Abgeordnete empört über Regierungspapier zu Colonia Dignidad
Als "Schlag ins Gesicht der Opfer" und "Affront" haben Bundestagsabgeordnete das von der Bundesregierung vorgelegte "Hilfskonzept" für die Opfer der Colonia Dignidad bezeichnet. "Die Vorlage der Bundesregierung atmet den Geist vergangener Jahrzehnte des bewussten Wegsehens", sagte die Grünen-Bundestagsabgeordnete Renate Künast am Montag der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Berlin. Der CDU-Abgeordnete Michael Brand sagte, das bei der Angelegenheit federführende Auswärtige Amt habe "ein kaltes und zynisches Bürokratenpapier" erstellt, das vor allem ein Ziel verfolge: "nur ja kein Geld ausgeben". Künast und Brand gehörten im vergangenen Juni zu den Initiatoren eines fraktionsübergreifenden Antrags, der die Bundesregierung aufforderte, ein Konzept mit Blick auf Hilfeleistungen für die Opfer der Colonia Dignidad vorzulegen und die Einrichtung einer Gedenkstätte auf dem Gelände der Kolonie voranzutreiben.
Die Colonia Dignidad wurde Anfang der 1960er Jahre von dem gebürtigen Bonner Paul Schäfer (1921-2010) in Chile gegründet. Auf der Anlage, rund 350 Kilometer südlich der Hauptstadt Santiago, versprach der aus einem freikirchlichen Umfeld stammende Laienprediger seinen Anhängern ein "urchristliches Leben im gelobten Land". Tatsächlich führte Schäfer ein diktatorisches Regime und schottete die Sektenmitglieder von der Außenwelt ab. Zu den Verbrechen zählten unter anderem Freiheitsberaubung, Zwangsarbeit und Sklaverei, Kindesmissbrauch, Körperverletzung, Folter und Verabreichung von Psychopharmaka ohne medizinische Indikation. Während der chilenischen Militärdiktatur von 1973 bis 1990 wurden in der Colonia Dignidad Hunderte chilenische Regimegegner vom chilenischen Geheimdienst gefoltert und Dutzende ermordet.
2016 räumten der damalige Bundespräsident Joachim Gauck und der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) Versäumnisse im Umgang mit der berüchtigten Sektensiedlung ein. Deutsche Diplomaten hätten jahrelang weggeschaut, so Gauck. Steinmeier sagte, das Auswärtige Amt habe auch nach Auflösung der Colonia Dignidad die notwendige Entschlossenheit und Transparenz vermissen lassen.
Das Konzept
In dem der KNA vorliegenden Hilfskonzept heißt es, die Bundesregierung vertrete die Auffassung, "dass aus den Geschehnissen in der Colonia Dignidad keine rechtlichen Ansprüche gegen die Bundesrepublik Deutschland entstanden sind". Daher handle es sich bei den Vorschlägen ausschließlich um "freiwillige Unterstützungsmaßnahmen". Bei einem möglichen Hilfsfonds sollten Unterstützungsmaßnahmen finanziert werden, die der "Opfergemeinschaft" zu Gute kämen. "Individualmaßnahmen, insbesondere Geldzahlungen an Einzelpersonen, sind dagegen nicht vorgesehen."
Der CDU-Abgeordnete Brand sagte: "Das Parlament hat immer klar gemacht, dass es neben der wichtigen Aufarbeitung sowie konkreter Unterstützung wie Beratung und psychosozialer Betreuung auch konkrete Geldzahlungen an die Opfer kommen müssen." Die Vorlage aus dem Auswärtigen Amt sei "eine offene Weigerung den Beschluss des Bundestages umzusetzen", kritisierte Künast. "Ich werde das so nicht akzeptieren!" Im Haushalt 2019 müssten im Herbst konkrete Summen eingestellt werden, "damit es einen wirklichen Hilfsfonds geben kann, der auch individuelle Zahlungen vorsieht". (KNA)
Eine Rezension zum Buch "Lasst uns reden. Frauenprotokolle aus der Colonia Dignidad" finden Sie hier. Das Buch stellt die Frauen der Sekte in den Mittelpunkt. Sie erzählen vom Leben in Chile und den Misshandlungen, die sie ertragen mussten.