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Chile steht vor einem Rechtsruck

Demonstration von Arbeitern in Concepción, Chile. Foto: Adveniat/Escher
Demonstration von Arbeitern in Concepción, Chile. Foto: Adveniat/Escher

Die sozialistische Präsidentin Michelle Bachelet hat dramatisch an Popularität verloren und die linken Parteien im Land können sich nicht auf eine gemeinsame Linie einigen. Damit würde ein weiteres Land auf dem südamerikanischen Subkontinent nach rechts rücken.

Dabei waren die Hoffnungen groß, als Bachelet 2014 zum zweiten Mal das Präsidentenamt eroberte. Bachelet versprach weitreichende Sozialreformen und setzte viele davon auch durch, so etwa eine Steuer- und Arbeitsmarktreform, die die Position der Gewerkschaften stärken sollte. Sie gründete ein Ministerium für Frauen und Geschlechtergleichheit, setzte die eingetragene Lebenspartnerschaft für homosexuelle Paare durch und lockerte das äußerst restriktive Abtreibungsrecht. Außerdem schaffte sie das noch aus Zeiten der Pinochet-Diktatur stammende Wahlsystem ab, das die Kandidaten der beiden großen Parteienkoalitionen begünstigt, die das politische System Chiles seit dem Ende der Militärdiktatur dominieren das Mitte-Links-Bündnis "Concertación" heute "Nueva Mayoría" aus Christdemokraten, Sozialdemokraten und Sozialisten auf der einen und eine rechte Allianz aus zwei nationalistischen und pinochettreuen Parteien auf der anderen Seite. Zukünftig können nun auch unabhängige Kandidaten und Vertreter kleinerer Parteien den Sprung ins Parlament schaffen.

Bachelet's Reformpolitik für die Linke nicht radikal genug

Dennoch sind aktuell nur noch 34 Prozent der Chileninnen und Chilenen mit Bachelets Arbeit zufrieden, und das ist noch ein verhältnismäßig guter Wert im Vergleich zu den Zustimmungswerten aus den vorhergehenden Jahren. Die Gründe für diesen dramatischen Absturz ihre erste Amtszeit beendete Bachelet 2010 noch mit Zustimmungswerten von 84 Prozent liegen zum einen in der ausgebliebenen Umsetzung weiterer, zentraler Wahlversprechen, allen voran der Reform der noch von Ex-Diktator Augusto Pinochet implementierten Verfassung. Zum anderen befindet sich die Präsidentin in einem grundlegenden Dilemma, das besonders in der Debatte um die Steuer- und Arbeitsmarktreform zum Ausdruck kam: Für viele Linke ist sie nicht radikal genug, den Rechten geht sie zu weit.

Korruptionsaffairen beschädigen Glaubwürdigkeit

Noch schwerer dürften jedoch die Korruptionsfälle wiegen, die die Regierung fast von Anfang an umgaben und ihre Glaubwürdigkeit stark beschädigten: Nur wenige Monate nach Regierungsantritt kam eine Korruptionsaffäre um Bachelets Sohn Sebastián Dávalos ans Licht, der bei einem dubiosen Immobiliengeschäft die familiären Beziehungen zur Regierung für ein Kreditgeschäft genutzt hatte. Hinzu kamen Vorwürfe der Steuerhinterziehung des Bergbauunternehmens Soquimich und des Penta-Konzerns, in die neben rechten Politikern auch Mitglieder von Bachelets Mitte-Links-Regierung verwickelt waren. Auf dem absoluten Tiefpunkt zeigten sich nur noch 18 Prozent der Bevölkerung mit der Regierungsarbeit einverstanden.

Davon profitiert derzeit besonders die rechte Opposition. Diese konnte dank der Korruptionsaffären nicht nur von eigenen Skandalen ablenken, sondern auch Bachelets Regierung diskreditieren. Chile galt lange als korruptionsfreie Insel in Lateinamerika und wenn, dann gab es Korruptionsfälle bei den der Wirtschaft nahestehenden rechten Parteien. Dass sich nun ausgerechnet die Mitte-Links-Parteien solchen Vorwürfen ausgesetzt sah, löste in der chilenischen Bevölkerung eine Welle der Empörung aus, die sich auch auf den Straßen manifestierte.

