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Kuba |

La Habana, mi amor!

Amerikanische Straßenkreuzer aus der Zeit vor der Revolution 1959 prägen das Strassenbild Havannas. Foto: Adveniat/Steffen
Amerikanische Straßenkreuzer aus der Zeit vor der Revolution 1959 prägen das Strassenbild Havannas. Foto: Adveniat/Steffen

Diego (Jorge Martínez) ist schwul und HIV-positiv. Die Tage verbringt er allein und ans Bett gefesselt in seiner maroden Wohnung im heruntergekommen Centro von Havanna, wo er zusammen mit seinem alten Schulfreund Miguel (Patricio Wood) lebt.

Wenn der abends müde von seiner Arbeit als Küchengehilfe nach Hause kommt, kocht er für Diego und verabreicht ihm seine Medikamente. Diego schwelgt währenddessen in Erinnerungen an seine verflossenen Liebschaften, wovon Miguel nichts wissen will. „Ich bin zwar im Arsch, aber meine Libido lebt“, erwidert ihm Diego spöttisch.

Anders als man vermuten mag, ist es der todkranke Diego, der in Fernando Pérez neuem Spielfilm „Letzte Tage in Havanna“ („Últimos días en La Habana“, 2016) Witz und Lebensfreude ausstrahlt. Den mürrischen Miguel interessiert indes nur, ob endlich Post für ihn gekommen ist er wartet schon Monate auf seine Ausreisegenehmigung. Solange sitzt er Abend für Abend am klapprigen Küchentisch vor der Landkarte von „La yuma“, der USA, und versucht Englisch zu lernen, was Miguel sichtlich schwer fällt. „Es will ihm einfach nicht in den Kopf“, kommentiert Diego das lakonisch. Als er Geburtstag hat, bittet er Miguel, ihm einen Jüngling von der Straße zu besorgen: „Heute Nacht will ich Genitalien in 3D sehen und dann sterben.“ Widerwillig begibt sich Miguel auf die Suche und kommt mit Pedro zurück. Doch als der knackige Junge nackt vor ihm steht, ist es Diego irgendwie zu viel, und er macht einen Rückzieher es wird stattdessen der Beginn einer Freundschaft zwischen ihm und dem jungen Stricher.

Filmlegende Pérez

Fast 25 Jahre nachdem Tomás Gutiérrez Alea mit „Fresa y chocolate“ („Erdbeer und Schokolade“) erstmals offen Homosexualität und ihre lange Unterdrückung auf der sozialistischen Karibikinsel im Film zeigte, greift auch Fernando Pérez das Thema auf. Dabei ging es ihm jedoch mehr um Freundschaft als um Homosexualität, räumt Pérez ein, der einst als Assistent bei Altmeister Gutiérrez Alea angefangen hat. Diegos Homosexualität stehe stellvertretend dafür, „wie wir in Kuba mit Menschen umgehen, die anders sind und denken“.

Der 1944 geborene Fernando Pérez ist der heute wohl renommierteste kubanische Regisseur der älteren Generation. Widmete er sich zunächst vor allem historischen Stoffen („Clandestinos“, 1987 und „Hello Hemingway“, 1990), kamen später Filme hinzu, die den magischen Realismus aufgriffen und gelegentlich den auf den Hund gekommenen tropischen Sozialismus auf die Schippe nahmen („Madagascar“, 1994 und „Das Leben ein Pfeifen“, 1998).
Seinen neuen Film inszeniert Peréz nun überwiegend als Kammerspiel in der kleinen Wohnung Diegos, eingefangen in wohl komponierten, dunklen Bildern vom Kameramann Raúl Pérez Ureta, mit dem Pérez bereits seit „Madagascar“ zusammenarbeitet und der Diego manchmal wie eine leidende Christus-Figur erscheinen lässt.

