Bischöfliche Aktion Adveniat e.V.
Guatemala |

"Der Albtraum" - Erinnerungen eines Soldaten

Jeden Tag tun Menschen irgendwo auf der Welt anderen Menschen Grausamkeiten an. Sei es in Libyen, in Afghanistan oder im mexikanischen Drogenkrieg. Immer wieder finden Machthaber Personen, die sich in ihren Dienst stellen und für sie morden. Wie gelingt ihnen das?

Der Bürgerkrieg in Guatemala ging vor fünfzehn Jahren offiziell zu Ende. Mindestens 200.000 Menschen verloren zwischen 1960 und 1996 ihr Leben. Die meisten Opfer wurden von Angehörigen der Armee ermordet. Ehemalige Soldaten sind meist nicht bereit, von ihren Erlebnissen zu berichten. Eine Ausnahme ist der Grundschullehrer Rodrigo Sic in der Ortschaft Rabinal.

Ich heiße Rodrigo Sic. Ich bin 46 Jahre alt. Zu Hause sprechen wir unsere Muttersprache Achí, das ist eine der 22 Mayasprachen, die bis heute in Guatemala gesprochen werden. In meiner Jugend konnte ich nicht einfach auf der Straße spielten. Meine Mutter hat uns oft gewarnt: "Heute darfst du nicht raus, weil die Soldaten Jungen fangen." An solchen Tagen ist die Armee durch die Dörfer gezogen und hat jeden Jungen mitgenommen.

Wie der Albtraum begann

Im Jahr 1982 kam ein Militärkommissar zu unserer Hütte und brachte einen Einberufungsbefehl. Wir waren 700 Jungen, die sich vor dem Rathaus zusammen fanden. Einen Tag und einen Nacht lang wurden wir eingesperrt. Draußen flehten die Mütter, dass sie ihnen ihre Söhne zurückgeben. Aber niemand schenkte ihnen Beachtung. Um zwei Uhr morgens wurden wir auf sieben Lastwagen verteilt. Die Soldaten traten und beschimpften uns. Sie brachten uns in eine Militärstation in der Stadt Salama. Dort mussten wir uns auf den Boden legen. Ein paar Uniformierte liefen auf unseren Rücken herum. So begann der Albtraum.

Ich wurde in die Hauptstadt gebracht. Um drei Uhr morgens konnten wir schlafen gehen, aber um vier mussten wir schon wieder raus. Ohne zu essen mussten wir stundenlang wie Enten laufen, auf den Knien mit den Händen auf den Schultern. Sie warfen uns in den Schlamm, traten uns, zogen uns die Kleider aus und spritzten uns mit eiskaltem Wasser ab. Das war die Begrüßung in der Armee. Viele wurden bewusstlos. Sie gaben uns Stiefel und alte Hemden. Jetzt waren wir Soldaten.

Aggressivität lernen

Schon bald lernten wir unsere Vorgesetzen kennen. Die schrien immerzu: "Ihr feigen Hühner! Indios! Guerilleros!" Der Tag fing um drei Uhr morgens mit Strafen an. Da gab es "das gepresste Teufelchen". Man musste sich mit den Ellbogen und den Zehenspitzen über dem Boden halten, stundenlang. Oder "das Münzen sammeln", bei dem man sich selbst am Ohr ziehen und so lange um die eigene Achse drehen musste, bis man sich übergab. Aber wir hatten ja nichts gegessen, so dass wir nur Schleim spucken konnten. Den mussten wir dann wieder runter schlucken.

Wir haben Foltertechnicken gelernt: Mit einem Stock und einem Seil mussten wir den Leuten die Gurgel zudrehen. Da konnten sie dann selbst entscheiden, ob sie weiterleben wollten.

Die meisten Kameraden waren auf dem Land aufgewachsen, Jungen aus der Urbevölkerung der Mayas, die sich während der Trainingswochen völlig verändert haben. Uns wurde gesagt: "Wenn deine Mutter zu den kommunistischen Rebellen gehört, dann musst du sie töten."

Die Gruppenleiter hatten die Aufgabe, aggressive Soldaten aus uns zu machen. Wir mussten ständig kämpfen, gegeneinander boxen. Wer nicht mitmachen wollte, wurde erschossen. Unser Slogan war: "Befehle werden nicht diskutiert, sondern ausgeführt." Unsere Meinung galt nichts.

Einige versuchten zu desertieren. Einmal hat ein Kamerad gesagt, er müsse auf die Toilette, aber er kam nicht zurück. Wir wurden alle bestraft, weil wir ihn nicht gefunden haben.

Das Training dauerte drei Monate lang. Wir waren jetzt aggressive Kämpfer. Ich wurde in den Ort Mazatenango versetzt. Dort sollten wir fünf Tage lang durch die Wälder ziehen und nach dem Feind Ausschau halten. Aber daraus wurden drei Monate. Damals erlebte ich meine ersten Gefechte.

Folter und Durchsuchungen

Wir suchten nach Informanten. Einmal kam ein Mann auf uns zu. Er war etwa vierzig Jahre alt und fragte freundlich, wie viele wir wären. Nur deshalb wurde er zu unserem Anführer gebracht. Der hat angeordnet, ihn zu foltern. Sie haben ihm die Fingernägel ausgerissen und ihn kopfüber in eine Tonne gesteckt. Er hat nicht lange ausgehalten. Um Mitternacht war er tot, nur weil er gefragt hat, wie viele wir sind.

