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Jeden Tag drei Tote durch Querschläger in Rio de Janeiro

Im ersten Halbjahr 2017 wurden 632 Personen in Rio von Querschlägern getroffen, statistisch gesehen sind das mehr als drei Menschen pro Tag.
Im ersten Halbjahr 2017 wurden 632 Personen in Rio von Querschlägern getroffen, statistisch gesehen sind das mehr als drei Menschen pro Tag.

Arthur hat das Leben seiner Mutter gerettet, als ungeborenes Kind im Mutterleib, sagen die Ärzte. Jetzt wollen sie auch seines retten. Am 30. Juni traf eine verirrte Kugel den Fötus im Uterus der Mutter, per Not-Kaiserschnitt kam Arthur zur Welt. Die Kugel hatte ihn am Kopf getroffen, dann die Schulter durchschlagen und die Wirbelsäule verletzt. Dabei bremste die Kugel derart ab, dass Mutter Claudineia überlebte. Vielleicht wird er nie gehen können, vielleicht überlebt er die nächsten Tage nicht.

Derzeit spielt das Schicksal mit den Bewohnern der Armenviertel von Rio de Janeiro "Russisches Roulette". Mal überleben die Opfer, wie eine 14-Jährige, die am Mittwoch beim Spielen in der Schule einen Lungenschuss bekam. Andere haben weniger Glück, wie der Zehnjährige, der am Dienstag in seinem Haus einen Kopfschuss erlitt. Oder der 59-Jährige, der am Freitag bei den Vorbereitungen für ein Straßenfest getroffen wurde.

In den ersten sechs Monaten dieses Jahres wurden 632 Personen in Rio von Querschlägern getroffen, statistisch gesehen sind das mehr als drei Menschen pro Tag. Mindestens 67 starben durch die Kugeln.

Fehlende Sicherheitspolitik

Die Fälle konzentrieren sich auf die Peripherie sowie die großen Favela-Komplexe im Zentrum. "Für diesen Teil der Bevölkerung gibt es keine Sicherheitspolitik", sagt die Anthropologin Ana Paula Miranda. "Wir haben lediglich eine Politik der Konfrontation in bestimmten Regionen der Stadt."

Meist geraten Unbeteiligte ins Kreuzfeuer von Drogenbanden und Polizei. Oder sie werden Opfer wild um sich schießender Krimineller, wie zum Beispiel Claudineia und Arthur.

Unbeteiligte geraten in Kugelhagel

Wütend sind die Bewohner jedoch vor allem auf die Polizei. Oft treffen ihre Kugeln Unbeteiligte. Wie die zehnjährige Vanessa, die letzte Woche in der Favela "Camarista Meier" erschossen wurde. "Es war kein Querschläger, sondern Mord", so ihr aufgebrachter Vater.

Laut Polizisten der Befriedungstruppe UPP, die in dem Viertel stationiert ist, hatte sich ein Bandit aus dem Haus heraus einen Schusswechsel mit den Beamten geliefert. Sieben Einschusslöcher seien in seinem Wohnzimmer, so Vanessas Vater, der den Abzug der Polizei aus dem Viertel fordert. "Die UPP funktioniert nicht mehr", sagt er. "Noch nie habe ich so viele Morde an Unschuldigen und an Polizisten gesehen. Ich will hier keinen Banditen verteidigen, sondern das Leben der Personen hier."

Fehlendes Polizeipersonal

Längst steht fest, dass die 2008 eingeleitete Befriedungspolitik der Favelas gescheitert ist. Rio ist pleite, und nach und nach kehren die Drogenbanden in die Favelas zurück. Unter den Polizisten, die oft lange auf ihren Sold warten, herrscht Frust. Im Frühjahr konnte ein Polizeistreik gerade noch verhindert werden.

Es ist nicht alleine das Geld. In diesem Jahr sind 85 Polizisten erschossen worden. Kein Wunder, dass immer mehr Polizeibeamte die Frühpensionierung suchen. So sank die Personalstärke im ersten Halbjahr um 1.300 Beamte. Gleichzeitig sind mehr als die Hälfte der Polizeifahrzeuge, etwa 3.500, nicht einsatzbereit, da kein Geld für Ersatzteile da ist.

"Polizei schießt sich den Weg frei"

Rios Polizei habe längst die Kontrolle verloren, nicht nur über die Situation, sondern auch über sich selber, sagt Daniel Cerqueira vom Wissenschaftsinstitut IPEA. "Jede Einheit, jedes Bataillon führt seine Einsätze durch und schießt sich dann den Weg frei. Dabei töten sie und werden getötet. Wir erleben eine wahre Anarchie in Rios Sicherheitssystem."

Derzeit haben die Polizisten die Anweisung, nur in Notfällen aktiv zu werden. Möglichst solle man sich aus Situationen heraushalten, die zu Feuergefechten in Wohnvierteln führen könnten, so eine Anweisung von letzter Woche. Wie das umzusetzen ist, steht jedoch in den Sternen.

Neues Sicherheitskonzept soll helfen

Das weiß auch Rios Sicherheitssekretär Roberto Sa. Deshalb kündigte er nun ein neues Konzept zur Kriminalitätsbekämpfung an. Zudem müsse man die Beamten besser auf ihre Einsätze in Wohnvierteln vorbereiten.

Doch Sa ging noch weiter. Bei einem Fernsehauftritt verkündete er: "Sicherheit zu schaffen, ist schon schwierig mit Geld. Aber stellen Sie sich vor, wie das erst ohne Geld aussieht."

Quelle: KNA, Autor: Thomas Milz.

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