Wie der Schriftsteller Leonardo Padura gehört Pérez zu den kubanischen Kulturschaffenden, die sich die Freiheit erkämpft haben, weitgehend ohne staatliche Interventionen arbeiten zu können und sich dabei, ohne plakativ zu sein, durchaus auch kritisch mit den Verhältnissen in ihrer Heimat auseinandersetzen. Kritisch, aber auch mit Humor. Wer zum Beispiel darum weiß, unter welch prekären Bedingungen Krankenhäuser in Kuba längst arbeiten, wird die Ironie verstehen, wenn gleich zum Einstieg von „Letzte Tage in Havanna“ in den Nachrichten im schönsten Bürokraten-Sprech von der bevorstehenden „Perfektionierung des Gesundheitswesens“ auf Kuba die Rede ist.

Arbeit an neuem Filmgesetz

Fernando Pérez hat mit anderen kubanischen Filmschaffenden jahrelang an einen Entwurf für ein neues Filmgesetz gearbeitet. Das soll vor allem den ungeklärten rechtlichen Status der unabhängigen Regisseure und Produzenten definieren, was insofern dringlich ist, als das notleidende kubanische Filminstitut ICAIC nur noch in der Lage ist, einige wenige Filme pro Jahr fertigzustellen, während die kommerzielle staatliche Einrichtung RTV Comercial laut Gerüchten davon träumt, Havanna als neuen Produktionsort für internationale Telenovelas zu etablieren und damit an die Tradition anzuknüpfen versucht, als die Stadt seit den 1940er Jahren den gesamten Kontinent mit kitschigen Radionovelas versorgte. Auch Pérez Filme können ohne ausländisches Geld nicht realisiert werden, „Letzte Tage in Havanna“ wurde etwa von der spanischen Firma Wanda Vision koproduziert.

Mit dem Film knüpft Pérez an „Suite Habana“ von 2003 an sein wundervolles Porträt Havannas, das zwölf Menschen in ihrem Alltag begleitet, ganz ohne Dialoge auskommt und nur mit Geräuschen arbeitet. Auch in „Letzte Tage in Havanna“ lässt einen die Tonspur zwischendurch ins pralle Leben Havannas eintauchen, wenn die Kamera Miguel durch sein labyrinthartiges Wohnhaus und die sonnengefluteten Straßen folgt. Die Nebenfiguren überzeugen ebenfalls außer Cristian Jesús Pérez als Pedro auch Gabriela Ramos als Diegos aufmüpfige wie liebenswerte junge Nichte Yusi: Als sie schwanger wird, nistet sie sich mit ihrem Freund plötzlich in der Zweier-Zweck-WG ein und ringt Diego das Versprechen ab, dass sie die Wohnung nach seinem Tode übernehmen dürfe.

Den Wortwitz des kubanischen Slang im Original können die deutschen Untertitel allerdings manchmal nicht wiedergeben etwa, wenn Pedro davon erzählt, dass er aus dem Oriente komme, dem armen Osten Kubas. Das wird als „Landei“ übersetzt, wo Diego doch von „palestino“ gesprochen hatte so despektierlich nennen die Habaneros all die Zuwanderer, die aus dem Oriente massenhaft in Kubas Hauptstadt kommen.

Havanna im Herzen

Fernando Pérez hat ein Privileg, das alle Kubaner gerne hätten: Er kann das Land jederzeit verlassen und wiederkommen. Allerdings betont Pérez immer wieder, dass Havanna der einzige Ort sei, an dem er leben möchte. So ist „Letzte Tage in Havanna“ vor allem eine Liebeserklärung an die Stadt und ihre Bewohner. Trotz der bröckelnden Fassaden und eines erstarrten Systems, trotz all seiner Widersprüche, sprühe Havanna, so Pérez, „im Guten wie im Schlechten“ vor einer geradezu „explosiven Energie“.

Der Artikel erschien zuerst in einer gekürzten Version in der Printausgabe der taz, die Tageszeitung.

Autor: Ole Schulz

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