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Venezuela |

Die Chronistin des Todes

Maria Isoliet Iglesias sieht zu, hört zu und schreibt auf. Die Venezolanerin arbeitet seit acht Jahren als Redakteurin bei der Tageszeitung "El Universal" in Caracas. Ihr journalistisches Aufgabengebiet verlangt starke Nerven und großes Einfühlungsvermögen. In einer der gefährlichsten Hauptstädte Lateinamerikas berichtet sie gemeinsam mit zwei weiteren Journalisten über unzählige Morde, Gewalttaten und Überfälle. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) hat mit ihr über ihren beruflichen Alltag gesprochen.

 

Frau Iglesias, worüber berichten Sie und Ihre Kollegen für "El Universal"?

Wir beschäftigen uns mit Gewaltstraftaten: Morde, organisierte Kriminalität, Entführungen. Am Wochenende arbeiten wir zu dritt, um all die Ereignisse aufarbeiten zu können, die von Freitag bis Sonntag passieren.

Wie erhalten Sie Ihre Informationen?

Wir gehen zur Leichenhalle Bella Monte. Dort werden alle Toten von Caracas eingeliefert. Nicht nur die Mord- und Gewaltopfer, auch die Leichen von Menschen, die eines natürlichen Todes gestorben sind. Das ist meist der Ausgangspunkt der Ermittlungen.

Wie reagieren die Angehörigen der Opfer, wenn sie in dieser Situation von einer Journalistin angesprochen werden?

Ich selbst kann mich an das Gefühl erinnern, als mein Vater starb. In diesem Moment hätte ich auch nicht gerne Fragen beantwortet. Wir müssen versuchen, uns in die Haut der Angehörigen hineinzuversetzen. Nur sie wissen, wie sich dieser unerträgliche Schmerz anfühlt. Wenn die Angehörigen nicht mit uns sprechen wollen, dann respektieren wir das selbstverständlich.

An diesem Wochenende, an dem wir uns unterhalten, hat es in Caracas 58 Morde gegeben. Wie sehen Sie die aktuelle Situation?

Die Gewalt ist da. Sie war bereits vor zehn Jahren da, aber sie ist in den vergangenen zehn Jahren enorm angewachsen. Damals gab es 8.000 Mordfälle, im vergangenen Jahr hatten wir nach offiziellen Angaben mehr als 14.000. Heute werden Menschen wegen Nichtigkeiten wie einem Verkehrsstau oder einem Streit in einem Einkaufszentrum umgebracht.

Wie gehen Sie damit um, täglich mit so viel Leid und Trauer konfrontiert zu werden?

Wir haben eine Rubrik, die heißt "Vorfälle". Wer dort arbeitet, dem muss klar sein, dass er jeden Tag Kontakt mit Tod und Gewalt bekommt. Jeden Tag. Was wir versuchen, ist diesen Fällen ein Gesicht zu geben. Wir lernen jeden Tag, mit der Gewalt zu leben, denn das ist unsere Realität. Wir leben mit dieser Paranoia.

Welche Reaktionen bekommen Sie von den Opferangehörigen?

Viele Familien der Opfer empfinden unsere Berichterstattung als eine große Unterstützung. Oft sind wir auch lange Zeit nach den Vorfällen noch in Kontakt mit den Opferfamilien. Viele Familien kommen auf uns zu, um uns ihre Geschichte zu erzählen. Manchmal schützen wir ihre Identität, wenn sie Angst haben, zur Polizei zu gehen oder Repressalien fürchten.

Laut Statistik bleiben mehr als 90 Prozent der Mordfälle unaufgeklärt. Ist deswegen das Interesse der Opfer so groß, dass über die Gewalttaten berichtet wird?

Vor einigen Wochen gab es den Fall eines erschossenen Taxifahrers. Die Familie hat uns mit den entsprechenden Informationen versorgt, damit wir über den Fall berichten können. Sie erhoffen sich, dass es durch die öffentliche Berichterstattung vielleicht doch noch Gerechtigkeit gibt. Das erleben wir sehr oft.

Menschenrechtsorganisationen werfen der Regierung vor, keine Gewaltstatistiken mehr zu veröffentlichen.

Ein schwieriges Thema. Wir erhalten von offiziellen Stellen so gut wie keine Informationen. Zum Beispiel gibt es von den Polizei-Wissenschaftlern keine Informationen mehr an die privaten Medien. Daher arbeiten wir noch sorgfältiger und verantwortungsvoller. Gott sei Dank gab es trotzdem nur ganz wenige Fälle, bei denen die offiziellen Stellen unserer Berichterstattung widersprochen haben.

Werden Sie wegen Ihrer Berichterstattung bedroht?

Drohungen haben meine Kollegen und ich bereits in verschiedenen Situationen erhalten. Einmal ist bei mir nach einem Mordfall, den wir aufgegriffen hatten, per E-Mail eine konkrete Morddrohung eingegangen. Wir haben die Berichterstattung trotzdem fortgesetzt. Ich bekam auch Drohungen nach einem Bericht über ein Massaker. In einem Stadtviertel hat eine Bande Flugblätter mit meinem Namen und meiner Anschrift als Warnung verteilt.

Gemeinsam mit Ihrem Fotografen-Kollegen Alias Manoa haben Sie einen Internet-Blog ins Leben gerufen. Er heißt "Voces de la muerte" (Die Stimmen des Todes). Warum?

Wir versuchen dort all jene Fälle aufzuarbeiten, über die aus unterschiedlichen Gründen in der Tageszeitung nicht berichtet werden kann. Dort berichten wir auch nicht im traditionellen Sinne, sondern versuchen, jeden Fall aus seiner speziellen Sicht zu erzählen. Jeder Fall ist es wert, dass wir ihn erzählen. Und jeder Fall bewegt uns.

Quelle: Tobias Käufer, KNA

 

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