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Argentinien |

"Die Führungsmacht braucht eine Vision für den Kontinent."

Atilio Boron bei einem Interview zu seinem Buch "América Latina en la Geopolítica del Imperialismo". Foto: Youtube.
Atilio Boron bei einem Interview zu seinem Buch "América Latina en la Geopolítica del Imperialismo". Foto: Youtube.

Der argentinische Politikwissenschaftler Atilio Boron, der an der Universidad de Buenos Aires lehrt, fordert Brasilien dazu auf, seiner Führungsrolle in Lateinamerika zum Wohle des gesamten Kontinentes gerecht zu werden.

Wie beurteilen Sie die auf Entwicklung ausgerichtete Politik Brasiliens? Kann diese Brasilien in eine Weltmacht verwandeln?

Ich denke, dass Brasilien über außergewöhnliche Potenziale verfügt. Jedoch ist es nicht einfach, diese in reale Macht umzuwandeln. Es handelt sich um keinen linearen Prozess. Um zu einer Macht zu werden, benötigt man ein gut ausgebildetes Volk und eine gerechte Gesellschaft, ohne große Spannungen und soziale Widersprüche. Und eine wahre Macht besitzt die Autonomie, ihre Souveränität auch wirklich auszuüben. Wenn wir uns die Situation unter diesen Kriterien ansehen, dann erkennen wir, dass das Ausmaß an Autonomie, über das Brasilien effektiv verfügt, noch sehr gering ist.

Brasilien strebt danach, zu einer Großmacht zu werden, dies ist aber nur dann möglich, wenn es sich an die Spitze ganz Lateinamerikas setzt. Diese Rolle einer Führerschaft Lateinamerikas muss Brasilien erst noch verstehen, vor allem ausgehend vom südamerikanischen Bündnis Unasur (portugiesisch: Unasul). Wenn Brasilien dies nicht tut, wird es hierfür einen sehr hohen Preis zahlen. Der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger hat übrigens schon vor 20 Jahren gesagt, dass die USA es niemals zulassen werden, dass südlich des Rio Bravo / Rio Grande eine Großmacht entsteht. Die einzige Großmacht auf dem amerikanischen Kontinent könnten die USA sein. Brasiliens Ausweg aus dieser Situation besteht daher ausschließlich in der Förderung der südamerikanischen Integration.

Die Führungsrolle wird kein anderes Land streitig machen, denn alle sind daran interessiert, dass Lateinamerika geschlossen auftritt. Derzeit allerdings erscheint Brasilien wie ein großer Bruder, der von seinen jüngeren Geschwistern nichts wissen will. Dabei könnte Brasilien in dieser Rolle international die Fähigkeit erlangen, unglaublichen Druck auszuüben. Man bedenke die schiere Menge an Ressourcen wie Wasser und Öl. Brasilien muss der industrielle Motor ganz Südamerikas sein, eine Art südamerikanisches Deutschland. Es fehlt ein Brasilien, das eine Vision für den gesamten lateinamerikanischen Kontinent hat. Heute aber haben die führenden brasilianischen Politiker eine Kirchturms-Vision, die nicht begreift, wie die Welt funktioniert.

Ginge diese Führungsrolle Brasiliens aber nicht zu Lasten Venezuelas, das derzeit für den Kontinent eine ähnliche Rolle einnimmt?

Mit Sicherheit nicht, im Gegenteil. Das Bild des “großen Bruders” stammt ja vom verstorbenen venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez. Allerdings bedeutet die Führungsrolle Brasiliens nicht, dass es die anderen Länder überrollt, sondern einen Konsens herstellt, um gemeinsam ein Projekt zu erarbeiten. Brasilien muss also quasi kollektiv führen. Dafür braucht es freilich andere politische Anführer als die derzeitigen.

Wichtig ist auch eine Großzügigkeit den anderen lateinamerikanischen Ländern gegenüber. Was zum Beispiel soll eine Einfuhrbeschränkung für Reis aus Uruguay? Wie viel Reis könnte Uruguay doch nach Brasilien exportieren. Es ist absurd. Wer die Führungsrolle ersehnt, der muss es auch verstehen, Konzessionen zu machen. Sonst läuft es auf Zwang hinaus. Dass Brasilien in der internationalen Politik kein Gewicht hat, lässt sich übrigens gut daran erkennen, dass der Wunsch nach einem ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat nicht erfüllt wird.

Der Kampf Brasiliens ist also ein lateinamerikanischer Kampf...
Zweifellos. Man muss sich vor Augen halten: Venezuela verfügt über die größten Erdölreserven der Welt, und nun kommt nach den jüngsten großen Funden noch Brasilien dazu. Auf den Kontinent konzentriert sich außerdem fast die Hälfte des Süßwassers der Erde. Allein Brasilien und Argentinien könnten Nahrungsmittel für eine Milliarde Menschen erzeugen.

Interview: Diego Diehl, deutsche Bearbeitung: Bernd Stößel

Quelle: http://www.brasildefato.com.br/node/27043
Fotoquelle: http://www.youtube.com/watch?v=cR8zWBYRd1g

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