Wir haben auch viele Hütten durchsucht. Einmal fanden wir einen älteren Mann, der sich unter einem Bett versteckt hatte. Wir sollten ihm die Hände hinter dem Rücken zusammenbinden und ihn ins Lager bringen. Aber der Kamerad, der auf ihn aufpasste, war ein böser Mann. Ich lief neben den beiden her habe genau gesehen, dass er den Gefangenen einen Abhang runterschubste. Der Mann fiel hin und der Soldat schoss auf ihn, ohne ihn zu treffen. Der Mann lief weg, aber wir konnten ihn einholen. Unser Anführer befahl: "Schneidet ihm den Kopf ab!" Dann hat der Kommandant zu mir gesagt: "Ich brauche das Herz." Mir blieb nichts anderes übrig. Ich habe es rausgeschnitten. Es hat noch gepocht. Er schrie mich an: "Zitterst Du etwa?" Ich antwortete: "Nein, das Herz bewegt sich noch."

Vergewaltigungen

Ein anderes Mal waren wir in einer kleinen Gemeinde. Da kam eine Frau zu uns, um sich über ihren Mann zu beschweren, weil er sie geschlagen hatte. Der Soldat, der gerade auf Wache war, sagte zu ihr: "Na gut, ich rede mal mit ihm." Aber dann hat er sie ins Gebüsch gezogen und die anderen gerufen. 24 Soldaten. Sie alle haben die Frau vergewaltigt. Danach durfte sie nach Hause gehen. Am nächsten Tag hat unserer Anführer davon erfahren und den Soldat zu sich beordert. "Du hast das gemacht? Was für ein Kerl du bist. Jetzt zieh deine Hose runter." Er hat ihm eine Zigarette zwischen die Beide gedrückt. Der Soldat ist rumgesprungen, aber eine weitere Strafe bekam er nicht.

Immer schmutzig, krank, die Haut voller Pilze

Wir waren lange im Wald, immer schmutzig, krank, die Haut voller Pilze. Unsere Stiefel haben wir nie ausgezogen. Wir schliefen darin. Nach sieben Monaten durften wir für fünf Tage nach Hause gehen. Ich schämte mich so, weil ich schmutzig war und kein Geld hatte. Meine Mutter musste sich etwas leihen, um meine Rückfahrt zu bezahlen.

Dann ist mein Vater gestorben. Ich war nicht da. Ich bekam ein Telegramm, in dem stand, mein Vater liege im Sterben. Da bin ich zu einem Offizier gegangen und habe gesagt: "Mein Vater ist tot. Meine Mutter ist allein zurückgeblieben. Meine Brüder sind weg. Ich bin der einzige. Sie müssen mich gehen lassen." Seine Antwort war: "In Ordnung. Aber nicht jetzt gleich." Ich musste noch acht Monate lang warten. Am 31. Juli 1983 kam ich raus, ohne Geld, ohne nichts.

Nicht schlafen, nicht arbeiten

Ich konnte lange Zeit nicht schlafen, nicht arbeiten. Ich hatte kein Geld, schon gar nicht, um zur Schule zu gehen. So verging ein Jahr. Ich habe mich auf die Straße gesetzt und wenn ich konnte, habe ich mich betrunken, um alles zu vergessen. Irgendwann gab mir mein kleiner Bruder Geld für die Schule. So habe ich es nach und nach geschafft, meine Erinnerungen zu überwinden. Ich hatte nie die Möglichkeit, mit einem Psychologen zu sprechen.

Viele Solodaten haben dasselbe erlebt wie ich. Heute behandeln sie ihre Söhne genauso wie sie uns damals behandelt haben. Sie leiden noch immer. Sie lassen sich von ihrem Überlebensinstinkt leiten, nicht von moralischen Werten. Sie wissen, dass alles von einem auf den nächsten Moment zu Ende sein kann. Deshalb denken sie nur an das Jetzt, nicht an das, was morgen sein wird.

Wurzeln der Gewalttätigkeit

Viele Menschen in Guatemala sind heute sehr gewalttätig. Das hat seinen Ursprung in der Zeit des Bürgerkriegs. Die Leute sind voller Hass, die Kinder des Kriegs, die vergewaltigten Frauen, alle, die das erlebt haben. Damals wurde die Saat gesät, aus der noch mehr Gewalt hervorgeht.

Ich habe überlebt, weil ich ein Ziel hatte. Ich wollte Lehrer werden. Früher ist hier im Dorf niemand länger zur Schule gegangen. Das war das Privileg von einigen wenigen. Mir hat die Schule geholfen, aber die Erinnerungen belasten noch immer mein Gewissen. Deshalb habe ich angefangen, über meine Erlebnisse zu schreiben. Der Arbeitstitel des Manuskripts lautet: "Der Albtraum".

Zusammenfassung: Andreas Boueke

Cookie Einstellungen

Erforderliche Cookies sind für den reibungslosen Betrieb der Website zuständig, indem sie Kernfunktionalitäten ermöglichen, ohne die unsere Website nicht richtig funktioniert. Diese Cookies können nur über Ihre Browser-Einstellungen deaktiviert werden.

Anbieter:

Bischöfliche Aktion Adveniat e.V.

Datenschutz

Marketing-Cookies werden verwendet, um Besuchern auf Webseiten zu folgen. Die Absicht ist, Anzeigen zu zeigen, die relevant und ansprechend für den einzelnen Benutzer sind und daher wertvoller für Publisher und werbetreibende Drittparteien sind.

Anbieter:

Google Ireland Limited

Datenschutz

Statistik-Cookies dienen der Analyse und helfen uns dabei zu verstehen, wie Besucher mit unserer Website interagieren, indem Informationen anonymisiert gesammelt werden. Auf Basis dieser Informationen können wir unsere Website für Sie weiter verbessern und optimieren.

Anbieter:

Google Ireland Limited

Datenschutz