starken Lobby der Kartelle im Parlament zu verdanken. Denn die Politiker sind zur Finanzierung ihrer Kampagnen auf die Unterwelt angewiesen.

Bis heute ist kein einziges kriminelles Wirtschaftsimperium im Rahmen eines Verfahrens wegen Geldwäsche zerschlagen worden. Das einzige was man vorweisen kann, sind beschlagnahmte Häuser, Yachten, Bargeld. Und die Bankenaufsichtsbehörde ist total damit überfordert, all die verdächtigen Kapitalbewegungen auch nur zu überprüfen. Außerdem wird sie von korrupten Staatsanwälten boykottiert. Mexiko ist ein Paradies für die Mafia.

Gibt es Zahlen über das Ausmass der Infiltration des Organisierten Verbrechens in Staat und Wirtschaft?

Wir haben dazu Studien erstellt und sind zu dem Schluss gekommen, dass 78 Prozent der mexikanischen Wirtschaftssektoren, zum Beispiel der Tourismus, die Landwirtschaft, die Pharmazie und die Bauindustrie, mit der Organisierten Kriminalität verflochten sind. Und in 65 Prozent aller Gemeinden wird der Wahlkampf teilweise aus illegalen Quellen finanziert.

Warum kommt Mexiko da nicht voran?

Weil die Kartelle alle politischen Parteien korrumpiert haben und es einen stillschweigenden Pakt der Straffreiheit gibt. Besonders geschickt angestellt hat sich dabei das Sinaloa-Kartell (von Joaquín „El Chapo“ Guzmán). Im Gegensatz zu all den anderen kriminellen Organisationen hatte dieses Kartell nur wenig Verluste im Drogenkrieg und genießt de facto staatlichen Schutz.

Ist Mexiko also auf dem Weg, ein zweites Kolumbien zu werden?

Der Ursprung der Gewalt in Mexiko und Kolumbien ist ein anderer. Aber wir haben immer mehr ähnliche Phänomene, zum Beispiel den Paramilitarismus. Die Bürger fühlen sich vom Staat verlassen und organisieren ihre eigenen Bürgerwehren. 2005 gab es in Mexiko zwölf paramilitärische Gruppen, heute 167.

Manche Kommentatoren glauben, dass 2012 nach den Wahlen die Gewalt zurückgehen wird, weil der nächste Staatschef eine andere Strategie wählen wird. Sehen Sie das auch so oder wird die Gewalt weiter zunehmen?

Zur wirksamen Bekämpfung der Gewalt brauchen wir eine wirksame Sozialpolitik, effektive Korruptionsbekämpfung, die Zerstörung der Schattenwirtschaft und eine Justiz- und Polizeireform. Aber so lange es keinen Konsens der wirtschaftlichen und politischen Elite gibt, wie vor einigen Jahren in Kolumbien und Italien, und den Willen, das selbsterschaffene Monster ernsthaft zu bekämpfen, wird die Gewalt weiter zunehmen. Die Erfahrung beispielsweise Kolumbiens hat gezeigt, dass so ein Konsens erst dann zustande kommt, wenn die Elite selbst Opfer der Gewalt wird, sprich, ihre Kinder entführt und ihre Golfclubs bombardiert werden.

Das Interview führte Sandra Weiss.

 

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