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Brasilien |

Kult-Regisseur Nelson Pereira dos Santos gestorben

Er galt als Pionier des neuen brasilianischen Kinos, des "Cinema Novo", das die 1950er und 60er Jahre in Brasilien prägte. Sein Meisterwerk "Nach Eden ist es weit" (1963) über eine Viehtreiberfamilie auf der Flucht vor der großen Dürre des Jahres 1941 wurde in Cannes 1964 als bester Film nominiert. Am Samstag starb der Regisseur, Drehbuchautor und Produzent Nelson Pereira dos Santos mit 89 Jahren in Rio de Janeiro an Leberkrebs.

Er ist kaum auszuhalten, der klagende Kreissägenlaut in der Anfangssequenz von "Nach Eden ist es weit". Über die karge Steppe kommt die Familie mit zwei kleinen Jungen und der abgemagerten Hündin "Baleia" auf den Zuschauer zu. Die Schwarzweißbilder hat Dos Santos überbelichtet. Er filmte, als die Sonne am höchsten stand. Das Quietschen, das von dem schleifenden Holzrad eines Ochsenkarren stammt, und die gleißenden Bilder sind ein Anschlag auf die Sinne des Zuschauers. Dazu das schier unerträgliche Schweigen der Figuren - aber was sollen sie auch sagen? Es ist klar, nur die Gnade des Großgrundbesitzers kann sie vor dem Verhungern retten. Sie flehen ihn um Arbeit an, geben ihre Würde preis.

Der Film zeigt das politische und ästhetische Anliegen des vom italienischen Neorealismus eines Roberto Rossellini und Luchino Visconti sowie dem französischen "Nouvelle Vague" beeinflussten "Cinema Novo": Filterlos soll Brasiliens Brutalität und Hoffnungslosigkeit dargestellt werden. Später brachte es der brasilianische Regisseur Glauber Rocha (1939-1981) auf den Punkt: "Eine Kamera in der Hand und eine Idee im Kopf". Mehr brauchte das "Cinema Novo" nicht. "Vidas Secas", so der Originaltitel von "Nach Eden ist es weit", heißt soviel wie "verdorrtes, ausgetrocknetes Leben". Die Brutalität der Umwelt ist hier längst auf die Bauernfamilie übergesprungen. Die sympathischste Figur, die Hündin "Baleia", wird von ihrem Herrchen wegen Verdacht auf Tollwut erschossen. Selten wurde ein Tod quälender gezeigt, "Baleia" ahnt ihr Schicksal, doch der Gehorsam macht die Flucht unmöglich. Sie ergibt sich ihrem Schicksal, so wie es die Armen Brasiliens tun.

Er wollte Licht auf Brasilien werfen

Ein Ausgeliefertsein, das Dos Santos bereits 1955 in "Rio bei 40 Grad" zeigte. Darin begleitet er Kinder aus dem Slum auf ihrem Weg in die Nobelviertel, wo sie Erdnüsse verkaufen. Er wolle endlich "Licht auf Brasilien werfen", sagte Dos Santos dazu. Dazu motiviert hatten ihn Vertreter des brasilianischen Modernismus wie der Schriftsteller Oswald de Andrade (1890-1954), der Maler Di Cavalcanti (1897-1976) und der Komponist Heitor Villa-Lobos (1887-1959). "Da fehlte nur noch das Kino, um das Land fertig zu bauen", so Dos Santos.
Doch die Militärdiktatur (1964-1985) beendete vorerst die Modernisten-Träume von einem gerechteren Brasilien. Der gelernte Jurist und Journalist Dos Santos machte derweil Dokumentarfilme über das Elend. Seine groteske Spielfilmadaptation von Hans Stadens Kannibalengeschichte, "Wie gut schmeckt denn mein kleiner Franzose" (1971), blieb wegen der nackt abgefilmten Ureinwohner fast in der Zensur stecken. In Berlin feierte man den Film und nominierte ihn 1971 für den Goldenen Bären. Für das nicht-brasilianische Publikum waren Dos Santos Filme oft verwirrend, ihre Symbolik schwer verständlich, wie "Das dritte Ufer des Flusses" (1994), in dem ein Mann sich vor der Welt auf ein in der Mitte eines Flusses liegendes Kanu zurückzieht. Trotzdem überhäufte ihn die internationale Filmgemeinde mit Preisen.

Zum Ende seines Lebens drehte Dos Santos Dokumentarfilme über die Figuren, die in seiner Jugend für den Aufbruch in ein besseres Brasilien standen: den Bossa-Nova-Maestro Antonio Carlos "Tom" Jobim (1927-1994) und den Soziologen Sergio Buarque de Holanda (1902-1982). Es muss ihn geschmerzt haben, wie seit 2013 die wirtschaftlichen, sozialen und ethisch-moralischen Krisen der brasilianischen Gegenwart diese Träume ein zweites Mal zunichte machten. Vielleicht hat er aber auch geahnt, dass Brasilien jeglichen Besserungsversuchen widersteht. "Nach Eden ist es weit" endet mit dem Aufruf der Bauersfrau, für die Kinder eine bessere Zukunft zu schaffen. "Wir müssen endlich aufhören, uns im Gestrüpp wie Tiere zu verstecken. Irgendwann müssen wir doch Menschen werden." Doch der Mann entgegnet trocken: "Nein, wir können das nicht." Dann setzt wieder der quietschende Kreissägenton ein.

Quelle: KNA

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