Bischöfliche Aktion Adveniat e.V.
Bolivien |

La Paz - Eine Stadt ohne Wasser

An einer Kreuzung in der Zona Sur von La Paz warten Menschen auf den LKW, der Wasser bringt. Foto: Laura Steinacher.
An einer Kreuzung in der Zona Sur von La Paz warten Menschen auf den LKW, der Wasser bringt. Foto: Laura Steinacher.

"Es regnet", brüllt meine Kollegin durchs Büro. Kaum eine andere Nachricht habe ich in den vergangenen Tagen und Wochen mehr herbeigesehnt! Schnell renne ich in unsere Wohnung und suche sämtliche Eimer und Gefäße heraus, stelle sie auf die Treppe vor dem Haus. Jeder Tropfen zählt.

Seit Tagen haben wir kein fließendes Wasser mehr in unserer Wohnung. Um zum Beispiel das Klo endlich mal wieder zu spülen sind wir nun auf Regenwasser angewiesen. Leider regnet und stürmt es nur für eine halbe Stunde - das zusammengekommene Wasser ist kaum nennenswert und wird nicht einmal den halben Spülkasten füllen. Nach regnerischen 30 Minuten bin ich also wieder auf dem Boden der Tatsachen angekommen: Ich befinde mich in La Paz und habe seit zehn Tagen kein fließendes Wasser mehr zur Verfügung. Es ist Dienstag, der 22. November 2016.

2010 hat die Vollversammlung der Vereinten Nationen das Recht auf Zugang zu sauberem Wasser als Menschenrecht anerkannt. Bolivien hat diese Resolution gemeinsam mit 33 anderen Staaten in die Vollversammlung eingebracht. Wasser ist also ein Menschenrecht und wir sind in unserem Alltag ständig darauf angewiesen: Wenn wir duschen, die Toilette benutzen, Hände waschen, beim Kochen, Abspülen, Wäsche waschen, putzen, …

Zudem ist dieses Recht eine Voraussetzung für viele andere wie das Menschenrecht auf Leben, angemessene Ernährung und medizinische Versorgung.

9. und 10. November 2016
Mehrere Nichtregierungsorganisationen (NGOs) veranstalten in La Paz gemeinsam einen Workshop mit mehr als 50 Personen. In der Anfangsansprache wird in einem Nebensatz erwähnt, dass die Klos nur im äußersten Notfall und nur zum urinieren benutzt werden dürfen - in La Paz und Cochabamba soll es bis zum Wochenende kein Wasser geben. Die Gründe dafür sind nicht bekannt, doch dies ist der Anfang der momentanen Wasserkrise in Bolivien.

12. und 13. November 2016
Wochenende - und immer noch kein Tropfen aus dem Wasserhahn, keine Dusche.
Sonntags erreicht uns eine Nachricht unserer Koordinatorin mit einem Plan, in dem die Stadt in drei Zonen aufgeteilt ist und nach dem jede Zone jeden dritten Tag Wasser haben sollte. Wir sollten an diesem Sonntag in unserem kleinen Apartment Wasser haben. Den ganzen Tag bewache ich die Wasserhähne und Duschen - kein Tropfen, nichts. Abends, um halb 12 Uhr, höre ich Wasser rauschen und tatsächlich: Wir haben fließendes Wasser! In einer nächtlichen Aktion spüle ich nach drei Tagen endlich wieder beide Klos, fülle alle vorhandenen Gefäße und Eimer mit dem dreckigen Wasser aus dem Wasserhahn auf, spüle das Geschirr ab, wasche meine Wäsche, putze Bad und Küche und habe schließlich gerade noch genug Zeit, um mich selbst zu duschen, dann ist das Wasser auch schon wieder weg. Ich habe jedoch noch Hoffnung, dass wir in drei Tagen wieder Wasser haben werden und so lange können wir mit den gesammelten Vorräten gut überleben - ich soll jedoch im Laufe der Woche feststellen, dass es das letzte Mal war, dass fließendes Wasser die Rohre in unserer Wohnung erreicht.

Nach und nach werden die Details der "Crisis de Agua" (Wasserkrise) bekannt. Die Stauseen und Lagunen des Unternehmens EPSAS, das für den Großteil der Wasserversorgung in La Paz verantwortlich ist, sind leer. In La Paz wurde erst bei fünf Prozent noch vorhandenem Wasser mit den Rationierungen begonnen, mittlerweile beträgt das Wasservolumen in manchen Teilen noch einen Prozent. Grund für den Wassermangel seien angeblich die außergewöhnliche Trockenheit und schlimmste Dürre in Bolivien seit 25 Jahren.