Erwartungen an Bildungsreform blieben unerfüllt

Als 2015 die Studentenbewegung wiederaufflammte, forderten die Studierenden nicht mehr nur kostenlose Bildung, sondern protestierten auch gegen die korrupte Regierung. "Que se vayan todos" "Sie sollen alle gehen" wurde zum wütenden Ausruf gegen die politische Klasse. Zumindest Teile der Bewegung hatten sich von der Regierung eine grundlegende Reform des chilenischen Bildungssystems erhofft, das durch extrem hohe Schul- und Studiengebühren die soziale Ungleichheit massiv verstärkt. Doch ihre Hoffnungen wurden nicht oder nur ansatzweise erfüllt. Zwar hat Bachelet Stipendien für die ärmere Hälfte der Studierenden eingeführt, das aber reicht vielen nicht aus. Die Demonstranten fordern Bildung solle ein soziales Recht sein, kein Konsumgut.

Die Frente Amplio: Podemos auf chilenisch?

Dieser Unmut bildet den Hintergrund, vor dem jüngst ein neuer Akteur die politische Bühne Chiles betrat: Die Frente Amplio, übersetzt die Breite Front. Das Bündnis hat seinen Ursprung in der chilenischen Studentenbewegung und besteht aus zwölf linken Parteien und Bürgerbewegungen, die sich im August 2016 zusammenschlossen, um bei den chilenischen Kommunalwahlen eine Alternative zu bieten mit Erfolg.

Die Bürgerbewegung will den beiden traditionellen Parteienkoalitionen Konkurrenz machen. Einige vergleichen die Frente Amplio deshalb bereits mit der spanischen Bewegung Podemos. Beide entstanden aus sozialen Protestbewegungen und kritisieren das neoliberale Wirtschaftsmodell. Und tatsächlich macht ihre Kandidatin, Beatrice Sánchez, dem rechten Bündnis der Nueva Mayoria mit Alejandro Guillier als Kandidat Konkurrenz: In Umfragen lag sie zwischenzeitlich mit diesem fast gleichauf. Frente Amplio fordert nicht nur eine grundlegende Bildungsreform, auch das private Rentensystem, gegen das seit Monaten hunderttausende Menschen auf die Straßen gehen, will die Frente Amplio reformieren. Das Bündnis spricht vor allem junge, gebildete Menschen an eine Zielgruppe, die erfahrungsgemäß kaum von ihrem Wahlrecht Gebrauch macht. Daher kommt es für das Bündnis darauf an, ihre Anhänger zum Wählen zu bewegen.

Die gespaltene Linke

So verheißungsvoll die Entstehung der Frente Amplio vielen erscheinen mag, die Taktik, auf Kosten der traditionellen Linken Erfolge zu erzielen, könnte der Rechten in die Hände spielen, schätzt etwa der Politikwissenschaftler Octavio Avendaño. Denn im Vergleich zur zersplitterten Linken, die insgesamt sechs verschiedene Präsidentschaftskandidaten aufbietet, scheint die Rechte mit nur zwei Kandidaten neben Sebastián Piñera der parteiunabhängige José Antonio Kast vereint. Und auch die Regierungskoalition Nueva Mayoría selbst ist gespalten. Die christdemokratische Partei PCD hat die Koalition verlassen und ihre eigene Präsidentschaftskandidatin Carolina Goic aufgestellt. Zudem sorgt eine Debatte um den richtigen Umgang mit dem Konflikt zwischen Regierung und Mapuche für erhebliche interne Spannungen. All das könnte dem eher unscheinbaren Kandidaten Alejandro Guillier der Nueva Mayoría erheblich schaden.

Der Triumph der rechten Opposition

Angesichts einer solch zersplitterten Linken triumphiert die rechte Opposition. Alle jüngeren Umfragen sehen ihren Kandidaten Sebastian Piñera vorn: Laut einer Befragung von Anfang Oktober würde er 45 Prozent der Stimmen auf sich vereinen. Damit liegt er klar vor seinen Herausforderern von der Regierungskoalition Nueva Mayoría Alejandro Guiller (21 Prozent) und Beatrice Sánchez vom neu gegründeten Links-Bündnis Frente Amplio (12 Prozent).

