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Blick eines Kindes auf die Militärdiktatur

„Ich werde von diesem argentinischen Wahnsinn schreiben und von den Menschen, die durch seine Gewalt zerstört worden sind.“ Dieser Satz steht am Beginn des kurzen, eindringlichen Romans „Das Kaninchenhaus“, der pünktlich zum Argentinien-Schwerpunkt der diesjährigen Frankfurter Buchmesse auf den Markt gekommen ist. Den Satz spricht Laura, eine Mittdreißigerin, die mit ihren Eltern, beide politisch links stehende Oppositionelle, Mitte der 1970er Jahre untertauchen musste und später zu ihrer Sicherheit außer Landes geschleust wurde. Jetzt, fast drei Jahrzehnte später, formuliert Laura ihre Erinnerungen. Sie schreibt, sie wolle sie loswerden, um anschließend vergessen zu können.

In vielen kurzen Kapiteln erinnert sich die Ich-Erzählerin an ihre Kindheit. Sie spürt diesen ganz speziellen Umständen nach, unter denen sie damals gelebt hat. Sie vergegenwärtigt sich noch einmal, wie sie aus der Schule genommen und zunächst zu ihren Großeltern gebracht wurde. Sie rekapituliert die besonderen Regeln, die für das Leben im Untergrund, in ständig wechselnden Wohnungen, an immer neuen, anonymen Orten, galten: Ich darf die Namen meiner Eltern nicht nennen, auch mein eigener Nachname ist tabu. Ich soll in der öffentlichkeit nicht über bestimmte Dinge aus unserem Alltag oder aus unserem früheren Familienleben sprechen. Ich muss in einem kleinen Verschlag hausen, der als Gebäude zur Kaninchenzucht getarnt wird und in dem neben unseren Betten noch eine Druckmaschine zur Herstellung der illegalen Parteizeitung steht – daher auch der Titel des Buches. Und ich habe die wichtigste Regel zu verinnerlichen, die da lautet: „Ich muss schweigen, auch wenn man mir weh tut.“ Ein naiver Vorsatz für ein Kind, das kaum das Grundschulalter erreicht hat. Ein Vorsatz, durch den das ganze Ausmaß von Gewalt, Unterdrückung und Folter der Jahre 1976 bis 1983 hindurch scheint.

In dem Roman steckt ein besonderer Ton, durch den ein neuer, ungewöhnlicher Zugang zur argentinischen Militärdiktatur möglich wird. Man vernimmt bei der Lektüre die Stimme der 35-jährigen Laura mitsamt dem Echo der sechsjährigen. Daraus entsteht ein fesselndes, verstörendes Leseerlebnis. In die ahnungslos-naive Sprache des Kindes hinein brechen bisweilen gewaltsame Sätze. Klar und unbarmherzig heißt es da zum Beispiel: „Wir gehen heute Abend nicht zu Carlitos. Mein Vater wurde verhaftet.“ Die grundlegende Aussage versteht das Kind sehr wohl. Den Rest hat sich die erwachsen gewordene Laura inzwischen zusammengereimt.

Geschrieben wurde der kaum 120 Seiten starke Kurzroman von Laura Alcoba, die damit im Grunde ihre eigenen Kindheitserinnerungen verarbeitet und ihren Text mit authentischen Details versehen hat. Die Autorin, geboren 1968 in La Plata, verließ Argentinien im Alter von zehn Jahren und folgte ihrer politisch engagierten Mutter nach Paris, wo sie heute lebt und arbeitet.

Autor: Thomas Völkner

Laura Alcoba: Das Kaninchenhaus
Übersetzung: Angelica Ammar
Berlin: Insel 2010
ISBN 978-3-458-17492-9
14,90 Euro

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