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Es war einmal ein Putsch

Was bringt "o futuro" - die Zukunft? In Brasilien wird 2018 gewählt. Foto: Adveniat/Bastian Henning
Was bringt "o futuro" - die Zukunft? In Brasilien wird 2018 gewählt. Foto: Adveniat/Bastian Henning

Im Mai 2016 wurde die damalige Präsidentin Dilma Rousseff per Kongressbeschluss von ihrem Amt suspendiert, im August dann endgültig ihres Amtes enthoben. Die fast 14 Jahre Regierung der Arbeiterpartei PT gingen so unter dramatischen Zuständen zu Ende. Hinter dem Argument, die Präsidentin habe gegen Haushaltsgesetze verstoßen, vermuteten Rousseff und ihre Anhänger einen "Putsch" des Kongresses und der bürgerlichen Eliten. Als Regisseur des Putsches wurde ihr bisheriger Vize Michel Temer ausgemacht, der nun die Amtsgeschäfte übernahm. Seitdem wurde die PT nicht müde, "Temer raus" (Fora Temer) und "Neuwahlen sofort" (Diretas já) zu fordern.

Eineinhalb Jahre nach dem "Putsch" sind die Rufe verstummt. Denn derzeit positionieren sich die Parteien neu für die Wahlen Ende 2018. Alte Differenzen scheinen dabei in Vergessenheit zu geraten. Allen voran bei Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, Rousseff politischen Ziehvater, der derzeit haushoch alle Umfragen anführt. Stoppen kann ihn wohl nur durch eine Verurteilung in den zahlreichen Korruptionsprozessen.

Ex-Präsident Lula da Silva auf Polit-Karawane

Er vergebe den Putschisten, sagte Ex-Präsident Lula am 30. Oktober diesen Jahres auf einer Kundgebung in Belo Horizonte. Zuvor war Lula auf einer seiner legendären "Polit-Karawanen" durch das Landesinnere gezogen. Lula bereitet sich auf den Wahlkampf 2018 vor, in dem er wieder als Kandidat für das Präsidentenamt antreten will. Doch um zu regieren, wird er eine Mehrheit im Kongress brauchen. Und dafür muss er eine breite Allianz schmieden.

In einigen Teilstaaten kooperiert die PT längst wieder mit der PMDB von Präsident Michel Temer, Rousseffs ehemaligem Vize-Präsident und vermeintliches "Mastermind" des Putsches. In mindestens acht Teilstaaten soll derzeit über eine Zusammenarbeit zwischen der PMDB und der PT beraten werden. Auf lokaler Ebene weitet sich die Annäherung auch auf andere Parteien aus, die 2016 am Sturz Rousseffs beteiligt waren.

Wenn nötig, kooperiert Lula auch mit dem politischen Gegner

Luiz Marinho, einer der engsten Vertrauten Lulas innerhalb der PT und Kandidat für den Gouverneursposten im wichtigsten Teilstaat São Paulo, verteidigte die Annäherung mit den ehemaligen Gegnern. Man müsse sich der Mehrheit annähern, sowohl was die Parteien wie auch die Bevölkerung angehe, so Marinho. So habe eine Mehrheit der Parteien genauso wie eine Mehrheit der Bevölkerung den Sturz Rousseffs unterstützt. Zudem brauche man eine breite Mehrheit im Kongress, die nur durch die neuerliche Zusammenarbeit mit den politischen Gegnern möglich sei.

Eine Zusammenarbeit über ideologische Grenzen hinweg war für Lula nie ein Problem. Er wusste als Präsident (2003 bis 2010) stets, wie er Mehrheiten schaffen konnte und holte dafür auch politische Gegner mit ins Boot. Genau das macht er auch jetzt wieder. Die von ihm zu seiner Nachfolgerin auserkorene Rousseff konnte das nicht. Im Jahr 2011 war sie mit einer Unterstützung von rund 80 Prozent des Kongresses gestartet. Zum Schluss hielten ihr nur noch rund 25 Prozent der Abgeordneten die Treue.

Aufschwung der Ultra-Rechten?

