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Cracolandia ist überall

Obdachlose und Drogensüchtige sollen nach dem Willen von São Paulos Bürgermeister Joao Doria aus dem Stadtbild verschwinden. Foto: Adveniat/Bauerdick
Obdachlose und Drogensüchtige sollen nach dem Willen von São Paulos Bürgermeister Joao Doria aus dem Stadtbild verschwinden. Foto: Adveniat/Bauerdick

Die Inszenierung war flott: Rund 900 Polizisten rückten in Sao Paulos Crack-Viertel "Cracolandia" vor, holten obdachlose Süchtige mit vorgehaltener Pistole aus ihren Schlafsäcken, verhafteten Dutzende und rissen die Drogenverkaufszelte ein. Dahinter folgte Bürgermeister Joao Doria, der per Handy live in die Sozialen Netzwerke übertrug. Er versprach: Cracolandia ist auf ewig beseitigt.

Schon seine Amtsvorgänger hatten versucht, das Luz-Viertel von Crack-Süchtigen zu säubern. Alle scheiterten - mitsamt ihren schicken Umgestaltungsplänen. Stets kamen die Süchtigen zurück. Doch der Unternehmer und TV-Moderator Doria, der mit der brasilianischen Version von Donald Trumps Manager-Show "The Apprentice" bekannt wurde, gibt sich siegesgewiss. Er sei ja kein Politiker, sondern ein Macher.

Konsens herrschte unter Experten, dass gehandelt werden musste. Das Sozialprojekt zur Betreuung vor Ort wurde der Zahl von Süchtigen nicht mehr Herr. Derweil schaute die Polizei dem offenen Drogenhandel zu, während auch die Kleinkriminalität drastisch zunahm. Doch statt auf mehr Ärzte und Sozialarbeiter setzt Doria auf Bagger, die die Unterkünfte der Süchtigen abreißen. Zudem will er Süchtige zwangseinweisen.

Drogensüchtige sollen zwangseingewiesen werden

Genau das hatte ein Gericht vor einigen Jahren der Stadt Rio de Janeiro untersagt. Doch Doria gelang ein Teilerfolg. Ein Gericht genehmigte die Einweisung für Volljährige, verlangt freilich zuvor eine ärztliche Untersuchung plus eine spezielle richterliche Genehmigung. Jedoch fehlen Kliniken, die den Drogenentzug durchführen könnten. Eine ganze Reihe wurde in den vergangenen Jahren geschlossen.

Dabei stünden durchaus öffentliche Mittel bereit. Im Bundestopf zur Drogenbekämpfung sind für dieses Jahr umgerechnet 35 Millionen Euro vorgesehen; abgerufen wurden jedoch bis Ende Mai erst 7 Millionen. Von den zwischen 2002 und 2016 bereitgestellten 460 Millionen Euro wurden nur 37 Prozent abgefragt. Die offizielle Begründung: Es fehle an förderungswürdigen Projekten. "Bund, Länder und Kommunen schaffen es nicht, gemeinsam Projekte zu formulieren und durchzuführen", so Gil Castello Branco von der Nichtregierungsbehörde Contas Abertas.

Budget für Drogenbekämpfung bleibt ungenutzt

Auch das 2011 vom Bund mit umgerechnet rund 1,1 Milliarden Euro ausgestattete Programm "Crack ist zu besiegen" floppte. Neben Schulvorträgen und Sozialarbeitern sollten mit bis zu 20 Kameras ausgestattete Kleinbusse helfen, die Cracolandias in Großstädten zu beseitigen. Die Kameras würden Süchtige und Kriminelle vertreiben - so die Idee.

Von den 197 Bussen kamen 127 wegen technischer Mängel nie zum Einsatz. Andere wurden von Stadtverwaltungen zweckentfremdet. Bis 2014 wurden nur 40 Prozent der Mittel abgerufen. Mit dem Sturz der Regierung Rousseff Mitte 2016 kam das Programm zum Erliegen.

Für Paulo Ziulkoski vom Städtebund war das Programm schlicht unzureichend. Man habe in etwa jeder fünften Gemeinde einen "sehr hohen Drogenkonsum" festgestellt. Zugelassen zum Programm waren jedoch nur die 121 größten Städte. Die Regierung müsse handeln. "Der Drogenkonsum in den Städten ist ein wahrer Krieg. Und dieses Programm ist wie eine Kopfschmerztablette für einen Patienten mit Lungenentzündung."

Drogenbanden nutzen Machtvakuum

Seit 2014 herrschen in Brasilien Rezession und leere Kassen. Betroffen sind besonders die Polizei und das öffentliche Gesundheitssystem - beide zentral für bei die Drogenbekämpfung. Längst haben die aus Rio und Sao Paulo stammenden Drogenbanden ihre Macht landesweit ausgedehnt. Zahllose Gewalttaten sind die Folge; die Behörden sehen machtlos zu. Die Gefängnismassaker zu Jahresbeginn belegen das.

Längst gibt es Cracolandias auch in Kleinstädten. In der Acht-Millionen-Stadt Rio sieht man Gruppen von Crack-Süchtigen an den Ausfahrtsstraßen wie auch im Stadtzentrum. Und in Sao Paulo bauten viele Süchtige schon kurz nach der Räumung ihre Zelte in Cracolandia wieder auf. Auch der Drogenhandel ist zurück, unter den Augen der Polizei. Schlimmer noch: Fünf Tage nach der Räumung meldeten die Behörden, dass die flüchtigen Süchtigen neue Mini-Cracolandias gegründet hätten: 24 Stück, verteilt über das ganze Stadtgebiet.

Quelle: KNA, Autor: Thomas Milz

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