Bischöfliche Aktion Adveniat e.V.
Kolumbien |

Im Bann der fantastischen Vier

Cúcuta. Die Studenten kreischen wie beim Konzert eines Popstars. “Wir lieben dich”, rufen ein paar Mädchen. Auf der Bühne der Universität von Cúcuta im Osten Kolumbiens steht allerdings nicht Shakira, sondern ein älterer Herr mit Lincoln-Bart, die Bewegungen etwas ungelenk durch die beginnende Parkinson-Krankheit. Antanas Mockus redet von Levinas und doziert über die Bürgerpflicht, Steuern zu zahlen. Mockus Sätze sind ausschweifend, oft macht er lange Pausen. Manchmal widerspricht er sich, stellt Dinge klar oder entschuldigt sich. Bei der vorigen Präsidentschaftswahl kam er gerade einmal auf ein Prozent der Stimmen. Jeder Politikberater hätte ihn wohl als hoffnungslosen Fall abgetan.

Seine Grüne Partei hat keine Tradition in Kolumbien und stellt gerade einmal acht Parlamentarier im Kongress. Die Strategie der Kampagne wird in seinem Wohnzimmer in Bogota ausgeheckt. Mockus hat keine ausländischen Berater unter Vertrag, und zu den Wahlkampfauftritten reist er per Linienflug. Weder verspricht er überall Straßen, Krankenhäuser und Sozialprogramme, noch verschenkt er T-Shirts in den grünen Parteifarben oder Essenspakete. Just derartige Praktiken – üblich in der kolumbianischen Politik- verachtet der 58jährige Sohn litauischer Einwanderer. Noch vor acht Wochen hatte kein Journalist, kein Politologe und schon gar nicht der haushohe Favorit und designierte Kronprinz von Präsident Alvaro Uribe, Juan Manuel Santos, den Professor als Ernst zunehmenden Kandidaten in den Prognosen. Inzwischen hat Mockus in den Umfragen Santos erreicht, und könnte sogar der nächste Präsident Kolumbiens werden.

Mockus ist Philosoph und Mathematiker, ein Kant-Bewunderer, der mit erhobenem Bleistift gegen den Waffenkult zu Felde ziehen will- etwas Außergewöhnliches in einem Land, das seit 60 Jahren von Gewalt und Bürgerkrieg geprägt wird. Krasser könnte der Gegensatz zu Uribe nicht sein, dem Hardliner, der mit Militärmacht die vergangenen acht Jahre die Guerilla in die Knie gezwungen hat und dessen Politik der demokratischen Sicherheit das Reisen in Kolumbien wieder möglich, den Warentransport wieder sicher gemacht hat. Uribe, ein Großgrundbesitzer aus Antioquia, genießt dafür Respekt bei drei Viertel aller Kolumbianer.

Doch die Popularität des Caudillos färbt nicht ab auf Santos, dem in London ausgebildeten Wirtschaftsexperten und Sohn einer der einflussreichsten Familien Kolumbiens. Santos war Handels- und Verteidigungsminister, auf seine Rechnung geht der Husarenstreich der Befreiung von Ingrid Betancourt. Der 58-Jährige wirbt für die Fortsetzung der Politik Uribes. Doch damit verbinden viele Kolumbianer nicht nur Sicherheit, sondern vor allem die Skandale, die die zweite Amtszeit Uribes geprägt haben: Abhör- und Korruptionsaffären, Menschenrechtsverletzungen, Knatsch mit der Justiz und Dauerstreit mit dem Nachbarn Venezuela, dem wichtigsten Absatzmarkt für kolumbianische Exporte.

