Bischöfliche Aktion Adveniat e.V.
Guatemala |

"€žDer Staat gibt Gebiete einfach auf"€?

In Guatemala werden nur zwei Prozent aller Straftaten sanktioniert. Diverse Mafiagruppen kontrollieren den Drogen-, Frauen-, Kinder- und Waffenhandel und haben den Staat herausgefordert. 2007 beantragte Präsident Alvaro Colom deshalb Unterstützung im Ausland für den Kampf gegen organisiertes Verbrechen.

Die UN-Kommission zur Bekämpfung der Straffreiheit in Guatemala, CICIG, wurde eingerichtet. Ihr Mandat endet 2013. Unsere Korrespondentin sprach mit Missionschef Francisco Dall’Anese über das weltweit einmalige Experiment und über den Kampf zwischen der Mafia und den schwachen Staaten Mittelamerikas.

Blickpunkt Lateinamerika: Wie ist ihre Bilanz nach etwas mehr als der Halbzeit der Mission?

Francisco Dall’Anese: Wir haben vieles erreicht. Der Kampf gegen die Straffreiheit beginnt mit den Unberührbaren, also denjenigen, die glauben, sie könnten tun und lassen was sie wollen, weil sie sicher sind, dass sie nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Das ist vorbei. Allein die Tatsache, Ex-Präsident Alfonso Portillo auf die Anklagebank gesetzt zu haben, ist ein Meilenstein. Auch wenn wir mit dem Freispruch durch die Richterin nicht einverstanden sind und sie wegen Amtsmissbrauch anzeigen werden. Aber das ist ein Einzelfall und der einzige Freispruch von den 16 Fällen, die wir vor Gericht gebracht haben. Wir haben wichtige Reformen angestoßen, auch wenn sie vermutlich in diesem Jahr aufgrund der bevorstehenden Wahlen nicht mehr verabschiedet werden. Wir haben viele Schulungen durchgeführt. Die Zusammenarbeit mit der neuen Generalstaatsanwältin ist sehr gut. Wir hoffen, dass der neue Präsident sie beibehält.

Das sind die Fortschritte, aber der Freispruch von Portillo und die jüngsten Morde an Staatsanwälten sind ja eher Rückschläge.

Diese Fälle haben uns gezeigt, dass die Straffreiheit und die Korruption in allen Sphären vertreten sind: Polizei, Staatsanwaltschaft, Richter. Im Fall Portillo beispielsweise geht es um Korruption und Veruntreuung. Diese wirtschaftlichen Delikte sind schwer nachzuweisen, aber wenn man einmal die nötigen Dokumente hat, also Kontoauszüge, Verträge, Schecks, dann kann der Richter eigentlich gar nicht anders als zu verurteilen. Denn alles ist bis ins kleinste Detail dokumentiert, weil die Täter dem Ganzen ja einen legalen Anstrich geben wollten. Hier haben sich die Richter gegen die Beweislage entschieden, und zwar mit haarsträubenden Argumenten, die ich nicht einmal einem Jurastudenten durchgehen lassen würde.

Warum ist Guatemalas Justiz so korrupt und was schlagen Sie dagegen vor?

Eine Säuberung des Justizapparates und strukturelle Reformen. Die Richter hier werden laut Verfassung für fünf Jahre ernannt. Damit sind sie anfällig für politischen Druck, denn wenn sie nicht vom Kongress im Amt bestätigt werden, verlieren sie ihre Arbeit und ihren Pensionsanspruch. So haben sich die Politiker die Kontrolle über die Justiz gesichert. In einem Rechtsstaat werden die Richter auf Lebenszeit oder bis zu ihrer Pension eingesetzt, somit sind sie unabhängiger. Abgesetzt werden können sie nur wegen schwerer Verfehlungen.

Gibt es ein politisches Interesse an derartigen Reformen?

Also man hat eher den Eindruck, die Politiker veranstalten hier einen makabren Zirkus. Nach dem jüngsten Massaker an 27 Landarbeitern hat der Präsident des Obersten Gerichtshofes vor dem Kongress gesprochen und erklärt, dass er für die letzten drei Monate des Jahres kein Budget hat. Das hat die Abgeordneten nicht interessiert, sie haben den Saal verlassen. Aber ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Wir beraten gerade eine Verfassungsreform. Und es gibt sehr mutige Richter und Staatsanwälte, die Drogenhändler hinter Gitter gebracht haben und ihr Leben aufs Spiel setzen. Vieles wird davon abhängen, welche Prioritäten der neue Präsident setzt, der Ende des Jahres gewählt wird.

In Guatemala gibt es seit der Unterzeichnung der Friedensverträge 1996 eine große Präsenz nicht nur der UNO, sondern auch von Hilfsorganisationen. Doch noch längst nicht alle Vereinbarungen von damals sind umgesetzt. Ist die Rolle der Geber nicht zwiespältig?

