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Gerichtsurteil könnte indigene Landrechte aushebeln

Kinder vom Volk der Yanomami im brasilianischen Amazonasgebiet bei der Zubereitung von Maniokfladenbroten. Foto: Adveniat/Escher
Kinder vom Volk der Yanomami im brasilianischen Amazonasgebiet bei der Zubereitung von Maniokfladenbroten. Foto: Adveniat/Escher

Brasiliens Indigene haben für Mittwoch in zahlreichen Großstädten zu Protesten aufgerufen. Sie fürchten, dass das Oberste Gericht mit einer Entscheidung über indigene Gebietsansprüche die bisherige Rechtsprechung auf den Kopf stellen könnte. Sollte es so kommen, wären die in der Verfassung von 1988 verankerten Landrechte indigener Völker faktisch liquidiert.

Drei Fälle liegen dem Gericht zur Entscheidung vor. In zweien verlangt die Regierung des Teilstaates Mato Grosso vom Bund Entschädigungen für indigenen Völkern angeblich zu Unrecht zugesprochenes Land. Brisant ist jedoch vor allem der Streit um das Indigenenland "Ventarra" im südlichen Bundesstaat Rio Grande do Sul. Nach Jahrzehnten der Vertreibung wurde dem Kaingang-Volk das Gebiet in den 1990er Jahren zugesprochen. Seitdem versucht die Indigenenbehörde Funai, die von der Regierung an weiße Siedler vergebenen Landtitel einzukassieren. Die Siedler weigern sich aber zu gehen.

Dass sie aus dem Gebiet ausgewiesen werden, wie 2009 die weißen Siedler aus dem Schutzgebiet "Raposa Serra do Sol" in Nordbrasilien, ist unwahrscheinlich. In einem weltweit beachteten Prozess bemühte das Oberste Gericht damals bei der Einrichtung des Schutzgebietes den "marco temporal 1988", die "Zeitmarke 1988". Als die Verfassung in Kraft trat, am 5. Oktober 1988, war die "Raposa" tatsächlich von Indigenen besiedelt. Was damals für sie sprach, könnte den indigenen Völkern nun zum Verhängnis werden.

Denn im Umkehrschluss lässt sich argumentieren, dass die Indigenen nur ein Anrecht haben auf die 1988 besiedelten Gebiete und nicht auf jene, die 1988 nicht unter ihrer Kontrolle standen. Aufgrund dieser Interpretation unterlagen Indigene seit 2014 bereits in mindestens vier Prozessen. Im Fall des Indigenengebietes Guyraroka argumentierte ein Oberster Richter, die Indigenen hätten bereits in den 1940er Jahren das Gebiet verlassen und damit ihren Anspruch verloren. Dass sie vertrieben wurden, fiel für ihn nicht ins Gewicht.

Verzögerte Demarkierung von Indigenengebieten

Dabei sollte die Verfassung von 1988, erlassen nach dem Ende der Militärdiktatur (1964-85), den Indigenen Gerechtigkeit bringen. Die "traditionell von den Indigenen bewohnten Ländereien" sollten bis 1993 demarkiert und an sie zurückgegeben werden. Bisher ist nur jeder vierte Prozess abgeschlossen, vor allem im dünn besiedelten Amazonaswald.

Dort, wo die "weiße" Zivilisation sich bereits ausgebreitet hat, ist die Lage verzwickter. Im 20. Jahrhundert hatte die Regierung Siedler mit Landschenkungen nach Zentralbrasilien gelockt. Die dort lebenden Indigenen wurden zwangsumgesiedelt, in entfernte Reservate gepfercht oder grausam vertrieben. Dieses Unrecht sollte die Verfassung wiedergutmachen. Aufgrund des neu verbürgten Anspruchs kamen viele Indigene in den 1990er Jahren zurück, besetzten ihr altes Land und verlangten den Besitztitel. Dabei stoßen sie auf Widerstand der dort ansässigen Farmer, die jede Entscheidung zugunsten der Ureinwohner vor Gericht anfechten. Oft treten Städte und Bundesstaaten als Nebenkläger auf.

Einfluss der Agrarlobby wächst

Zuletzt gewann die Agrarlobby an Einfluss - auch in der Bundespolitik. Ohne ihre Unterstützung kann der unter Korruptionsverdacht stehende Präsident Michel Temer politisch nicht überleben. So kramte Temer Ende Juli eine Anweisung der Bundesanwaltschaft AGU von 2012 aus der Schublade und setzte sie per Dekret in Kraft. Darin werden alle Bundesbehörden angewiesen, ihre Entscheidungen nach dem "marco temporal 1988" auszulegen. Sprich: Indigene haben nur Anspruch auf Gebiete, die zur Zeitmarke 1988 von ihnen besiedelt waren.

"Eine juristische Farce" nennt der emeritierte Staatsrechtler Dalmo de Abreu Dallari deshalb Temers Dekret. Es diene lediglich dazu, "den Indigenen ihre traditionellen Gebiete abzuluchsen". Laut Gilberto Vieira dos Santos vom katholischen Indianer-Missionsrat Cimi geht es Temer darum, die Richter einzuschüchtern. Eine gesicherte Rechtsprechung, die den im Fall "Raposa Serra do Sol" benutzten "marco temporal" auf andere Fälle ausdehne, gebe es bisher nicht. "Für uns ist das nichts als ein Trick der Regierung und der Agrarfraktion."

Quelle: KNA, Autor: Thomas Milz

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