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"Es war eine Schande, Lutheraner zu sein"

Gottesdienst einer Pfingstgemeinde im Stadtzentrum von Manaus: Die evangelischen Christen in Brasilien fühlen sich durch die Ausbreitung der Pfingstkirchen bedrängt. Foto: Adveniat/Pohl
Gottesdienst einer Pfingstgemeinde im Stadtzentrum von Manaus: Die evangelischen Christen in Brasilien fühlen sich durch die Ausbreitung der Pfingstkirchen bedrängt. Foto: Adveniat/Pohl

Als die Portugiesen im Jahr 1500 zum ersten Mal brasilianischen Boden betraten, hatte Martin Luther seine 95 Thesen noch nicht an der Kirchentür von Wittenberg angeschlagen. Als die ersten deutschen Einwanderer im 19. Jahrhundert nach Brasilien kamen und ihren protestantischen Glauben mitbrachten, fanden sich in einem komplett katholischen Land wieder, das von der Reformation unberührt geblieben war.

Heute bekennen sich in Brasilien rund eine Million Einwohner zum Protestantismus. Die meisten von ihnen, rund 700.000, gehören der Evangelischen Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien (IECLB) an, die mit der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zusammenarbeitet. IECLB-Sprecher Cláudio Kupka betreut als Pastor die Gemeinde "Paroquia Matriz" in der südbrasilianischen Stadt Porto Alegre und vertritt zum Reformationsjubiläum die Lutheraner Brasiliens auf dem Evangelischen Kirchentag in Berlin.

Deutsche Welle: Wie war es für die deutschen Lutheraner, in einem total katholischen Land anzukommen?

Cláudio Kupka: Sie mussten nicht nur um ihr wirtschaftliches Überleben kämpfen, sondern wurden auch religiös diskriminiert. Um sich zu schützen, schlossen sie sich zusammen, errichteten Siedlungen und blieben dort unter sich.

Wenn man die Situation der Lutheraner, die im 19. Jahrhundert in Brasilien ankamen, mit der Situation von heute vergleicht: Kämpfen die Lutheraner immer noch um ihr Überleben?

Ja. Wir sind immer noch eine Minderheit in Brasilien, die unter Beobachtung steht. Zur Zeit des Ersten und des Zweiten Weltkrieges zum Beispiel, war es gefährlich, deutsch zu sprechen. Es war verboten, einige Pastoren wurden verhaftet, genauso wie Führungspersönlichkeiten aus den deutschen Siedlungen, weil man sie verdächtigte, mit dem Nationalsozialismus in Verbindung zu stehen. Es war negativ und galt als Schande, Lutheraner zu sein. Diese Schande und Schüchternheit zieht sich durch unsere Geschichte. Die Lutheraner hatten immer das Gefühl, dass es besser sei, nicht über ihren Glauben sprechen. Das hat uns geschadet.

Wie funktioniert die religiöse Koexistenz zwischen Lutheranern und Pfingstkirchen?

Ich unterscheide zwischen traditionellen Pfingstkirchen und neuen Pfingstgemeinden. Erstere sind aus den USA nach Brasilien gekommen. Sie setzen stark auf Emotionen: Heilungen, Wunder, Heiliger Geist und Teufelsaustreibungen. Sie stehen für konservative Politik. Bei den neuen Pfingstgemeinden geht es mehr um die Suche nach persönlichem Erfolg, wir bezeichnen die Bewegung als "Theologie des Wohlstands". Wirklich problematisch für uns ist, dass die Bezeichnung "evangelisch" nur noch mit ihnen in Verbindung gebracht wird und nicht mehr mit uns, der Evangelischen Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien (IECLB). Sie haben den Begriff "evangelisch" beschlagnahmt. Wir mussten neue Begriffe finden, um uns zu identifizieren, und benutzen deshalb wieder die Bezeichnungen protestantisch und lutheranisch, alles nur wegen dieser wahnsinnigen Verwirrung!

Wie viel Protestantismus steckt noch in den Pfingstkirchen?

Die Pfingstler haben mit so vielen grundlegenden Inhalten des christlichen Glaubens gebrochen, dass es mir sehr schwer fällt, sie methodologisch noch als Anhänger einer christlichen Theologie einzuordnen. Wenn Luther heute leben würde, würde er die Pfingstbewegung wahrscheinlich für den Kommerz mit der menschlichen Erlösung kritisieren, darüber werden hier in Brasilien Witze gemacht.

Feiern Protestanten und Katholiken in Brasilien das 500-jährige Jubiläum der Reformation gemeinsam? Gibt es eine Annäherung zwischen beiden Kirchen?

Ja, aber nicht ganz so ausgeprägt wie in Deutschland, wo der Dialog zwischen Protestanten und Katholiken sehr intensiv ist. Am 31. Oktober 2016 zum Beispiel, an dem Tag, als Papst Franziskus gemeinsam mit dem Lutherischen Weltbund in Lund in Schweden der Reformation gedacht hat, haben wir den Erzbischof von Porto Alegre in unsere Gemeinde eingeladen. Die Reformation ist kein Sieg über die katholische Kirche. Sie ist ein historischer Prozess, der beide Kirchen weiter gebracht hat. Die katholische Kirche hat sich seit der Reformation sehr verbessert, sie hat aufgrund der lutherischen Provokation viele ihrer Gebote revidiert.

Warum gibt es in Brasilien zwei lutherische Kirchen, die Evangelische Kirche Lutherischen Bekenntnisses (IECLB) und die Evangelisch-lutherische Kirche (IELB)?

Die IELB hat andere Wurzeln. Sie wurde von deutschen Auswanderern in den USA gegründet, die im 19. und 20. Jahrhundert als Missionare nach Brasilien kamen. Sie ist kleiner als die IECLB und ihre Ausrichtung ist fundamentalistischer. Zu den Unterschieden gehört auch, dass sie keine Frauen im Pastorenamt akzeptiert und die Austeilung des Abendmahl an Kinder ablehnt.

Wie sehen Sie als brasilianischer Pastor die Gedenkfeiern zur Reformation in Deutschland?

Die Zusammenarbeit der evangelischen und katholischen Kirche beim Reformationsjubiläum ist beneidenswert, so etwas existiert in Brasilien nicht auf diesem Niveau. Es ist auch schön zu sehen, wie groß die Wahrnehmung der Kirche in der deutschen Gesellschaft ist. Aber natürlich wissen wir auch, dass die Lage der Kirche in Deutschland nicht einfach ist, denn die Leute gehen eben nicht immer in den Gottesdienst. Wir in Brasilien können keine Kirchensteuer erheben und befinden uns deshalb häufig in einer finanziell unsicheren Lage. Doch wir nutzen diese fragile Ausgangslage, um unsere Mitglieder zu mobilisieren. Die Kirche in Deutschland dagegen ist finanziell privilegiert, ihre Schwäche macht sich in der Abwesenheit ihrer Mitglieder bemerkbar. Als wir früher nach Deutschland gereist sind, haben wir um finanzielle Hilfe gebeten. Heute ist es ein Austausch auf Augenhöhe. Die evangelische Kirche in Deutschland fragt uns, wie wir mit bestimmten Themen umgehen und will von uns etwas lernen. Das ist sehr bereichernd.

Das Gespräch führte Astrid Prange de Oliveira.

Quelle: Deutsche Welle

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