Bischöfliche Aktion Adveniat e.V.
Brasilien |

Bischof Cappio: Regierung verhält sich diktatorisch

Die Art und Weise, wie Brasiliens Regierung die Umleitung des Rio São Francisco im Nordosten des Landes durchzusetzen versucht, erinnert Dom Luiz Cappio an eine Diktatur. Ein Interview mit dem gesellschaftspolitisch engagierten Bischof der Diözese Barra in Bahia.

Wie aktuell ist der Stand bezüglich der Umleitung des Rio São Francisco? Sie haben das umstrittene Projekt ja in den vergangenen fünf Jahren persönlich eng begleitet.

Die Arbeiten stehen praktisch still. Auf einigen Baustellen ist das brasilianische Militär anzutreffen, aber der Großteil der Arbeitsstätten befindet sich in verlassenem, zerstörtem Zustand. Die Regierung spricht von immensen Kosten für die Fortsetzung der Arbeiten, und um all das auszubessern, was bisher beschädigt wurde – und zwar aus Unverantwortlichkeit der Regierung selbst. Was hier passiert, ist eine Tragödie. Es gibt für die Arbeiten keinerlei zeitliches Ablaufprogramm.

Worin liegen die Gründe für die Verzögerung der Arbeiten?

Zunächst einmal ist die Umleitung des Rio São Francisco ein vollkommen unlogisches Vorhaben. Ein Projekt für die Propaganda-Vitrine der Regierung, die es sich ausgedacht hat (Anmerkung: Die Idee, Flüsse umzuleiten, hat in Brasilien eine lange Geschichte und lässt sich bis in die Zeit des Kaiserreichs zurückverfolgen. Die Pläne zur Umleitung des Rio São Francisco gehen auf die Präsidentschaft von Fernando Henrique Cardoso (1995 bis 2002) zurück. Die technischen Details werden nicht bedacht. Und wenn es an die Umsetzung geht, stoßen die Verantwortlichen auf riesige Probleme, wie sie ein Projekt dieser Größe selbstverständlich aufwirft. Was passiert? Die Arbeiten müssen aufgeschoben und entsprechende Budgeterhöhungen vorgenommen werden.

Unglücklicherweise respektiert das Projekt nicht die betroffene Bevölkerung, wie diese es verdient hätte. In der Gegend leben auch traditionelle Gemeinschaften: Indigene und Flussbewohner, es gibt Quilombolas (afrobrasilianische Gemeinden).

Die Umleitung des Rio São Francisco stand mit an erster Stelle des Wachstums-Beschleunigungsprogramms PAC (Programa de Aceleração do Crescimento) der brasilianischen Regierung. Jetzt aber haben die Vorbereitungen für die Fußball-Weltmeisterschaft 2014 Priorität. Die Ressourcen, die zuvor den PAC-Projekten zuflossen, gehen nun in die großen Stadien und in die Infrastruktur für das sportliche Großereignis.

Vor fünf Jahren sprachen Sie von den Auswirkungen, die die Umleitung des Rio São Francisco für die Anwohner haben würden. Wie sieht deren Situation heute aus?

Es sind zwei Auswirkungen. Zuerst einmal die sozialen Folgen für die Gemeinden, die in der Nähe des Projekts leben. Die betroffenen indigenen Völker reagierten sehr heftig, doch die Regierung zwang sie, den Mund zu halten. Seitdem hatten sie keine Möglichkeiten mehr, sich als Indigene zu äußern. Aus diesem Grund verstößt das Projekt gegen die brasilianische Verfassung von 1988, denn diese sieht bei jedem Vorhaben auf indigenem Gebiet die Hinzuziehung der Bewohner durch den Kongress vor. Was die anderen Gemeinden und die lokalen Kleineigentümer betrifft, so gab es viele Versprechen und irreführende Propaganda. Je mehr die Arbeiten allerdings voranschritten, desto mehr setzte sich im Volk die leidvolle Erkenntnis durch, dass nichts von dem eingehalten wurde, was versprochen worden war. Im Gegenteil: Zäune wurden eingerissen, Äcker zerstört, Viehherden dezimiert, und es gab sehr geringe Entschädigungen. Die Menschen wurden umzingelt, ohne zu wissen, wohin sie gehen sollten. Die ganze Gegend machte ein Chaos durch. Die Bewohner hatten in Hotels, Pousadas und Restaurants investiert, und jetzt sind die Arbeiter weg, weil das Projekt praktisch still steht. Die Hotels und Restaurants müssen schließen, und die Menschen haben den Schaden.

Die zweite Auswirkung ist die auf die Umwelt. Die ganze Gegend wurde verwüstet. Wenn man über die Baustellen fliegt, sieht man einen riesigen Streifen vollkommen bloßer Erde, so als ob es sich um eine unermessliche Wüste handeln würde. Der Biodiversität der Caatinga wurde nicht der geringste Respekt erwiesen. Es sind irreparable Schäden entstanden – Schäden infolge eines Projekts, das begonnen, dann gestoppt wurde, und dessen Zukunft vollkommen ungewiss ist.

