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Abenteuer DDR. Kubaner im deutschen Sozialismus

Eben noch eingehüllt in feuchtschwüle tropische Wärme, standen sie plötzlich bibbernd und manchmal sogar ohne Wintermantel in einem Land, dessen Sprache es erst noch mühsam zu lernen galt. Warum um alles in der Welt brachen Menschen von der Karibikinsel Kuba auf, um ausgerechnet in der DDR zu studieren oder zu arbeiten? Ein Aufbruch in die Fremde, den immerhin rund 30.000 Kubaner wagten. Sie blieben mehrere Jahre, blieben um etwa Kunst oder Chemie zu studieren, Maschinen in Textilfabriken zu bedienen oder im Automobilwerk Eisenach am Fließband den "Wartburg" zusammenzubauen.

Biografische Interviews mit 15 Kubanern

In Kuba haben 15 Kubaner, die zwischen 1961 und 1989 in der DDR lebten, ihre Erinnerungen an jene Jahre - und somit auch ihre Geschichte mit und in der DDR - dem Journalisten Wolf-Dieter Vogel erzählt. Dabei wurden sie von Ricardo Ramírez Arriola fotografiert, hinzugekommen sind Fotos aus der Zeit der Auslandsaufenthalte. Ein Vorwort der Ko-Autorin Verona Wunderlich und ein Artikel von Wolfram Adolphi, die beide wesentlich am Zustande kommen des Buches beteiligt waren, runden die Ausgabe ab. Die Interviews sind von Wolf-Dieter Vogel häufig in Essays oder Reportagen eingeflochten worden.

Entstanden ist ein schillerndes Kaleidoskop aus Erinnerungen, Bildern, Momenten, Bewegungen. Spiegelungen des DDR-Alltags in kubanischen Biografien, so wie sie 2009 erinnert wurden. Aber es enthält auch Spiegelungen des politischen Welttheaters: der Bau der Berliner Mauer 1961, die Raketenkrise 1962, das Einrücken Kubas in den sozialistischen Block, der Einmarsch in Prag 1968, der Mauerfall 1989, das Ende der DDR. Oft ist es nur eine Anmerkung im Interview, die im Essay an anderer Stelle durch den Autor leichthin mit Fakten und Hintergrund aufgefüllt wird. Manchmal sind es explizite Interviewfragen, wie etwa die, ob Rudi Dutschke ein Thema war.

Liebschaften, Kulturschocks und heimliche Kinder

Wie haben die Kubaner hier gelebt, geliebt, gearbeitet, gefeiert? Wie verlief ihr Leben nach der Rückkehr in die Heimat? Was haben sie mitgenommen aus der DDR? Haben sie Rassismus erlebt? Wie lebte es sich in den Wohnheimen der Ausländer? Und die Liebe, was war mit der Liebe? Um diese Fragen kreisen die Geschichten und geben vielfältige Antworten.

Die mit 18 Jahren in die DDR gekommene Mercedes Portilla arbeitete im Textilkombinat Schmalkalden, ehe die Wende ihr Leben umstülpte und sie von einem Tag auf den anderen zurückkehren musste. Alberto Suzarte studierte mit 19 Jahren Chemie an der Bergakademie Freiberg. Er kam 1963 in Berlin an: „Die Stadt lag noch halb in Trümmern. Das hatte ich nicht erwartet“, sagt er. Suzarte hat heimlich ein Kind mit einer Deutschen, das er zurücklässt, als er heimkehrt. Erst nach dem Mauerfall kam der Sohn in besuchen.

Die strenge Aufsicht in den Heimen und die Wege, sie zu umgehen, das Kichern über den hölzernen Tanzstil der Deutschen, die gegenseitige soziale Kontrolle der Kubaner, die harte Arbeit am Fließband, die zu verheimlichenden oder abzutreibenden Schwangerschaften, weil sonst die Rückkehr droht, Kulturschocks im freizügigen Umgang mit Nacktheit, Kinder großziehen in der Fremde im Studentenheim, der Kampf der Kubaner um Disziplin und Pünktlichkeit. Das Zurückkehren. Alles wird angerissen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Blick auf Deutschland durch die kubanische Brille

Es ist ein höfliches Buch. Die ehemaligen Gäste, inzwischen wieder daheim, vom ehemaligen Gastgeber bei einer Stippvisite befragt: „Wie war’s denn eigentlich? Damals. Bei uns. Hat’s dir gefallen?“, halten die Contenance. Der Autor bleibt bei den Protagonisten, auch wenn die großen Stränge der Politik, die wirtschaftliche Funktion der Gastarbeiter, der kalte Krieg eingeflochten werden. Katastrophen und Glück werden kontextualisiert, bleiben aber immer persönliche Erlebnisse. Und das ist gut so.

Dadurch ist ein packendes Stück deutsch-kubanischer Erinnerungsgeschichte entstanden. Die Geschichten sind lebendig erzählt, das Buch schwer wieder aus der Hand zu legen. Diese Sammlung ist nicht zuletzt ein reizvolles Angebot, deutsche Geschichte aus dem Blickwinkel von Bewohnern eines sozialistischen Karibikstaates der Dritten Welt zu betrachten.

Wer allerdings weder mit der DDR-Geschichte vertraut ist oder nicht über Vorwissen zu Kuba verfügt, sollte hinten anfangen und das Nachwort zuerst lesen. Dort wird vieles zusammengebunden und in einen Kontext gestellt, was unbedarfte Leser überfordern könnte.

Autorin: Bettina Hoyer

Abenteuer DDR. Kubanerinnen und Kubaner im deutschen Sozialismus von Wolf-Dieter Vogel und Verona Wunderlich, Berlin: Karl Dietz Verlag Berlin, 2011, 184 Seiten, EUR 16,90, ISBN 978-3-320-02250-1

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