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Brasilianische Fußballfans protestieren gegen Präsident Bolsonaro

In der Vergangenheit machten Brasiliens Fußballfans eher durch Ausschreitungen auf sich aufmerksam. Doch seit Jair Bolsonaro ist alles anders. Jetzt führen ausgerechnet die Ultras die Proteste gegen den Präsidenten an.

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Spiel zwischen Corinthians und Atlético in Sao Paulo 2019. Foto: CORINTHIANS x ATLETICO, Bruno Cantini/AtléticoCC BY-NC 4.0

Fans von Bayern München, Borussia Dortmund und Schalke 04, die in Deutschland zusammen auf die Straße gehen, um gegen die Regierung zu demonstrieren? Undenkbar. Anhänger von Liverpool, Manchester United und Chelsea, die vereint ein Zeichen gegen Premier Boris Johnson setzen? Niemals. Was also muss passieren, damit verfeindete Fußballfans, die sich in normalen Zeiten auflauern, an die Gurgel gehen oder mit Flaschen bewerfen, gemeinsame Sache machen?

Es muss erst, wie in Brasilien, ein Mann wie Jair Bolsonaro an die Macht kommen. Oder wie es Rogerio Bassetto ausdrückt: "Unser Präsident ist ein homophober Rassist. Und gegen diesen Feind der Menschheit müssen wir alle zusammen aufstehen!" Bassetto ist seit 40 Jahren leidenschaftlicher Anhänger des Traditionsclubs Corinthians. Ein Fußball-Verrückter, der schon als siebenjähriger Knirps in schwarz-weißen Farben ins Stadion im Osten von Sao Paulo pilgerte und Sätze sagt, die jeder Fan, der etwas auf sich hält, verinnerlicht hat - dass sich nämlich Corinthians ihn ausgesucht hat und nicht etwa andersherum.

Fans der vier Sao-Paulo-Klubs gegen Bolsonaro

Bassetto ist aber nicht wegen seiner Leidenschaft für den Ball zu einem der Gesichter Brasiliens geworden, sondern weil er die Proteste gegen den Präsidenten Bolsonaro anführt. Und dabei sogar Anhänger der verhassten Erzrivalen Palmeiras, Sao Paulo und Santos mit ins Boot holte. Die Ultras der vier Großclubs aus Sao Paulo demonstrieren gemeinsam gegen das Staatsoberhaupt, sogar Fans kleinerer Mannschaften aus den Favelas sind seit Wochen dabei. Welcher Verein? Egal, Hauptsache gegen rechts.

"Ich habe einfach mal die Fans angerufen, von denen ich dachte, dass sie genauso politisch ticken wie ich", erläutert der Soziologe, der sich politisch weit links verortet und ein glühender Anhänger der brasilianischen Arbeiterpartei PT ist. Immer noch kann sich Bassetto in Rage reden, wenn er von dem "Putsch" gegen die frühere Präsidentin Dilma Rousseff spricht, die 2016 unter höchst umstrittenen Umständen ihr Amt verlor.

Und da es die Linke in Brasilien nicht auf die Reihe bekommt, gegen den umstrittenen Präsidenten aufzustehen, müssen es halt die Fußballfans richten. "Viele Menschen aus den Gewerkschaften und den Parteien schweigen. Sie haben Angst. Bolsonaro dagegen verkörpert Kraft und Energie. Seine Anhänger siehst Du immer auf der Straße!"

Lange linke Tradition von Corinthians

Jetzt muss sich Jair Bolsonaro mit Tausenden "treuer Falken" wie Bassetto herumschlagen. Die "Gaviões da Fiel" sind die Ultra-Gruppierung von Corinthians, die vor einem halben Jahrhundert im Widerstand zur blutigen Militärdiktatur gegründet wurde. Aus der Zeit von 1969 kommt auch der Leitspruch des Vereins, der heute aktueller denn je ist: "Ganhar ou perder, mas sempre com democracia" ("Siegen oder verlieren, aber stets mit Demokratie").

"Es ist unser historisches Erbe: Corinthians ist die Mannschaft des Volkes und wir sind keine normalen Fans, wir sind anders. Wir sind Nonkonformisten, und wir können keine Ungerechtigkeit akzeptieren", erklärt Rogerio Bassetto stolz. Die bekanntesten Spieler und Edel-Anhänger des siebenmaligen Meisters und Copa-Libertadores-Siegers von 2012 stehen für die DNA des Arbeiterclubs:

Sócrates, Kapitän der argentinischen Nationalmannschaft, ausgebildeter Kinderarzt und Marxist, der während seiner aktiven Zeit beim Klub die sogenannte "Corinthians-Demokratie" ins Leben rief: Jeder im Verein hat eine Stimme, vom Platzwart bis zum Nationalspieler. Fan Luiz Inacio Lula da Silva, der vom armen Schuhputzer zum Gewerkschaftschef und dann Präsidenten aufstieg. Und natürlich Volksheld und Corinthians-Anhänger Ayrton Senna, dreimaliger Weltmeister in der Formel 1, der kurz vor seinem tragischen Unfalltod 1994 eines der heute noch erfolgreichsten Sozialprogramme Brasiliens ins Leben rief.

Bolsonaros Versagen in der Pandemie

Krasser könnten die Gegensätze nicht sein zu dem rechtsextremen Hauptmann der Reserve, der die Corona-Pandemie trotz eigener Quarantäne, zwei Millionen Infizierten und 80.000 Toten weiter verharmlost und sich gerade dem 35. Antrag auf ein Amtsenthebungsverfahren erwehren muss.

"Es wurde ein ganzes Land von der Bolsonaro-Bewegung als Geisel genommen, heute regiert der Hass und die Polarisierung. Aber die Menschen haben ihn gewählt, also müssen sie auch die Konsequenzen tragen", zeigt der Corinthians-Anhänger wenig Mitleid mit seinen Landsleuten. Und eines ist für ihn klar: "Es wird sehr lange dauern, bis wir uns von den von Bolsonaro verursachten Schäden erholen werden."

Hilfspakete für die Bedürftigen in den Favelas

Bis dahin gilt: Nicht nur Fahnen gegen Bolsonaro nähen, sondern auch den Ärmsten der Armen helfen. Bassetto und seine Mitstreiter von den "treuen Falken" haben schon 4.000 Lebensmittelpakete in den Favelas von Sao Paulo verteilt, bringen den Menschen, die wegen der Corona-Pandemie ihren Job verloren haben, Hemden, Hosen und Socken zum Anziehen. "Wir motivieren andere Menschen, Gutes zu tun", sagt Rogerio Bassetto, Sozialarbeit sei immer ein Teil der Mitgliedschaft bei den "Gaviões da Fiel" gewesen.

Am Mittwoch kommt es in Sao Paulo zum Klassiker der Erzrivalen, Corinthians gegen Palmeiras. Bassetto wird wegen Corona nicht im Stadion sein können, aber das ist derzeit auch nicht so wichtig. Der Gegner spielt schließlich gerade auf einem anderen Platz und heißt Jair Bolsonaro.

Aber es wäre doch gelacht, wenn "O bando de loucos" (Das Pack der Verrückten), wie die Corinthians-Fans auch genannt werden, dem Präsidenten nicht wieder einen einschenken. "Wir werden jede Woche mit einem neuen Banner unterwegs sein", verspricht Rogerio Bassetto, "und es später immer dort anbringen, wo es auch wirklich jeder Bewohner von Sao Paulo sehen kann."

Quelle: Deutsche Welle, Autor: Oliver Pieper

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