Die Unterstützung durch andere spielt eine wichtige Rolle, aber irgendwann kommt der Moment, an dem man die Hilfen an Bedingungen knüpfen muss. Wir können nicht immer weiter Geld ausgeben, während die politische Elite meint, sich um so grundlegende Dinge wie einen Rechtsstaat drücken zu können.

Ist Guatemala ein Narcostaat?

Diesen Begriff muss man mit Vorsicht verwenden. Ein Staat definiert sich durch das von der Bevölkerung legitimierte Gewaltmonopol in einem bestimmten Gebiet. Hier hat der Staat nicht in allen Regionen das Gewaltmonopol, er kontrolliert nicht das ganze Staatsgebiet, und an einigen Orten sehen die Menschen daher die Drogenbosse als legitime Herrscher an. Aber ganz so weit sind wir zum Glück noch nicht.

Wie ist es dazu gekommen?

In Lateinamerika gab es keinen Sozialstaat, Armut wurde hingenommen, und es gab keine ernsthaften Bemühungen, eine Mittelklasse zu schaffen. Diese Vernachlässigung hat die Kriminalität angekurbelt. Heute hat der Staat Konkurrenz bekommen durch organisiertes Verbrechen. Wenn er ganze Bereiche einfach aufgibt, verliert er die Legitimation an die Mafia und wird immer mehr zum Narco-Staat. Das passiert auch in Mexiko oder Costa Rica, wo es neulich Demonstrationen gab, weil ein Drogenboss festgenommen wurde.

Kann die CICIG das Abgleiten verhindern?

Nein, das ist Aufgabe der Guatemalteken. Wir ermitteln besonders brenzlige Fälle, wir schlagen Gesetze und Reformen vor, wir bilden die hiesigen Behörden aus und wir erstellen Berichte etwa über illegale Adoptionen und Waffenhandel. Dabei kam zum Beispiel zutage, dass Guatemala der größte Waffenexporteur der Region ist – obwohl hier keine einzige Waffenfabrik steht. Die Konsequenzen daraus müssen aber die Guatemalteken ziehen.

Das scheint aber nicht der Fall zu sein. Die CICIG ist wiederholt in den Medien scharf angegriffen worden.

Ja, im Februar haben Unternehmer sich in New York und Washington gegen die CICIG stark gemacht, weil es ihnen nicht passte, dass jemand Licht in ihre Geschäfte brachte. Das hat dann die Zivilgesellschaft auf den Plan gerufen und mehr als 300 NGOs, angeführt von Nobelpreisträgerin Rigoberta Menchú, haben uns unterstützt. Die Presse wird von den Mächtigen kontrolliert.Dass sie uns kritisiert, sehen wir als gutes Zeichen. Denn jeder Gegenangriff zeigt uns, dass wir ins Schwarze getroffen haben. Und so werden wir weiter arbeiten. Denn eine ernstzunehmende Staatsanwaltschaft richtet sich nicht nach der Popularität, sondern nach dem Gesetz.

Honduras und El Salvador sind auch an einer CICIG interessiert. Wird das jetzt ein Exportschlager?

Dass jetzt noch weitere Länder an dem Modell interessiert sind, zeigt, dass sie nicht mehr alleine in der Lage sind, gegen das Verbrechen anzukommen. Die Budgets für Sicherheit in Mittelamerika sind niedrig verglichen mit der Portokasse der Kartelle. Wir müssen uns also eine Lösung für die ganze Region überlegen. Das könnte zum Beispiel ein Regionalgericht gegen die Straffreiheit nach dem Modell des Internationalen Strafgerichtshofes sein. Also eine Instanz, die Fälle untersucht, die wegen staatlicher Schwäche oder Korruption in dem jeweiligen Land selbst nicht geahndet werden können.

Ist das schon spruchreif bei der UNO?

Nein, aber mir schwebt das schon länger vor. Denn was passiert, wenn wir überall CICIGs einrichten? Vermutlich das gleiche wie hier, wo die Richter in zwei historisch bedeutsamen Fällen gekniffen haben. Die Staatsanwälte setzen ihr Leben aufs Spiel, wir liefern Beweise und die Richter zementieren die Straffreiheit. So hat das keine Zukunft.

Also ein rabenschwarzes Panorama?

Nicht ganz, es gibt auch etwas Positives. So hat Guatemala immerhin selbst die CICIG ins Land gerufen und damit ein großes Stück Souveränität abgegeben, statt weiterhin die Augen zu verschließen und die Mafiabosse schalten und walten zu lassen. Dieses weitblickende Zugeständnis muss man Guatemala anerkennen.

Das Interview führte Sandra Weiss.

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