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Brasilia-Konsens Neues Modell für Lateinamerika

Lange hielten sich die Regierungen Lateinamerikas an die Regeln der neoliberalen Wirtschaftspolitik, die ihnen IWF und Weltbank aufgezwungen hatten. Doch der ´Washingtoner Konsens´ wird Schritt für Schritt vom sogenannten ´Brasilia-Konsens´ abgelöst. Das vom ehemaligen brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva eingeführte Wirtschaftsmodell kommt bereits in mehreren Nachbarstaaten zur Anwendung.

"Das brasilianische Modell gilt als positives Beispiel dafür, dass man die Dinge auch anders machen kann: auf der einen Seite das Wirtschaftswachstum fördern und auf der anderen die soziale Gleichheit nicht gefährden", sagte der Generalsekretär des Lateinamerikanischen Wirtschaftssystems (SELA), José Rivera, gegenüber IPS. SELA ist eine multilaterale Wirtschaftsorganisation mit Sitz in Caracas, der 28 lateinamerikanische Länder angehören. "Lateinamerika und die Karibik müssen gemeinsam gegen die Asymmetrien in der Region vorgehen und die sozialen Ungleichheiten ausräumen", sagte Rivera. Einer von drei Lateinamerikanern gilt heute als arm und 90 Millionen leben von weniger als einem US-Dollar pro Tag. "Der Brasilia-Konsens ist immer noch intakt", sagte Michael Shifter, Präsident des Interamerikanischen Dialogs, gegenüber IPS. Dass Lula selbst bereits seit Januar 2011 nicht mehr Präsident Brasiliens sei, habe den Konsens, auch ´Lulismo´ gennant, nicht geschwächt. "Selbst die globale Wirtschaftskrise konnte das Modell nicht ins Wanken bringen."

Richtschnur für andere Länder

Das Gegenteil ist der Fall. Seine Verbreitung in anderen lateinamerikanischen Ländern zeigt, dass der Brasilia-Konsens noch immer aktuell ist. Außerdem findet er breite Zustimmung in Ländern unterschiedlicher Prägung. In Chile, Kolumbien, El Salvador und Uruguay gilt das Modell als generelle Richtschnur. Andere Regierungen haben einzelne Elemente übernommen. Shifter zufolge findet der Lulismo mehr Anhänger als der radikalere ´Chavismo´ des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez. Argentinien halte sich an eine Mischung aus beidem.

Der Brasilia-Konsens ist ein Gegenentwurf zum Washingtoner Konsens, den die internationalen Finanzinstitutionen mit Sitz in Washington in den 1980er und 1990er Jahren mehreren hochverschuldeten lateinamerikanischen Staaten auferlegten. Dieser bestand aus einem neoliberalen Zehnpunkteprogramm, das vor allem auf der öffnung der Märkte und der Privatisierung von Staatseigentum beruhte. Tatsächlich aber konnten die sogenannten Strukturanpassungsmaßnahmen nicht zu mehr Wirtschaftswachstum verhelfen. Stattdessen fiel das Bruttoinlandsprodukt in fast allen lateinamerikanischen Staaten im gesamten Zeitraum, in dem sie die Maßnahmen befolgten. Heute sprechen Soziologen, Politiker und Wirtschaftswissenschaftler von einem ´verlorenen Jahrzehnt´.

Das liegt auch daran, dass rigoros an den Sozialausgaben gespart wurde. Darunter litten der Bildungs- und der Gesundheitssektor, Arbeitsplätze wurden knapper, und die Lebensbedingungen vieler Menschen verschlechterten sich. Das traf vor allem diejenigen, die auf der sozialen Leiter ohnehin schon ganz unten standen. Schließlich stieg die Armutsrate in den lateinamerikanischen Ländern, Slums breiteten sich aus und der Anteil der informellen Arbeit wuchs.

Während seiner Amtszeit von 2003 bis 2011 förderte Lula da Silva ein ganz anderes Wirtschaftsmodell. Er setzte darauf, die makroökonomische und finanzielle Stabilität aufrechtzuerhalten, während er gleichzeitig auf einem freien Wechselkurs beharrte und darauf bestand, dass die Nationalbank autonom Geldpolitik betreiben konnte. Auf der anderen Seite förderte er die Produktion in den nationalen Unternehmen und trieb die Industrialisierung des Landes an.

Darüber hinaus bemühte er sich um soziale Inklusion, steigende Löhne und formelle Arbeitsplätze. Er wollte den Hunger stillen, die Armutsrate senken, bessere Bildungsmöglichkeiten schaffen und die Gesundheitssituation verbessern.

"Dilma Rousseff hat einen anderen Stil"

Amtsnachfolgerin Dilma Rousseff folgt Lulas Weg. Allerdings gestaltet sie ihn anders aus. "Dilma Rousseff hat einen anderen Stil. Sie will international auch nicht so im Rampenlicht stehen wie Lula. Aber das wirkt sich nicht negativ auf den Brasilia-Konsens aus", versicherte Shifter. Brasiliens Staatspräsidentin habe ihre eigenen Methoden, um die Wirtschaft anzukurbeln und die Auswirkungen

der globalen Wirtschaftskrise auf Brasilien zu mildern. Auch in dieser schwierigen Situation weite sie die Sozialprogramme aus. Bezeichnend dafür ist folgende Aussage der Präsidentin: "Ich kämpfe dafür, dass Brasilien zur sechstgrößten Sozialmacht aufrückt" – eine Anspielung darauf, dass das Land zur sechsten Wirtschaftsmacht aufgestiegen ist und bald auf den fünften Platz hochrutschen könnte. Noch sind die sozialen Ungleichheiten in Lateinamerika nicht ausgeräumt. "Um das zu erreichen, brauchen wir kontinuierliche Maßnahmen, die die lateinamerikanischen Länder gemeinsam stemmen", sagte SELA-Leiter Rivera.

Autorin: Estrella Gutiérrez, deutsche Bearbeitung: Johanna Treblin

Quelle: IPS

Brasiliens ehemaliger Präsident Luiz Inácio Lula da Silva hat ein neues Wirtschaftsmodell geprägt. Seine Nachfolgerin Dilma Rousseff tritt in seine Fußstapfen. Foto: Flickr/UCL.

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