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Brasilien |

Kampfanzug und Papageienschaukel

In Brasilien arbeitet eine Wahrheitskommission Verbrechen der Militärregimes (1964-1985) auf. Neues Filmmaterial zeigt: Auch Amazonas-Indigene wurden von der Diktatur als Polizei-Hilfstruppen rekrutiert, in Foltertechniken ausgebildet und gegen das eigene Volk eingesetzt.

Der Film ist ohne Ton und schummrig. Anfang November 1971 in Brasilien. Belo Horizonte, Hauptstadt des Bundesstaates Minas Gerais im Südosten des Landes. Das Militär regiert mit eiserner Hand. In Kampfuniform, mit Springerstiefeln, den Arm zum Führergruß in den blauen Himmel gereckt, marschieren Angehörige vom Volk der Maxacali, Carajá, Xerente und Kraho am Innenminister der machthabenden Militärjunta, José Costa Cavalcanti, vorbei. Zwei Mitglieder der frisch gegründeten »Indigenen Landwache« (GRIN) tragen einen »Pau de Arara«. Dicht über dem Asphalt baumelt, an einen Ast gebunden, Kopf-nach-unten, ein Mann. Schon die portugiesischen Kolonialherren nutzten die Foltermethode der »Papageienschaukel«. Zur Bestrafung von Sklaven, um an Informationen zu kommen oder Widerstand zu brechen. Die langhaarigen Männer sind allesamt Stammesangehörige aus der Umgebung. Jetzt arbeiten sie als eine Sonderheit der Polizei, 250 Cruzeros Novos, heute rund 370 Euros, ist der Monatssold. Mit Schlagstöcken und Armeemützen, diszipliniert in Reih und Glied, zeigen die 84 Männer, was sie während der dreimonatigen Ausbildung gelernt haben: Die Staatsgewalt der Junta auch in den Indigenen-Gebieten durchzupeitschen und »kommunistischen Tendenzen« Einhalt zu gebieten. Historiker betonen, dass GRIN vor allem gegen die eigenen Leute eingesetzt wurden. Bei Zwangsvertreibungen, Razzien und Massenverhaftungen. Tausende Indigene seien zu Militärzeiten massakriert worden, so inoffizielle Schätzungen.

Neuer Blick auf Brasiliens Geschichte

Gnadenlos hält die Kamera des deutschstämmigen Dokumentarfilmes Jesco von Puttkammer auf die Szenerie. Zu Demonstrationszwecken wird ein Mann durchsucht, mit Tritten zu Boden geworfen und fixiert. Puttkammer, der nach dem Zweiten Weltkrieg als Fotoreporter für die BBC und National Geographic über Brasiliens indigene Völker Bekanntheit erlangte, war an diesem Tag im Auftrag der nationalen Indigenenbehörde FUNAI vor Ort. Über 41 Jahre alt sind die Bilder, in Brasilien sorgt der Dokumentarfilm für Aufmerksamkeit und Verwirrung. Neu ist der Blick, den die Aufnahmen auf die jüngste Geschichte Brasiliens erlauben. 1964 war der demokratisch gewählte Präsident Joâo Goularts von der heimischen Elite in Politik, Wirtschaft und Militär aus dem Amt geputscht worden. Mit seinen Reformversuchen, etwa die Nationalisierung ausländischer Unternehmen, hatte Goularts mitten im Kalten Krieg eine rote Linie überschritten. Mit Hilfe Washingtons, US-Marineverbänden und der CIA drehten die alten Machthaber das Rad der Geschichte gewaltsam zurück. Parteien, Gewerkschaften und Kirche sind gleichgeschaltet, übrig bleibt nicht mehr als eine Fassade von Recht und Demokratie.

Dunkle Beziehungen zwischen Diktatur und Indigenen

Auch FUNAI und einige Indigenen-Völker, dafür stehen die Aufnahmen Zeuge, ließen sich vor den Karren der Generäle spannen. »Ich habe viele alte Filme von 1920, 30, 40, 50, 60 gesehen. Szenen wie diese mit dem »Pau de Arara« aber sind nie aufgetaucht«, erklärt die Anthropologin Sylvia Caiuby Novaes von der Universität Sao Paulo gegenüber der Tageszeitung »Folha«. Bisher habe man die Indigenen nur als Opfer von Krankheit, Fortschritt und Raubbau an der Natur gesehen. Oder sie stillten als »Postkarten-Indios« aus einer fernen Welt jenseits der Städte die Neugierde nach dem Unbekanntem. »Sie waren das, was wir nie wieder werden konnten, ein Abbild unserer Andersartigkeit. Sie lebten im „Urwald“, rein und nahe der Natur«, beschreibt die Wissenschaftlerin das Bild vom »Guten Wilden«. Von Puttkammers wiederentdeckte Aufnahmen stellen diesen Blick in Frage, findet Caiuby. Sie zeigen eine bisher unbekannte, »dunkle Phase im Kontakt zwischen dem brasilianischen Staat und Indigenen-Gruppen«.