Cúcuta liegt nur einen Steinwurf von Venezuela entfernt. Hunderte Studenten haben die Vorlesung geschwänzt, drängen sich an die Absperrgitter, erbetteln einen Händedruck, ein Autogramm oder nur einen Blick. Sie sind gekommen, um ihr neues Idol zu feiern. Zu Beginn des Auftritts taucht ein Priester eine Sonnenblume, das Symbol der Grünen, in ein Wasserglas und benetzt mit ein paar Spritzern Mockus und sein Team, auch “die fantastischen Vier” genannt. Mockus, zweimal Bürgermeister von Bogotá, wird flankiert von Leuten, die einst seine Konkurrenten und später Nachfolger im Rathaus der Hauptstadt waren: dem rechten Enrique Peñalosa, dem Linken Lucho Garzón sowie dem unabhängigen Mathematiker und Ex-Bürgermeister von Medellin, Sergio Fajardo. Vier Egos in grünen Poloshirts, die unterschiedlicher nicht sein könnten, und die doch in einem neuen Projekt zusammengefunden haben. Nach internen Vorwahlen wurde zwar Mockus als Kandidat auserkoren, doch auf der Bühne in Cúcuta kommt jeder der vier zu Wort, jeder hat seine Fans, jeder wird frenetisch gefeiert. Etwas, was “absticht von der traditionellen Politik, in der persönliche Rivalitäten und Eitelkeiten wichtiger sind, als ein politisches Projekt”, so der Politologe Alvaro Forero.

“In der Einheit liegt die Kraft” beschwören die vier dann auch ein Dutzend Mal. Erst laut, dann leise, das Publikum macht begeistert mit, auch, als Mockus sie auffordert, dem Gegenüber tief in die Augen zu schauen und ihm zu sagen “dein Leben ist heilig”. Wie eine Mischung aus Messe, Psychotherapie und Happening mutet der Auftritt an. Es ist eine Kampagne der Symbole und der Emotionen. Mockus redet nicht wie ein Technokrat von Effizienz und Zahlen, er macht keine unhaltbaren Versprechen wie ein Populist. Konkrete Aussagen sind rar, sein Programm wurde erst vor kurzem in einem kollektiven Brainstorming zusammengeschustert. Vielmehr redet er von Hoffnung und Transparenz, verspricht eine kulturelle Revolution, die in den Köpfen beginnt – etwas, was verquast empfunden werden könnte, hätte der Ex-Bürgermeister darin nicht Erfolge vorzuweisen. Den Hauptstädtern brachte er mit Clowns ordentliches Benehmen im Verkehr bei, die Mordrate senkte er durch eine nächtliche Sperrstunde und einen Ausgehabend „nur für Frauen“, Morddrohungen der Farc-Guerilla begegnete er mit einer kugelsicheren Weste, die in der Brust ein herzförmiges Loch hatte.

“Mockus verkörpert die Antipolitik”, sagt Forero. “Er ist ehrlich”, sagt die 70-jährige Marta Sánchez. Die Werbeexpertin Guiomar Jaramillo erhofft sich von ihm eine bessere, friedlichere Zukunft für ihre Enkel. Der 38jährige Buchhalter Herlington Rosero wird wegen Mockus zum ersten Mal zur Urne gehen, “ weil ich das Gefühl habe, dass sich wirklich etwas ändern wird”. Der 21-jährige Jaime Flores wählte früher Uribe und mochte die Konservativen, will aber nun Mockus wählen, weil „die Stunde des Friedens und der Bildung“ gekommen ist. “Ich war früher Guerillero, aber jetzt habe ich zum ersten Mal das Gefühl, Teil einer Revolution zu sein, und zwar einer friedlichen Bürgerrevolution”, sagt Antonio Sanguino. Für den Journalisten Hollman Morris, vom Spionageapparat Uribes drangsaliert, ist Mockus eine Art kollektive Katharsis. “Es ist, als sei der Knoten der Angst plötzlich geplatzt.”


Die “Mockusmanie” hat einen Schwall von Kreativität freigesetzt. Die Kampagne wird überwiegend von Tausenden von Freiwilligen gemacht, die eigenständig Plakate kreieren, T-Shirts bedrucken lassen, Videos in youtube stellen oder per Facebook zu flash-mobs aufrufen: Spontane Happenings grün gewandeter Fans in Einkaufszentren und auf Plätzen. “Ich weiß nicht, ob Mockus wirklich gewinnen wird und wie seine Ideen dann umgesetzt werden. Aber er hat das Land aufgerüttelt, und bis zur Wahl träume ich, dass ein anderes Kolumbien möglich ist”, sagt die Studentin Omaira Mosquera.

Text: Sandra Weiss

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