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Chile |

"Indigene Frauen erleben mehrfache Unterdrückung"

Die Poetin und Mapuche-Frauenrechtlerin Daniela Catrileo. Foto: Sophia Boddenberg
Die Poetin und Mapuche-Frauenrechtlerin Daniela Catrileo. Foto: Sophia Boddenberg

Daniela Catrileo ist Mapuche, Philosophin, Poetin und Feministin. Sie ist in der chilenischen Hauptstadt Santiago geboren und aufgewachsen, ihr Vater kommt aus dem Süden Chiles und gehört dem indigenen Volk der Mapuche an. Wie die meisten Mapuche, die in die Stadt zogen, versuchte er lange, seine Mapuche-Identität aufgrund der Diskriminierung zu verstecken. Daniela Catrileo arbeitet dieses Trauma - neben vielen anderen Themen - in ihren Gedichten auf. Sie reflektiert über die Identität der Mapuche aus der Stadt und über die mehrfache Diskriminierung, die die indigenen Frauen erfahren. Sie ist außerdem Mitglied eines feministischen Mapuche-Kollektivs.

Wie ist es für Sie, als Mapuche in der Stadt zu leben?

Die Mapuche, die in der Stadt leben, nennen wir liebevoll die "mapuchada". Das heißt, es gibt etwas, das uns zusammenbringt, vor allem die Solidarität mit den lamgnen (Brüdern und Schwestern) im Süden, die mit Fällen von Inszenierung zu kämpfen haben, mit Gerichtsprozessen und mit der Verarmung ihrer Gemeinden. Wir organisieren ständig Veranstaltungen, um Geld für sie zu sammeln und dort lernen wir uns kennen.

Ich habe auch durch das Schreiben andre lamgnen kennengelernt, die Poeten sind. So haben wir eine Familie aufgebaut, sie ist zwar verstreut, aber wir erkennen uns als Mapuche an. Aufgrund dieses politischen Aspekts der Resistenz, ständig Allianzen und Verbindungen mit Gruppen herzustellen, die den Kampf des Mapuche-Volks unterstützen, haben wir uns gefunden. Ich bin Teil des Kollektivs "Rangiñtulewfü". Das bedeutet "zwischen Flüssen". Es ist ein feministisches Mapuche-Kollektiv. Wir befinden uns eher in einem Prozess der Fragestellung, als in der Sicherheit zu sagen, dass wir Feministinnen sind.

Wir befinden uns ständig im Wandel. Was wir beibehalten, ist unsere Perspektive eines dekolonialen Feminismus, eines intersektionalen Feminismus, der verschiedene Formen von Unterdrückung betrachtet. Das hat mit unserem Territorium zu tun, unserem Volk, unserer Sprache und mit dem Kampf der indigenen Frauen. Im Kollektiv betrachten wir uns alle als "champurria". Das bedeutet, dass wir eine Mischung, eine Kreuzung von Identitäten, sind, die miteinander verschwimmen. Deswegen auch der Name, "Zwischen Flüssen".

Was bedeutet es für Sie, Mapuche und Frau zu sein?

Mapuche zu sein und Frau zu sein, das sind für mich politische Entscheidungen. Das hat damit zu tun, sich für eine Idee einzusetzen und dafür zu kämpfen. Die Stimme zu erheben, für die, die nie eine Stimme hatten. Die Mapuche-Frauen konnten nie ihre Stimme erheben, niemand hat ihnen zugehört und sie wurden durch verschiedene Arten von Gewalt unterdrückt. Aber unser Volk ist nicht tot. Wir sind ein Volk mit Jahrhunderten von Kultur.

Wir Mapuche-Frauen in der Stadt sind anders als die Frauen, die in Gemeinschaften aufgewachsen sind, die ihre Weltanschauung, ihre Spiritualität, ihre Bräuche und Sprache aufrechterhalten konnten. Wir in der Stadt haben einen anderen Prozess erlebt, wir haben studiert, wir haben den Feminismus kennengelernt. Aber wir wollen uns auch nicht einschließen in einen Feminismus, der nicht weiter als an das Ende des Patriarchats denkt. Sondern wir wollen auf verschiedene Formen von Unterdrückung reagieren, die wir als indigene Körper erleben. Und das sind ganz andere Probleme als die, die andere Frauen auf der Welt haben.

Welche sind die Formen der Unterdrückung, von denen Sie sprechen?

Da ist zunächst das Wirtschaftssystem, das gierig und maßlos mit den indigenen Völkern umgeht. Es ist ein räuberisches und extraktivistisches System, das die Natur zerstört und die Orte, die für unser Volk eine spirituelle Bedeutung haben. Aber es gibt noch weitere Arten von kolonialer Gewalt, die unsere Körper erleben. Da ist die jahrelange Diskriminierung, der kulturelle und politische Genozid. Wir wurden nie als Volk anerkannt. Bis heute hat keine Regierung etwas daran geändert. Da ist etwas, das sich über Jahre zieht und nicht endet, ein ungleicher Krieg. Denn wir haben nicht die gleichen Mittel wie der Staat, die Militärkräfte und die Unternehmen.

Und die Frauen, die sich mit diesen Strukturen konfrontiert sehen, bleiben oft alleine in den Gemeinschaften zurück, weil ihre Männer verschleppt oder verhaftet werden aufgrund des Anti-Terror-Gesetzes. Die Frauen erleben außerdem Gewalt aufgrund ihres Geschlechts innerhalb unserer Kultur. Die koloniale Gewalt wurde innerhalb der indigenen Kulturen weitervererbt. Die indigene Frau erlebt also eine Vielfalt von Gewalt und Unterdrückung.

Würden Sie also sagen, dass das Patriarchat sich mit der Kolonialisierung etabliert hat oder war die Mapuche-Kultur schon vorher patriarchalisch?

Ich würde sagen, dass es sich verstärkt hat. Ich glaube nicht, dass es vorher ein Patriarchat auf dem Niveau gab, wie wir es nach der Kolonialisierung erlebt haben. Denn da steckt eine Ideologie dahinter. Die Kolonialherren kamen hier an mit einer christlichen Ideologie, die die Frauen in eine untergeordnete Position stellte. Zu dieser Zeit fanden in Europa Hexenverfolgungen statt und mit dieser Denkweise kamen die Eroberer nach Lateinamerika. Sie sahen die Frau als dem Mann untergeordnet an. Diese Ungleichheit der Geschlechter etablierte sich in einer Kultur, die ebenfalls bereits patriarchale Strukturen hatte. Und so wurde es immer stärker bis zu dem Punkt, an dem wir uns heute befinden.

Wie kamen Sie zur Poesie?

Zu schreiben ist eines der wichtigsten Dinge in meinem Leben. Es ist, was ich bin, was mich hier in der Welt positioniert. Seit ich das Schreiben gelernt habe, habe ich nicht aufgehört, es zu tun. Ich denke, dass es sehr wichtig für uns ist, zu schreiben, damit wir unsere Geschichten erzählen können, die woanders nicht erzählt werden. Die Poesie ist für mich antikapitalistisch. Nur wenige Menschen können die Poesie verkaufen. Es ist zwar nichts Massives, aber es ist eine schöne Geste, um gegen den Strom zu schwimmen. Es erfüllt mich.

Interview und Foto: Sophia Boddenberg.

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