Erstaunlich ist jedoch, dass El Alto und das Zentrum von La Paz weiterhin fließendes Wasser haben - ihre Wasserversorgung wird von einem anderen Wasserunternehmen gestemmt. Nichts desto trotz ist auch hier das Wasser knapp und es erscheint unverständlich, warum nicht auch in diesen Gebieten wenigstens Maßnahmen ergriffen werden, um den kompletten Wasserstopp noch ein paar Wochen hinauszuzögern.
Außerdem sind mittlerweile auch andere Städte wie Cochabamba, Sucre und Potosi vom Wassermangel und den damit einhergehenden Rationierungen betroffen - sozusagen das ganze Land.

Samstag, 19. November 2016
Ein Bekannter kommt uns besuchen, zielstrebig läuft er auf den Wasserhahn zu, um sich die Hände zu waschen - vergeblich. Bereits seit einer Woche stehen unsere Rohre nun still. Kein Tropfen Wasser kommt mehr in unserem Apartment an. Die normalsten Dinge wie Händewaschen, Duschen und Abspülen werden unmöglich. In einer Woche ohne fließendes Wasser entwickelt man die kreativsten Überlebenstechniken um wenigstens einen Grundstandard an Hygiene aufrecht zu erhalten. Unsere Küche quillt langsam über mit den ganzen Schüsseln und Flaschen, in denen wir Regenwasser aus einem Loch in unserem Hof aufgefangen haben. Im Wohnzimmer stapelt sich der Trinkwasservorrat. 159 Liter - das soll für drei Personen für 2,5 bis 3 Wochen reichen - wir rechnen mit acht Litern pro Tag, allerdings ist da Zähneputzen und Gesichtwaschen schon inbegriffen.

Im Taxi haben wir diese Mengen in zwei Touren vom Supermarkt den Berg hoch befördert. Diesen Luxus können wir "Gringos" uns hier zum Glück leisten - viele andere Menschen in La Paz jedoch nicht. Wir sind bei weitem nicht die Einzigen, die unter akutem Leitungswassermangel leiden, doch in vielen anderen Haushalten funktioniert wenigstens der aufgestellte Plan bzw. funktionierte er wenigstens bis vergangene Woche.

Planmäßig sollten wir Mittwoch und heute Wasser haben. An beiden Tagen ist dies nicht der Fall, unsere Rohre bleiben trocken. Glücklicherweise hatten Bekannte in anderen Stadtteilen immer mal wieder Wasser, sodass wir dort für kurze Duschtouren alle drei bis vier Tage vorbeikommen konnten. Dies läuft dann grundsätzlich eher wenig entspannt und in etwa so ab: "Beeil dich. Bitte dusch' nicht zu lange, das Wasser könnte jeden Moment wieder weg sein und die anderen beiden müssen auch noch duschen!"

Heute haben wir zwar kein Wasser aus unseren Leitungen, doch auf dem Heimweg vom Markt haben wir in unserem Vorhof ein Wasserpfütze entdeckt. Nachdem wir einige Steine entfernen, kommt ein im Boden liegender Hahn zum Vorschein. Aus diesem können wir unsere Gefäße erneut auffüllen und auch wenn das Wasser sehr dreckig ist, so können wir es wenigstens zum Spülen der Toilette und abgekocht zum Abspülen des Geschirrs verwenden. Mit einer Suppenkelle befördern wir sogar den letzten Rest aus dem Loch in unsere Töpfe - es zählt jeder Tropfen!

Sonntag, 20. November 2016
Heute morgen haben wir erfahren, dass wohl bereits die ersten Diplomaten ausgeflogen werden und die deutsche Botschaft zum Anschaffen großer Mengen an Trinkwasser aufruft. Im Supermarkt gibt es bereits seit Tagen keine Wasserkanister mehr, große Flaschen sind auch schnell ausverkauft, gegen Abend sind die Regale wo sich normalerweise Wassermassen befinden, meist fast leer. Die Zona Sur, das Reichenviertel der Stadt, ist am längsten von der Wasserzufuhr abgeschnitten. Dies ist bereits am Geruch in dem Stadtviertel zu bemerken, überall liegt Müll herum, denn seit dieser Woche streikt auch die Müllabfuhr und es stinkt nach Fäkalien.

Auf dem Weg zu unserem Stammcafé, wo wir am Wochenende immer das WLAN nutzen, müssen wir uns durch eine Schlange quetschen, die Leute hier sind Mitarbeiter der umliegenden Cafés und warten mit riesigen Tonnen auf das Eintreffen eines Wasserlastwagens. Im Café selbst bekommen wir unseren Kaffee heute in Einmal-Plastikbechern serviert - Wasser zum Spülen gibt es nicht mehr. Auch die Toilette ist verbarrikadiert, denn Wasser für die Klospülung gibt es erst recht nicht.

