Fidel Castros Leben als Comic

In diesem Herbst ist eine „Graphic Novel“ erschienen, die Elemente von erzählender Literatur und Faktenwissen auf ideale Weise mit zeichnerischem Können verknüpft: „Castro“, eine Geschichte über Leben und Wirken des Anführers der kubanischen Revolution. Wie schafften es ein paar schlecht ausgerüstete Aufständische ein despotisches Regime auszuhebeln und sich auf Kuba zu etablieren? Wie konnte die Macht trotz der Widerstände des großen Nachbarn USA festgehalten werden? Und welche Rolle spielte dabei das große Aushängeschild der Revolution, der inzwischen greise Fidel Castro?

Diesen Fragen wendet sich der in Berlin lebende Illustrator Reinhard Kleist zu, der einige Zeit auf Kuba verbracht und bereits vor zwei Jahren das comicartig gestaltete Reisejournal „Havanna“ vorgelegt hat. Kleist konnte für die Arbeit an der knapp 300 Seiten starken, gezeichneten Castro-Biographie auf seinen Kenntnissen und Vorarbeiten aus dem Jahr 2008 aufbauen und die historischen Fakten mit stimmungsvollen Schwarz-weiß-Zeichnungen verbinden.

Fiktiver Rahmen für Castros Lebensgeschichte

Darüber hinaus bedient er sich einer schlüssigen Rahmenhandlung: Er führt die fiktive Figur des deutschen Journalisten Karl Mertens ein, der Ende der 50er Jahre nach Kuba kommt, um über den Kampf der Aufständischen zu berichten. Schnell verliert Karl/Carlos die Distanz zum Geschehen. Er ist fasziniert von der Idee, eine gerechtere Gesellschaft auf der Karibikinsel aufzubauen, und lässt sich Schritt für Schritt in den revolutionären Kampf hineinziehen.

In der Figur des Karl Mertens spiegeln sich die verschiedenen Entwicklungsphasen Kubas – von der ersten Revolutionsregierung, die noch einen bürgerlichen Präsidenten hatte, über den Machtzuwachs der kommunistischen Fraktion, die Annäherung an die Sowjetunion, die Unterdrückung oppositioneller Kräfte, den wirtschaftlichen Niedergang und das Festhalten am sozialistischen Kurs bis ins 21. Jahrhundert.

Über Karl/Carlos lernen die Leser Fidel Castro kennen, teils in Storys oder Legenden, die ehemalige Kampfgefährten über den „Maximo Lider“ erzählen, teils in Schicksalsschlägen oder Verfolgung, die Mertens oder dessen Freunde selbst erfahren müssen. Zahlreiche Details kommen auf diese Weise zusammen und ergeben ein rundes Bild.

Gelungen Zeichnungen begleiten differenzierte Biographie

Reinhard Kleists Zeichnungen sind äußerst lebendig und realistisch. Es fällt beim Lesen sehr leicht, die im Kopf gespeicherten fotografischen Zeugnisse oder Filmdokumente von Castro und weiteren Rebellen, historische Aufnahmen aus dem letzten Jahrhundert, Stadtansichten von Havanna und vieles mehr in Beziehung zu den Zeichnungen der Graphic Novel zu setzen.

Kleists Castro-Comic ist keineswegs eine blauäugige Betrachtung der Revolution auf Kuba und der Entwicklung der vergangenen 50 Jahre. Das Buch zeigt in aller Deutlichkeit auch die Gewalt, die Unterdrückung von Oppositionellen, die Flucht zahlreicher Kubaner nach Florida und die martialische Bestrafung von Andersdenkenden.

Bei aller Ernüchterung feiert Kleist dennoch die Kraft, die aus einer ausgeprägten idealistischen Haltung erwachsen kann. Sein Fidel Castro, der am Ende des Buches ausgemergelt und mit schlabberigem Adidas-Trainingsanzug im Krankenzimmer zu sehen ist, ahnt eine Reihe von Ungerechtigkeiten, die seine Herrschaft mit sich gebracht hat. Und doch ist er der Idealist, der von seiner Revolution und deren Errungenschaften überzeugt bleibt.

Thomas Völkner

Reinhard Kleist: Castro, Hamburg: Carlsen Verlag 2010, 279 Seiten, ISBN 978-3-551-78965-5, 19,90 Euro