Bischöfliche Aktion Adveniat e.V.
Mexiko |

Alleingelassen von der Regierung

Zwei Mitarbeiter der Zeitung El Diario in Ciudad Juarez sind in den vergangenen drei Jahren ermordet worden. „Was wollt ihr von uns?“, so titelte die Zeitung nach dem letzten Mord. Antworten kamen keine. Interview mit dem stellvertretenden Herausgeber Pedro Torres.

In den vergangenen drei Jahren wurden ein Reporter und ein Fotograf der Zeitung umgebracht. Welche Maßnahmen haben Sie ergriffen, um ihre Mitarbeiter zu schützen?

Wir haben beschlossen, dass die Reporter fortan mindestens zu zweit, besser noch in einer Gruppe zusammen mit anderen Journalisten unterwegs sind, wenn sie über Mordfälle berichten. Und wir bitten sie, sich zurückzuziehen, wenn die Situation brenzlig wird. Wir opfern also ein Stück weit Exklusivität für die Sicherheit. Unsere Journalisten haben aber weder kugelsichere Westen, noch sind sie bewaffnet oder haben gepanzerte Autos und Bodyguards.

Nach dem letzten Mord an einem Mitarbeiter hat die Zeitung auf der ersten Seite einen offene Brief veröffentlicht, in dem Sie die Frage aufwerfen “was wollt ihr von uns?” Haben Sie darauf eine Antwort bekommen?

Vom organisierten Verbrechen, an das die Botschaft auf den ersten Blick gerichtet war, kam keine Antwort. Aber eigentlich war das eine rhetorische Frage an die Regierung. Und von ihr kamen sehr negative Reaktionen. Unser Schreiben wurde abqualifiziert, es hieß, wir hätten nicht das Recht, solche Fragen zu stellen, und die Verantwortlichen für die Verbrechen seien längst gefasst, was nicht stimmt.

Welche Reaktion hätten Sie sich von der Regierung gewünscht?

Dass sie ordentliche Nachforschungen anstellt, wer unsere Mitarbeiter umgebracht hat und aus welchem Grund. Das wissen wir bis heute nicht. Und dass die Verantwortlichen verurteilt werden.

Sehen Sie in den Morden auch ein Attentat auf die Pressefreiheit? Eine Botschaft an die Zeitung?

Im Falle des Gerichtsreporters Armando Rodriguez ja, er hatte viele Fälle recherchiert, in denen Missbrauch der Behörden ans Tageslicht kam; er wusste sehr viel und könnte denjenigen gefährlich geworden sein, die seinen Tod anordneten. Im Falle des Fotografen Luis Carlos Santiago wissen wir es nicht genau, denn er war ein Freier Mitarbeiter, der erst sehr kurze Zeit bei uns war. Aber zum Zeitpunkt seiner Ermordung war er ganz klar als Journalist ausgewiesen, mit seiner Kamera und dem Presseausweis um den Hals.

Das organisierte Verbrechen nutzt die Medien auch als Überbringer von Botschaften, etwa wenn Transparente mit Drohungen in der Stadt aufgehängt werden.

Wie handhabt die Zeitung den Umgang damit?

Über die ersten Transparente haben wir ganz normal berichtet, später wurden wir vorsichtiger und haben in jedem Einzelfall entschieden, ob es sich um eine für die Leser interessante Nachricht handelt oder nur Insider-Botschaften an das verfeindete Kartell übermittelt werden. Und viele haben wir deshalb ignoriert.

Und wie steht es um die Enthaupteten, Zerstückelten und die Attentate, die eine Strategie sind, um der Bevölkerung und dem gegnerischen Kartell Angst einzujagen?

Das sind immer auch Ereignisse, die Nachrichtenwert haben, den wir dann wichtiger einstufen als die Manipulation durch die Kartelle. Über so etwas nicht zu berichten wäre zu viel Selbstzensur.

Sind das verbindliche Regeln für alle Medien hier im Norden Mexikos?

Nein, jeder handhabt das so, wie er es für richtig hält. Nur die Reporter untereinander haben Absprachen getroffen, aber Richtlinien gibt es nicht.

Ist unter solchen Umständen die Pressefreiheit noch gewährleistet?

Hier in der Stadt können wir uns einigermaßen frei bewegen, aber es gibt Zonen, etwa im Juarez-Tal, wo es sehr gefährlich ist. Dort gibt es keine Polizisten mehr. Wenn dort etwas passiert, bekommen wir nur selten etwas mit, die Strassen sind einsam und gefährlich, und niemand sorgt für Recht und Ordnung. Dort können wir die Reporter nur in größeren Gruppen hinschicken. Es gibt Zensur und Selbstzensur, das ist nicht zu leugnen. Und immer kann etwas passieren. Kürzlich wurden mehrere Fernsehreporter von einem bewaffneten Kommando verschleppt.Ja, dieses Risiko besteht immer, für alle Bürger hier in Ciudad Júarez.

Wir sind zwar durch unsere Arbeit exponierter, aber letztlich sind alle gefährdet. Die Pressefreiheit überlebt durch den Einsatz und Enthusiasmus der Journalisten hier, nicht, weil die Regierung uns in irgendeiner Weise Schutz gewährleisten oder unterstützen würde.

Die Regierung kritisiert oft die “negative Berichterstattung” der Medien über den Drogenkrieg. Was halten Sie davon?

Das ist eine sehr vereinfachende, einseitige Sichtweise des Präsidenten, die an den Sorgen der Bürger völlig vorbeigeht. Die Medien informieren umfassend, über das Positive und das Negative. Aber man kann sich nicht rausreden, die Lage hier ist außer Kontrolle geraten, darüber müssen wir berichten. Vielleicht müssten wir mehr Analyse und Hintergrund liefern, aber die Behörden verschließen sich dem systematisch. Sie kooperieren in keiner Weise mit den Medien.

Das Sicherheitsproblem kann man nur lösen, wenn alle an einem Strang ziehen und wenn die Bürger miteinbezogen werden. Doch der Präsident macht genau das Gegenteil, statt den Schulterschluss mit der Bevölkerung zu suchen, beschädigt er die Vertrauensbasis und kritisiert die Medien. Dabei üben wir nur unsere Pflicht aus, und derjenige, der diesen Krieg erklärt hat, sind nicht wir sondern der Präsident.

Die Fragen stellte Sandra Weiss.

Cookie Einstellungen

Erforderliche Cookies sind für den reibungslosen Betrieb der Website zuständig, indem sie Kernfunktionalitäten ermöglichen, ohne die unsere Website nicht richtig funktioniert. Diese Cookies können nur über Ihre Browser-Einstellungen deaktiviert werden.

Anbieter:

Bischöfliche Aktion Adveniat e.V.

Datenschutz

Marketing-Cookies werden verwendet, um Besuchern auf Webseiten zu folgen. Die Absicht ist, Anzeigen zu zeigen, die relevant und ansprechend für den einzelnen Benutzer sind und daher wertvoller für Publisher und werbetreibende Drittparteien sind.

Anbieter:

Google Ireland Limited

Datenschutz

Statistik-Cookies dienen der Analyse und helfen uns dabei zu verstehen, wie Besucher mit unserer Website interagieren, indem Informationen anonymisiert gesammelt werden. Auf Basis dieser Informationen können wir unsere Website für Sie weiter verbessern und optimieren.

Anbieter:

Google Ireland Limited

Datenschutz