Wieder zu Hause bekommen wir über Facebook mit, dass bereits die ersten Demonstrationen stattfinden. Die Bevölkerung macht ihrem Ärger Luft und skandiert lautstark "Evo No - Agua Si". Mehr Demonstrationen und Märsche sind bereits angekündigt. Mit Evo ist der Präsident Evo Morales gemeint, dem viele hier Versagen und schlechte Planung vorwerfen und ihn verantwortlich für die aktuelle Situation machen.

Montag, 21. November 2016
Eben dieser Präsident Evo Morales hat nun in einer Ansprache den nationalen Notstand ausgerufen. Er betont, dass kein Ende der Situation in Sicht sei - bis es regnet. Normalerweise beginnt die Regenzeit in Bolivien im November. Im Zuge des Klimawandels hat sich der Beginn jedoch über die Jahre nach hinten verschoben, sodass Januar und Februar die heftigsten Regenmonate sind. Morales ruft in seiner Rede weiterhin zum Wassersparen auf. Dies erscheint etwas lächerlich angesichts der Tatsache, dass viele Haushalte bereits seit über einer Woche kein fließendes Wasser mehr zur Verfügung haben. Er gibt weiterhin zu, dass sie bereits seit Mai über die kritische Situation Bescheid wissen.

Kurz nach Ausstrahlung der Rede beginnen internationale Medien mit der Berichterstattung. Auch das auswärtige Amt gibt eine Stellungnahme und Warnung heraus, in der zum Anschaffen von Trinkwasservorräten geraten und auf Protestveranstaltungen hingewiesen wird, die dringend gemieden werden sollen und weshalb auch Reisemöglichkeiten eingeschränkt werden könnten.

Im Laufe des Tages wird bekannt, dass bald auch der Strom weg sein könnte, da viele Teile von La Paz mit Strom aus einem Aggregat versorgt werden, das in einem der Stauseen liegt, dessen Pegel weiter stetig sinkt. Außerdem macht sich nun allgemeine Panik breit und die Leute beginnen, Lebensmittel zu horten, da diese wohl in den kommenden Wochen extrem teuer werden sollen.

Angesichts des sinkenden Hygienestandards ist es vermutlich nur noch eine Frage der Zeit, bis Krankheiten ausbrechen werden, vor allem da es sich viele Menschen schlicht nicht leisten können, Trinkwasser zu kaufen.

In unserer Wohngemeinschaft sind wir jedoch vorbereitet. Sämtliche Powerbanks sind geladen falls der Strom ausfällt und Kerzen stehen bereit. Wir haben einen Vorrat an Trinkwasser, mit dem wir zwei bis drei Wochen auskommen können und dreckiges Leitungswasser was bei Klospülen alle vier bis fünf Tage und Abspülen mit zwei Litern abgekochtem Wasser pro Tag ebenfalls solange reichen könnte. Wir waschen uns mit Feuchttüchern, für die Haare benutzen wir Babypuder. Den Tisch, Herd und die Oberflächen in der Küche putzen wir ebenfalls mit Feuchttüchern, um wenigstens ein paar Bakterien loszubekommen. Zum Händewaschen benutzen wir Desinfektionsmittel und gegen unseren eigenen Gestank Deo. Unsere leeren Gefäße haben wir im Hof aufgestellt - wir geben die Hoffnung auf Regen nicht auf!

Die Hoffnung allerdings, dass der improvisierte und aktualisierte Notfallplan der heute von dem Wasserunternehmen EPSAS herausgegeben wurde, wirklich eingehalten wird, haben wir verloren. Heute sollten wir von 17.30 Uhr an ein paar wenige Stunden Wasser haben. Punkt 17.30 Uhr drehe ich sämtliche Hähne und Duschen auf aber wie gewohnt - nichts. Unsere Wohnung wurde offensichtlich schon wieder vergessen und der Plan bei uns erneut nicht eingehalten. Neben den hygienischen Bedingungen und ganz zu schweigen auch von dem Zustand unserer Bäder und dem Gestank der ihnen entweicht - sind die psychische Belastung und das ständige Kreisen der Gedanken um dieses leidige und ausweglose Thema ein zusätzlicher Nervenraub. Es ist Dienstag, der 22. November 2016. Wir sind nun offiziell zehn Tage ohne Wasser und die angegebenen maximal 60 Stunden, die man auf Wasser verzichten muss, sind bei uns schon lange überschritten!

Text und Foto: Laura Steinacher.

Auf Twitter werden Tipps gegeben, wie man Wasser sparen kann:

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