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Guatemala, Mexiko |

"Ist es nicht eine Schande?"

Mehrere hundert Guatemalteken aus dem Peten sind nach Mexiko geflüchtet. Sie campieren unweit der Grenze. Männer, Alte, viele Frauen und Kinder. Ihre Hütten in Guatemala stehen nicht mehr, sie wurden von Polizei und Behörden zerstört. Das weckt ungute Erinnerungen ‒ auch wenn die Regierung dementiert.

Die Gemeinde mit dem Namen „Neue Hoffnung“ gibt es nicht mehr. Die Bewohner von Nueva Esperanza wurden am vergangenen 23. August von Armee, Polizei und Mitarbeitern der Behörde für Naturschutzgebiete (CONAP) vertrieben. Im „Beisein von guatemaltekischem Personal der Menschenrechtsbehörden wurde die Anweisung zur Vertreibung ausgeführt, wobei Gewalt angewendet wurde. Man brannte ihre Häuser nieder, die Schule, das Gesundheitszentrum", heißt es in einer Erklärung des Menschenrechtszentrums Usumacinta (CDHU), an das sich die Vertriebenen am 28. August gewandt hatten.

Nur Zwanzig Minuten

In dem Dorf unweit der mexikanischen Grenze, auf dem Gebiet des Nationalparks Sierra del Lacandón im Department Peten, lebten laut CDHU 100 Männer, 96 Frauen, 60 Kinder und 30 Alte. Ungefähr 200 Vertriebene flohen über die Grenze und campieren seither im mexikanischen Ort Tenosique im Bundesstaat Tabasco, heißt es in ersten Presseberichten. Nur wenige ihrer spärlichen Besitztümer konnten sie mitnehmen. Mit Ästen und Zeltplanen schufen sie sich notdürftige Unterkünfte. Hilfe erhalten die Vertriebenen nach Angaben der guatemaltekischen Tageszeitung „Prensa Libre“ vom Internationalen Roten Kreuz und den mexikanischen Behörden.

Nur zwanzig Minuten hätten ihnen die Soldaten zum Zusammenpacken ihrer Habseligkeiten gelassen, berichtet eine Frau mit acht Kindern gegenüber der mexikanischen Presse. Sie habe es erst nicht glauben wollen, doch als die Soldaten Benzin ausgegossen und Feuer gelegt hätten, sei ihr klar geworden, dass es bitterernst sei.

Regierung dementiert gewaltsame Vertreibung

Die guatemaltekische Regierung hingegen erklärt, es habe keine Gewaltanwendung bei der Vertreibung gegeben. Laut Prensa Libre unterstrich Präsident Colom, es sei nur die richterliche Anordnung zur Räumung des Schutzgebietes befolgt worden. Sowohl die Linke wie die Rechte in Guatemala würden derartige Situationen nun ausnutzen, um das Land und seine Institutionen in den Schmutz zu ziehen. In Guatemala wird am 11. September gewählt.

Armeesprecher Rony Urizar bestätigte zwar die Beteiligung der Armee, doch habe man die Zivilkräfte nur "aus der Ferne“ begleitet. Zu keinem Zeitpunkt hätte es physischen Kontakt zwischen den Soldaten und den Bewohnern gegeben.

Seit im Mai dieses Jahres Zetas 27 Bauern umbrachten, befindet sich die Region Petén erneut im Ausnahmezustand. Die Region wurde seither mit hunderten Polizisten und Soldaten militarisiert. Diese können in jeder Gemeinde ohne richterliche Anordnung „Untersuchungen“ durchführen oder Versammlungen auflösen.

Behörden argumentieren mit Verstrickung in Drogenhandel

Kabinettschef Carlos Menocal erklärte am 25. August auf einer Pressekonferenz, man habe die Bauern vertrieben, weil sie für den Drogenhandel arbeiteten. Rubel Mauricio Álvarez, Gouverneur des Petén, begründete die Aktion damit, dass viele Bauern wegen des Drogenanbaus in dieses Gebiet geschickt worden seien, welches „einen strategischen Punkt für die nationale Sicherheit" darstelle. Man habe zudem mindestens 25 weitere Gemeinden in der Region ausgemacht, die mit dem Drogengeschäft in Verbindung stünden und deren Territorien man zurückgewinnen wolle, berichtet Prensa Libre.

„Wir sind Guatemalteken und keine Kriminellen, wie die guatemaltekischen Behörden behaupten. Wir sind marginalisiert, werden gedemütigt und geohrfeigt. Ist es nicht eine Schande, dass die guatemaltekischen Behörden uns mit soviel Geringschätzung begegnen?“, so der vertriebene Guatemalteke Douglas Escobar gegenüber Prensa Libre. Die Vertriebenen fordern Entschädigung von der Regierung.

Gespenster aus dem Bürgerkrieg

Ramón Cadena, Präsident der Internationalen Juristenvereinigung (CIJ) vermutet hingegen, dass die Vertreibung mit der Umsetzung des touristischen Großprojekts Cuatro Balam und geplanten vier Wasserkraftwerken an den Ufern des Flusses Usumacinta zu tun habe, so der Jurist gegenüber der guatemaltekischen Presse. Die CIJ und andere Menschenrechtsorganisationen verurteilten die Vertreibung und Kriminalisierung der Bauernfamilien aufs Schärfste und fordern, keine derartigen Aktionen in der Region mehr durchzuführen, denn „sie führen zu gewaltsamer Vertreibung. Es sind nicht solch dramatische Szenarien wie die der „verbrannten Erde“, aber die Auswirkungen ähneln denen des bewaffneten Konflikts“ zitiert Prensa Libre den Vorsitzenden der CIJ.

Nach Angaben von Amnesty International wurden in Guatemala während des Bürgerkriegs von 1960-1996 rund 200.000 Menschen vertrieben und mindestens 450 Dörfer dem Erdboden gleich gemacht. Die Flucht der Bewohner von Nueva Esperanza ruft in Mexiko gemischte Erinnerungen an die zahlreichen Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem Nachbarland hervor.

„Warum fordern sie so viel?“

Die Vertriebenen haben große Angst, zurückzukehren. Diese Angst ist eher noch größer geworden, seit Gouverneur Álvarez und guatemaltekische Soldaten und Polizisten, eskortiert von mexikanischen Sicherheitskräften am 5. September in Tenosique eintrafen, um „zu verhandeln“, wie "El Proceso" unter Berufung auf die Migrantenorganisation MMC berichtet.

Gouverneur Álvarez soll sich laut MMC einer Ortsbegehung verweigert, die Übergriffe dementiert und stattdessen erklärt haben: „Warum fordern sie so viel, wenn sie doch nur ein paar Hütten besaßen?“ Die erste Runde der Verhandlungen wurde denn auch am 7. September für gescheitert erklärt.

Autorin: Bettina Hoyer

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