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Mexiko |

"In diesem Dorf regieren wir Männer!"

Zerrissene Wahlzettel, Frauen, die ihrer Ämter wieder enthoben und ins Gefängnis gesteckt werden - wenn indigene Frauen ihre Rechte wahrnehmen wollen, birgt das erheblichen sozialen und politischen Sprengstoff, wie jüngst ein Vorfall in Oaxaca belegt.

„In diesem Dorf regieren wir Männer!" soll ein Mob im Ort Emiliano Zapata im Gemeindebezirk San Juan Cotzocón, Oaxaca am vergangenen 8. Mai gebrüllt haben. Die Schatzmeisterin des Ortes, Evitelia Pacheco Ramírez, habe ihre Absetzung nicht akzeptiert. Daraufhin sei sie auf dem Dorfplatz entkleidet worden und man habe versucht, sie zu lynchen, meldeten lokale Medien. Pacheco wurde dann jedoch ins lokale Gefängnis gesteckt und blieb dort mehr als 48 Stunden ohne formale Anklage in Haft.

„Keine Frage des Geschlechts“

Zu dieser Version des Vorfalls, wie sie in El Procoeso beschrieben wurde, gibt es zahlreiche Gegendarstellungen und Dementi. Óscar Cruz Lópe, Staatssekretär der Regierung des Bundesstaates Oaxaca, verurteilte laut Pressemeldungen am 11. Mai das Vorgehen gegen die Schatzmeisterin, erklärte jedoch, es handele sich um eine politische Angelegenheit und „keine Frage des Geschlechts“, denn Pacheco habe Geld unterschlagen.

Abgesehen von parteipolitischer Polemik steht jedoch fest: In Emiliano Zapata, einem Dorf in der Region des indigenen Volkes Mixe, hatte sich mit Elia Castañeda Martínez Anfang Januar 2011 eine Frau zur Wahl als Gemeindevorsteherin gestellt und die Wahl, die dort nach traditionellen Sitten und Gebräuchen abgehalten wird, überraschenderweise gewonnen. Castañeda habe dann zwei weitere Frauen in Ämter berufen: Marcelina Miguel Santiago als Sekretärin und die vor kurzem in die Schlagzeilen geratene Evitelia Pacheco Ramírez als Schatzmeisterin. Im April, so berichten übereinstimmend verschiedene lokale Medien, seien die Frauen - mehr oder weniger legal - ihrer Ämter wieder enthoben worden.

Indigene Frauen fordern politische Rechte

Die Generaldirektorin des Fraueninstituts (IMO) von Oaxaca, Anabel López Sánchez verurteilte die Inhaftierung der ehemaligen Schatzmeisterin ohne Anklage: "Dieses Vorgehen ist unrecht und nicht hinnehmbar und zeigt, dass Frauen im Amt mit größerer Strenge und nach autoritären Schemata beurteilt werden, die Männer bestimmen“, zitiert El Proceso die Direktorin des IMO. López versicherte Evitelia Pacheco Ramírez rechtliche Unterstützung zu, sollte sie Anzeige erstatten.

Auch mehr als ein Dutzend indigener und nicht indigener Frauengruppen und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) unterstrichen in einer Erklärung zu den jüngsten Vorfällen den Anspruch auf Gleichberechtigung der Geschlechter und forderten ein Ende der Gewalt gegen Frauen und eine Untersuchung des Falles durch die Behörden. "Wir fordern, dass die politischen Rechte indigener Frauen im Bundesstaat Oaxaca respektiert werden“, heißt es in der Erklärung.

Traditionelle Gebräuche in der Kritik

In 412 indigenen Gemeinden des Bundesstaates - insgesamt sind es 570 - wird nach „Gebräuchen und Gewohnheiten“ (usos y costumbres) regiert. In diesem System werden kommunale Regierungen nicht von einer Partei gestellt. Die Dorfgemeinschaft bestimmt die genaue Auslegung der usos y costumbres und wählt in der Volksversammlung ihre ehrenamtlich arbeitende Regierung. Weil in Oaxaca ein Kampf um die Wahrung indigener Rechte und die indigene Selbstbestimmung tobt, ist die kritische Position der Frauen zu den traditionellen Gebräuchen ein heißes Eisen.

„Wir meinen, wenn Sitten und Gebräuche zu Lasten der Frauen gehen, müssen sie an diesen Stellen verändert werden“, unterstreicht die Ärztin und Frauenrechtlerin Dr. Zoila Rios Coca im Interview. Sie arbeitet seit 1993 zum Thema Gewalt und Gewaltprävention.

„So ist eben das Leben von Frauen“

Seit 2007 hat die Ärztin das Referat Frauen- und Familienarbeit bei der Organisation UNOSJO, einem Zusammenschluss von 17 indigenen zapotekischen Gemeinden, mit aufgebaut. „Männern wie Frauen fiel es anfangs schwer, Gewalt gegen Frauen überhaupt wahrzunehmen. Man hat ihnen immer gesagt: „So ist eben das Leben von Frauen“, fasst sie zusammen. „Nach mehreren Jahren Arbeit können wir sagen: wir sind auf viel häusliche Gewalt gestoßen, doch die Frauen sind durch den gemeinsamen Austausch, auch mit den Männern, viel selbstbewusster geworden“, so Ríos, die nach dem Regierungswechsel Ende letzten Jahres nun im IMO für den Bereich Gewaltprävention zuständig ist.

Unterschiedliche Maßstäbe der Rechtssprechung

Erst am 8. März 2006 wurde zudem der „Ehrenmord“ aus dem Strafgesetzbuch des Bundesstaates Oaxaca gestrichen. Bis zu diesem Zeitpunkt erhielt ein Mann, der seine Partnerin in flagranti erwischt hatte und diese - und vielleicht noch deren Liebhaber - daraufhin ermordete, höchstens ein Drittel der Strafe, die er für einen gewöhnlichen Mord erhalten hätte. Für Frauen gab es keine derartige Strafmilderung: Sie erhielten für dasselbe Delikt Gefängnisstrafen von bis zu 30 Jahren.

2007 gab es schon einmal einen ähnlichen Fall von Amtsenthebung in der Region. Die Zapotekin Eufrosina Cruz war nach indigenen Gebräuchen zur Gemeindevorsteherin gewählt worden. "Hier existieren die Frauen nicht", habe der Bürgermeister Saúl Cruz Vázquez daraufhin verkündet und angeordnet, die Wahlzettel zu vernichten. Eufrosina Cruz ist heute Abgeordnete und Präsidentin des Parlaments von Oaxaca.

Autorin: Bettina Hoyer

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