Wie sieht es mit den Demonstrationen gegen die Umleitung des Rio São Francisco aus?

Anfangs gab es zahlreiche Demonstrationen, sowohl in der betroffenen Region als auch in Brasília. Vertreter von Indigenen, Quilombolas und Flussbewohnern, die von solidarischen Menschen unterstützt wurden, campierten auf der Hochebene. Ich habe selbst an diesen Demonstrationen teilgenommen, sowohl vor Ort als in Brasília. Ich habe mehrfach indigene Gemeinden besucht und die Anführer ermutigt. Aber alles war umsonst. Die Regierenden hörten uns nicht an und empfingen uns nicht. Sie stellten sich einfach blind, taub und stumm angesichts des Aufschreis des Volkes. Das Gleiche geschieht in Belo Monte im Bundesstaat Pará. Unglaublich, dieses Verhalten einer Regierung, die von den Armen dieses Landes gewählt wurde. Diese Regierung geringschätzt die wahren Bedürfnisse des Volkes und ist vollkommen unsensibel für die unermesslichen Mängel, die dieses Volk erleidet.

Brasiliens Regierung hat den Bau neuer Wasserkraftwerke im Amazonasgebiet angekündigt. Wie beurteilen Sie diese Pläne - und die Energiepolitik der Regierung generell?

Wir befinden uns in einer wahren Diktatur, in der die Projekte den Menschen aufgezwungen werden. Niemand redet mit niemandem, es gibt keinerlei Dialog. Ausschließlich die Lobbys der Großunternehmen, der großen Energieerzeuger und der großen wirtschaftlichen Interessensgruppen finden Gehör. Die Zivilgesellschaft dagegen bleibt vollkommen am Rand des Geschehens. Wenn Experten der Universitäten ihre fundierten Ideen darlegen, werden sie einfach ignoriert. Es handelt sich um eine wahre Diktatur der wirtschaftlichen Interessen. Einfach absurd: Während sämtliche Industriestaaten die Atomenergie in Frage stellen, plant Brasilien Atomkraftwerke am Rio São Francisco.

Welche Haltung nehmen die Bischöfe in Brasiliens Norden und Nordosten ein?

Meine Brüder, die Bischöfe des Nordostens, waren naiv und ließen sich auf die offizielle Propaganda der Regierung ein. Unsere Haltung dagegen hörten sie sich mit Misstrauen an. Als es dann aber an die Umsetzung des Projekts ging, mit ihren ganzen unsinnigen sozialen und ökologischen Begleiterscheinungen, erkannten viele dieser Bischöfe die Realität und änderten ihre Meinung hinsichtlich der Umleitung des Rio São Francisco. Wir müssen endlich einmal mit diesem Mythos aufräumen, dass Brasiliens Nordosten kein Wasser hat. Es gibt dort im Gegenteil viel Wasser. Woran es mangelt, das ist die Verteilung all diesen Wassers, das an einigen Stellen konzentriert ist. Die Regierung hat sich für die Sicherheit der Wasserversorgung entschieden – allerdings für jene der Großprojekte. Wir brauchen aber eine Politik der Demokratisierung des Wassers. Das Wasser muss denen zukommen, die es brauchen. So sieht es übrigens auch die brasilianische Verfassung, die die Priorität bei öffentlichen Investitionen entsprechend setzt.

Interview: Instituto Humanitas Unisinos, Quelle: adital, deutsche Bearbeitung: Bernd Stößel

Bischof Cappio am Rio Sao Fransisco. Foto: Adveniat

Cookie Einstellungen

Erforderliche Cookies sind für den reibungslosen Betrieb der Website zuständig, indem sie Kernfunktionalitäten ermöglichen, ohne die unsere Website nicht richtig funktioniert. Diese Cookies können nur über Ihre Browser-Einstellungen deaktiviert werden.

Anbieter:

Bischöfliche Aktion Adveniat e.V.

Datenschutz

Marketing-Cookies werden verwendet, um Besuchern auf Webseiten zu folgen. Die Absicht ist, Anzeigen zu zeigen, die relevant und ansprechend für den einzelnen Benutzer sind und daher wertvoller für Publisher und werbetreibende Drittparteien sind.

Anbieter:

Google Ireland Limited

Datenschutz

Statistik-Cookies dienen der Analyse und helfen uns dabei zu verstehen, wie Besucher mit unserer Website interagieren, indem Informationen anonymisiert gesammelt werden. Auf Basis dieser Informationen können wir unsere Website für Sie weiter verbessern und optimieren.

Anbieter:

Google Ireland Limited

Datenschutz