Totengräber von Demokratie und Menschenrechten

Alte Zeitungsberichte zeigen, General Cavalcanti war mit der Parade seiner indigenen Kämpfer zufrieden. »Nichts macht mich so stolz wie Pate der Ausbildung der Indigenen-Garde zu sein, und ich bin sicher, dass dieses intensive Training ein Beispiel für alle Länder der Welt sein kann«, zitiert ein Lokalblatt damals den Minister nach der Parade. In ihrem Kampf gegen Regimegegner brauchte die Diktatur jeden Mann. Als Totengräber von Brasiliens Demokratie hatte der in Nordamerika ausgebildete Innenminister 1968 ein Dekret ausgearbeitet, dass Staatspräsident und Junta ohne Parlament und Wahlen die willkürliche Ernennung und Absetzung von Politikern erlaubte. Missliebigen Bürgern wurde auf Befehl der Obristen das Grundrecht auf freie Wahl von Beruf, Wohnort, Eigentum oder Meinungsfreiheit entzogen. Anfang der 1970ger Jahre ist die Macht der Junta auf ihrem Höhepunkt. Die Wirtschaft boomt, trotz Wachstumsraten von zehn Prozent leiden so viele Brasilianer wie nie Hunger, Armut explodiert, die Oberschicht reibt sich die Hände. Über 12.000 Menschen sitzen wegen ihrer politischen Opposition zum Regime in Haft. Hunderte wurden über die Jahre am hellichten Tag abgeholt, verschwinden oder werden in den Geheimgefängnissen, die über das ganze Land verteilt sind, zu Tode gefoltert.

Zeuge der Menschenverachtung

Wenige Jahre zuvor hatte Filmemacher von Puttkammer hatte Repression und Gewalt am eigenen Leib erfahren. Geboren in Brasilien studierte der Adlige im schlesischen Breslau. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges verhaftete ihn die Gestapo wegen Spionageverdacht, der Chemie-Student wurde unter Folter verstümmelt, warum er auch keine Kinder bekommen konnte. Nach dem Krieg fotografierte der traumatisierte Adlige die Nürnberger Kriegsverbrechertribunale und den Bau von Brasiliens neuer Hauptstadt Brasília, die der deutsche Architekt Oscar Niemeyer in den Dschungel treiben ließ. In den 1960er Jahren dann nahm Puttkammer erstmals an einer Expedition zu indigenen Völkern teil, die in Zentralbrasilien in Isolation lebten. In Belo Horizonte war die Menschenverachtung wieder hautnah zu spüren: In Gefängnissen und Konzentrationslagern hatten auch die Nazis die »Papageienschaukel« eingesetzt.

Brasiliens Indigene: Mehr Opfer als Täter

Menschenverachtend war auch die Entwicklungsdiktatur in den Tropen. In Resplendor in Minas Gerais hatte die Diktatur eigens ein Folter- und Zentrum für Menschenexperimente eingerichtet. »Das war ein ethnisches Konzentrationslager«, klärt der Anthropologe Benedito Prezia vom der Katholischen Kirche nahestehenden »Indigenen Missionsrat« gegenüber »Folha« auf. Indigene, die sich gegen Straßen und Staudämme der Diktatur stellten, landeten hier, fielen Zwangsarbeit, Forschung und »Umerziehung« zum Opfer. Widerstand indigener Amazonas-Bewohner, etwa beim Bau der Überlandstraße BR-174, räumte die Diktatur mit Maschinenpistolen, Granaten und Dynamit aus dem Weg. Über 3000 Indigene sollen für die Straße, die Rohstoffe aus den entlegenen Gebieten in die Fabriken bringen sollte, gestorben sein.

Verstaubter Film aus dem Indio-Museum

Dass Indigene auch Täter waren ist ein Schock. »Ich war einfach nur perplex, als ich die Filmaufnahmen gesehen habe«, schildert ein Radiojournalist aus Sao Paulo seine ersten Eindrücke. Mitte November hatte die von politischen Häftlingen gegründete und von der Europäischen Union finanzierte Nichtregierungsorganisation »Tortura Nunca Más« (TNM) (deutsch: Nie wieder Folter) das Material veröffentlicht und zusammen mit tausenden Dokumenten an die neu gegründete Wahrheitskommission überreicht. Unbeachtet war der Skandalfilm mit dem Titel »Arara« im »Indio-Museum« von Rio de Janeiro verstaubt, bis ihn Marcelo Zelic, TNM-Vize-Präsident und Mitglied der Kommission für Gerechtigkeit und Frieden der Diözese São Paulo in den Archiven fand.

Wahrheitskommission gegen Generäle

Paulo Sergio Pinheiro ist Mitglied der Wahrheitskommission, die Präsidentin und Ex-Guerillera Dilma Rousseff gegen Widerstand des Militärs letztes Jahr ins Leben gerufen hat: »Das öffnen dieses Käfigs voller Knochen ist für Brasiliens Gesellschaft ein Novum, die Wahrheitskommission hat darum eine eigene Arbeitsgruppe über die Indigenen«, so Pinheira. Argentinien und Uruguay haben Verantwortliche der Diktatur-Verbrechen längst hinter Gitter gebracht Ein Amnestie-Gesetz hat in Brasilien bis heute Gerechtigkeit verhindert. Die Indigenen-Garde wurde Ende der 1970ger Jahre aufgelöst: nach massenhaften Beschwerden über Vergewaltigungen und Machtmissbrauch waren die indigenen Kollaborateure in Uniform der Junta über den Kopf gewachsen.

Autor: Benjamin Beutler

Szene aus dem Filmmaterial, das die Wahrheitskommission in Brasilien ausgewertet hat.

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