Blickpunkt-Lateinamerika 2/2020

„In der Redaktion sehe ich täglich die Bilder und sie machen mir Angst. Das Tränengas, die Gewalt, das Blut. Und wenn ich dann als Reporterin dorthin muss…“ Lesly sieht in die Runde. Sieben Augenpaare blicken zurück. Es ist zwölf Uhr mittags am nächsten Tag, die Redaktionsmitglieder von Radio Progreso sitzen am runden Konferenztisch im hinteren Teil des kleinen Großraumbüros. Sie haben den vergangenen Tag evaluiert und den heutigen geplant – beide von Protesten gezeichnet. Für die Reporter bedeutet das viel Arbeit, aber vor allem: noch mehr Vorsicht walten zu lassen als sowieso schon. AUFGABE: SELBSTSCHUTZ In der Weltrangliste der Pressefreiheit von „Reporter ohne Grenzen“ rangiert Honduras im unteren Drittel. Besonders gefährdet sind Mitarbeiter nichtkommer- zieller lokaler Radiosender sowie Reporter, die über die Demokratiebewegung berichten. Denn es reicht schon, Proteste und oppositionelle Meinungen zu ver- öffentlichen, um als kritische Journalisten ins Visier der Regierung zu geraten. Beides trifft auf die Journa- listen zu, die im ersten Stock des Backsteingebäudes von Radio Progreso sitzen, dem ersten unabhängigen Radio des Landes. Vor 64 Jahren wurde der Sender vom Sozialen Apostolat der Jesuiten in der hondura- nischen Stadt El Progreso gegründet. Die kritischen Berichte, die sich politischen und gesellschaftlichen Themen widmen, gehen von hier aus fast ins gesamte Land. Radio Progreso erhebt die Stimme für benach- teiligte Bevölkerungsgruppen wie Indigene, Frauen, Migranten und Menschen, die unter ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen leiden. Das Lateinamerika-­ Hilfswerk Adveniat unterstützt das Projekt finanziell. Geleitet wird der Radiosender, dem auch die Stiftung ERIC (Equipo de Reflexión, Investigación y Comunica- ción), eine jesuitische NGO mit dem Schwerpunkt auf gesellschaftspolitischen Analysen, angeschlossen ist, von Padre Ismael Moreno Coto. „Geht nie allein zu einem Termin. Vermeidet es, spät in der Nacht rauszufahren. Seht zu, dass ihr von Fahr- zeugen begleitet werdet. Bleibt immer in der Nähe von Menschen, vor allem von solchen, die uns kennen“, schwört Padre Ismael Moreno Coto, genannt Padre Melo, seine Truppe ein. Der Jesuitenpater ist aufge- standen und geht langsam um den Tisch herum. „Auf uns zu achten, bedeutet nicht, dass wir unsere Pflich- ten als Journalisten vernachlässigen.“ HERAUSFORDERUNG: ÜBERLEBEN Lesly nickt. Eigentlich wollte sie heute wieder allein mit ihrem Roller zum Termin fahren. Seit 14 Jahren Oben: Auf Sen- dung: Der Jesui- tenpater Ismael Moreno Coto leitet den hondurani- schen Radiosender Radio Progreso. Unten: Redaktions- sitzung bei Radio Progreso. Titel 8

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