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Kolumbien |

E-Learning für Flüchtlinge

Die Deutschkurse von Steffen Bäuerle in Bogota besuchen sowohl junge Kolumbianer vor Ort als auch junge Flüchtlinge aus Deutschland per Videokonferenz. Foto: DW/T. Käufer
Die Deutschkurse von Steffen Bäuerle in Bogota besuchen sowohl junge Kolumbianer vor Ort als auch junge Flüchtlinge aus Deutschland per Videokonferenz. Foto: DW/T. Käufer

Zwischen Lehrer und Schüler liegen knapp 10.000 Kilometer, sieben Stunden Zeitunterschied und ein ganzer Ozean. Und doch scheint zu funktionieren, was sich das deutsch-kolumbianische Kultur- und Sprachinstitut in Kolumbien (ICCA) mit Unterstützung der Leuphana-Universität in Lüneburg und dem Social-Startup Kironaus Berlin ausgedacht haben. Deutsch-Unterricht für überwiegend syrische und nigerianische Flüchtlinge, die in Deutschland leben, aber aus der kolumbianischen Hauptstadt Bogota heraus unterrichtet werden.

Steffen Bäuerle, ist seit ein paar Jahren Leiter des ICCA in Bogota und verantwortet den ungewöhnlichen Sprachunterricht aus Südamerika für Flüchtlinge in Deutschland. Die Schüler von verschiedenen Krisenherden dieser Welt sitzen in Berlin, Hamburg oder auch in Korschenbroich am Niederrhein. Zugeschaltet sind sie in das "Klassenzimmer 2.0" via Internet. Auf der anderen Seite der Leitung warten Lehrer wie Dominik Damian Leistner, der urspünglich aus Regensburg stammt oder Nadja Widder, die zuvor in Bayern lebte.

Wachsendes Interesse an deutschen Sprachkursen

"Ein spannendes Projekt, bei dem alle Deutschlehrer mit vollem Herzen dabei sind", berichtet Bäuerle. Der 39-Jährige Freiburger lebt seit vier Jahren in der zweitgrößten Hauptstadt Südamerikas. Eigentlich bilden kolumbianische Studenten die Hauptkundschaft des ICCA. Das liegt daran, dass das Institut in dem schmucken weißen Gebäude an der Carrera 7 im Stadtteil Chapinero mitten im Universitätsviertel liegt.

Das Interesse an deutschen Sprachkursen ist in den letzten Jahren stetig gewachsen. Das liegt an der wachsenden kolumbianischen Mittelschicht, aber auch an der Attraktivität Deutschlands als Studien- und Forschungsland. Rund 1.600 kolumbianische Studenten lernen so derzeit am ICCA Deutsch, bereiten sich optimal auf ihr Auslandssemester vor. Für die Deutsch-Lehrer in Kolumbien ist es tägliche Routine, Ausländern die deutsche Sprache beizubringen. Nur findet der Unterricht hier normalerweise in realen Klassenzimmern statt.

Nun aber gesellen sich seit ein paar Monaten via E-Learning auch rund 200 Flüchtlinge in Deutschland zu den Sprachschülern in Bogota. Sie sind offiziell Studenten des Social Start-up Kiron. Das will nach eigenen Angaben bestehende Barrieren auf dem Weg zur Hochschulbildung für Geflüchtete mittels digitaler Lern- und Unterstützungsangebote abbauen. Teilnehmen darf nur, wer nachweisen kann, dass er "seine Bildungsbiographie aufgrund einer Krisensituation beenden musste" und "ein gewisses Englischlevel" besitzt. Ein Online-Spracheinstufungstest, den die interessierten Flüchtlinge kostenlos ablegen können, ermittelt das jeweilige Sprachniveau der Teilnehmer. Je nach Ergebnis werden sie dem passenden Deutschkurs im Klassenzimmer 2.0 zugeordnet.

Kritische Einstiegs-Vokabeln

"Die Ausgangslage bei Flüchtlingen ist natürlich anders als bei kolumbianischen Sprachschülern", berichtet Dominik Damian Leistner, der als Bindeglied zwischen wissenschaftlicher Leitung und den über 20 Lehrkräften überwiegend aus Deutschland, Österreich und der Schweiz für den reibungslosen Ablauf verantwortlich ist. "Wir richten den Unterricht auf die aktuellen Anforderungen der Migranten aus, simulieren Vorstellungsgespräche oder Behördengänge." Dabei müssen die Deutschlehrer auch sensibel vorgehen: "Oft ist es im Sprachunterricht so, dass man mit Begriffen wie Bruder, Schwester, Mutter, Vater anfängt. Aber manchmal haben die Flüchtlinge diese Angehörigen verloren", sagt Bäuerle. Es sollen keine Wunden aufgerissen werden.

Virtuelle Tafel und kleine Probleme

Nadja Widder setzt die Kopfhörer auf, gleichzeitig tauchen auf ihrem Bildschirm viele kleine Gesichter auf. Widder sitzt in einem einigermaßen schalldichten, fensterlosen Raum. So ist gewährt, dass sich Lehrer und Schüler auf den Unterricht konzentrieren können. "Guten Tag", sagt sie und los geht es mit dem Sprachunterricht über den großen Teich hinweg. Es geht um Grammatikübungen aber auch mal um konkrete Fragen aus dem Alltagsleben der Geflüchteten. Die Schüler können sich gegenseitig sehen, wenn sie wollen und auch aufzeigen, wenn sie etwas wissen. Nicht immer klappt das reibungslos. "Manchmal wollen weibliche Teilnehmerinnen nicht, dass man sie sehen kann. Und beim Thema Gesundheit, bei der Beschreibung von Körperteilen tun sich einige schwer."

Nahezu allen Flüchtlingen sei bewusst, dass es kulturelle Unterschiede gibt, und sie seien bereit, diese zu akzeptieren, sagt Deutschlehrer Leistner. Obwohl die alte und die neue Welt die Lehrer von ihren Schüler trennt, bekommen sie einen sehr persönlichen Einblick in das Seelenleben der Flüchtlinge auf dem anderen Kontinent. "Wahrscheinlich sind wir näher dran an den Lebensbedingungen der Migranten, als die Menschen in Deutschland selbst", vermutet Leistner. "Nach all den Wochen bin ich davon überzeugt, dass die von uns unterrichteten Flüchtlinge bereit sind, sich zu integrieren. Sie sind sehr motiviert."

Wirklich grenzenloses Lernen

Einige Momente hört Sprachlehrerin Nadja Widder der Beschreibung einer ihrer Schüler aufmerksam zu. Dann weiß sie, nach welchem Begriff ihr Sprachschüler sucht: "Ach, politische Überzeugung meinst Du", sagt Widder. Eine Frage ist beantwortet, ein Zweifel ausgeräumt. Noch bis Mitte September läuft das Projekt. Dann wollen alle Beteiligten ein Fazit ziehen. Steffen Bäuerle, der Leiter des Sprachinstituts, wagt das schon jetzt: "Die Arbeit mit den Flüchtlingen in Deutschland von Kolumbien aus zeigt, dass dies auch ortsunabhängig und über tausende Kilometer hinweg möglich ist. Für uns kennt der weltweite Wissensaustausch keine Grenzen."

Quelle: Deutsche Welle, Autor: Tobias Käufer

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