Dabei hat auch Piñera mit einem Korruptionsskandal um die Finanzierung seiner Wahlkampagne im Jahr 2009 zu kämpfen. Aber anders als dem Regierungsbündnis scheinen ihm die Vorwürfe nicht zu schaden. Im Gegenteil: Die Bürger rechnen ihm diese nicht als Fehler an, sondern als Beweis seiner unternehmerischen Taktik und seines Siegeswillens. Alles ist Teil der „Marke Piñera“, stellt etwa Carlos Peña, Rektor der Universität Diego Portales, in einem Kommentar in der rechtskonservativen Tageszeitung „El Mercurio” fest. Und tatsächlich rechnen ihm die Menschen in Umfragen eine hohe Kompetenz in Wirtschaftsfragen und in der Bekämpfung der Kriminalität zu genau bei jenen Themen, die den Chilenen am meisten Sorgen bereiten.

Piñera - ein chilenischer Trump?

Man könnte Piñera auch als eine chilenische Version von Donald Trump bezeichnen: Er äußert sich rassistisch gegenüber Immigranten und den indigenen Mapuche, die immerhin fast zehn Prozent der chilenischen Bevölkerung ausmachen. Er will das von Bachelet verabschiedete Gesetz zur Legalisierung der Abtreibung wieder abschaffen und Chile von den Nachbarländern abschotten, ganz nach dem Motto "Chile First". Piñeras politisches Bündnis heißt "Chile Vamos" Chile Vorwärts. Mit Trump verbindet ihn auch sein Reichtum: Der ehemalige Inhaber der Fluggesellschaft LAN Airlines und des privaten Fernsehsenders Chilevisión ist einer der reichsten Chilenen, anders als Trump allerdings mit einem Doktortitel in Wirtschaftswissenschaften. Das "Forbes Magazine" schätzte sein Vermögen 2015 auf 2,5 Milliarden US-Dollar. Damit gehört er zu den reichsten aktiven Politikern der Welt. Piñera hat nicht nur den Unternehmer- und Finanzsektor auf seiner Seite, sondern auch die Medien, darunter die in Chile meistgelesene und politisch rechtsgerichtete Zeitung "El Mercurio". Anfang Oktober warnte Juan Andrés Camus, Chef der chilenischen Börse, vor einem Einbruch der Aktienpreise, sollte Piñera die Wahl verlieren.

Geringste Wahlbeteiligung in Lateinamerika

Und schließlich könnte der Rechten auch die traditionell geringe Wahlbeteiligung eine der niedrigsten in ganz Lateinamerika in die Hände spielen. Für die anstehende Präsidentschaftswahl rechnet etwa der Thinktank Centro de Estudios Públicos (CEP) mit einer Wahlbeteiligung von gerade einmal 40 Prozent. Auch das zeigt: Die Ernüchterung der Bevölkerung über die politische Klasse ist groß.

Zwar ist ein Sieg Piñeras im ersten Wahlgang unwahrscheinlich. Entscheidend wird deshalb sein, welche Konstellation sich für die zweite Runde ergibt: ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Piñera und Sánchez oder zwischen Piñera und Guillier. Wollen sie den Wahlsieg Piñeras noch verhindern, müssten sich die linken Kräfte zusammenschließen. Das aber ist alles andere als wahrscheinlich: Denn viele Bewegungen und Parteien der Frente Amplio lehnen einen Pakt mit der Nueva Mayoría strikt ab schließlich würde das ihrer politischen Identität widersprechen, die sich vor allem aus der Abgrenzung von den traditionellen Parteien speist.

Aber damit könnte sich die Geschichte auf fatale Weise wiederholen. Schon bei den Wahlen im Jahr 2009 konnte sich das linke Lager, das im ersten Wahlgang zusammengerechnet eine Mehrheit von 56 Prozent der Stimmen auf sich vereinte, nicht zu einer Zusammenarbeit durchringen. Bei der Stichwahl gewann am Ende Piñera. Mit dessen neuerlichem Wahlsieg würde das Pendel auf dem amerikanischen Kontinent einmal mehr nach rechts ausschlagen: Nach Mauricio Macri in Argentinien, Michel Temer in Brasilien, Horacio Cartes in Paraguay, Pedro Pablo Kuczynski in Peru und Donald Trump in den USA stünden dann auch in Chile wieder eine neoliberale Wirtschaftspolitik, die Privatisierung von Sozialleistungen und öffentlichen Gütern, aber auch Rassismus, Intoleranz und eine konservative Familienpolitik ganz oben auf der Agenda. Gut möglich, dass ein solcher Rechtsschwenk auch den gesellschaftlichen Protestbewegungen neues Leben einhaucht. Für eine reelle Machtoption aber fehlt es den neuen linken Bewegungen und Parteien noch an einem überzeugenden gemeinsamen Projekt.

Autorin: Sophia Boddenberg

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