Die PT rechtfertigt die neue Annäherung an die Gegner mit dem Erstarken der ultra-rechten Politiker. Allen voran Jair Bolsonaro, ein ehemaliger Fallschirmjäger und Befürworter einer Bewaffnung der Bevölkerung. Seine extremem Positionen gewinnen immer mehr Anhänger; in aktuellen Umfragen liegt er bei 15 bis 20 Prozent. Das könnte ausreichen, um es in einen eventuellen zweiten Wahlgang gegen Lula zu schaffen.

Zwar hat Lula derzeit mehr als doppelt so viele Stimmen bei Umfragen wie Bolsonaro. Doch viele Brasilianer wollen eine weitere Amtszeit Lulas verhindern. Sie könnten zu der Annahme kommen, dass Bolsonaro das kleinere Übel sei. Besonders, da Lula voraussichtlich wieder eine Allianz all jener alten Kräfte schmieden könnte, die sämtlich in die gigantischen Korruptionsskandale verwickelt sind.

Wahlkampfstrategien von Lulas Partei PT

Doch kann die PT ihren Diskurs vom "Putsch" einfach so fallen lassen? Rousseff selber war nach ihrem Sturz um die Welt gereist, um gegen den "golpe" zu protestieren. Auf ihrem jüngsten Deutschlandbesuch im November schlug sie jedoch überraschend versöhnlichere Töne an. Den Menschen, die gegen sie auf die Straße gingen, müsse man verzeihen. Sie hätten ihren Rücktritt gefordert, nur um später zu bemerken, dass man sie betrogen habe.

Zugleich stellte sie sich gegen landesweite Koalitionen mit den "Putschisten-Parteien" PSDB und PMDB. Lediglich mit den Politiker, die nicht aktiv am Putsch beteiligt gewesen seien, könne man zusammenarbeiten. Das scheint jedoch nicht die Mehrheitsmeinung innerhalb der PT zu sein. Statt die PMDB und Michel Temer weiter anzugreifen, hat sich die PT längst auf einen neuen Gegner eingeschossen: die Justiz, die die Korruptionsskandale benutze, um eine weitere Amtszeit Lulas zu verhindern.

Diskussion um den Putsch erfolgreich verdrängt

Auch in den Sozialen Netzwerken ist dieser Schwenk bereits vollzogen worden. Statt des "Putsch-Diskurses" gegen Temer und seine Verbündeten gelten die Angriffe nun dem Richter Sérgio Moro und den Ermittlern der Staatsanwaltschaft und der Bundespolizei in Curitiba. Dort würden Beweise gegen Lula und die PT fabriziert, um die Partei zu schwächen und Lula statt im Präsidentenpalast im Gefängnis zu sehen. Moro hatte Lula in einem ersten Prozess bereits zu über neun Jahren Gefängnis wegen Korruption verurteilt, weitere Prozesse gegen den Ex-Präsidenten stehen noch an.

Sollte die zweite Instanz Moros Urteil bestätigen, könnte Lula eigentlich nicht bei den Wahlen im Oktober antreten. Denn aufgrund des erst wenige Jahre in kraft befindlichen "Ficha-Limpa"-Gesetzes dürfen in zweiter Instanz verurteilte Politiker nicht antreten. Der Oberste Richter Gilmar Mendes ließ zuletzt jedoch Zweifel an der Wirksamkeit von "Ficha-Limpa" aufkommen, Mendes ist bekannt für seine Nähe zu Präsident Temer, dem er im Laufe des Jahres gleich mehrfach seine Präsidentschaft rettete und ihn vor einer Anklage schützte.

Temer und Lula - eine Schicksalsgemeinschaft

Dennoch: Genau wie Lula muss sich auch Temer vor den Ermittlern und Richter Moro fürchten. Sobald er am 1. Januar 2019 das Amt an seinen Nachfolger übergibt, wäre er schutzlos. Temer sei deshalb nicht abgeneigt, danach als Botschafter tätig zu werden. Damit würde er weiterhin eine Teilimmunität genießen, die ihn vor einer Strafverfolgung weitgehend schützt.

Allerdings müsste er für diesen Posten vom neuen Präsidenten vorgeschlagen werden. Genauso wie Lula Temer braucht, um wieder Präsident zu werden, braucht Temer Lula, um der Justiz zu entkommen. Solche Zukunftsperspektiven überbrücken eventuell selbst die tiefsten ideologischen Gräben. A ver - man wird sehen.

Autor: Thomas Milz, Foto: Adveniat/Bastian Henning

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