Blickpunkt-Lateinamerika 2/2020

Nacional), die zweitgrößte Guerillagruppe, musste sich neu aufstellen, und die bewaffneten rechten Gruppen der Paramilitärs waren geschwächt. Aber seit der neue Prä- sident Iván Duque 2018 die Zugeständnisse an die Farc wieder in Frage gestellt hat, ist die Angst zurück. 2019 wurden in Kolumbien die meisten Morde seit 15 Jahren begangen. Duque hat uns um Jahre zurückgeworfen und wenn sich nichts ändert, geht dasselbe Spiel von vorne los. Was müsste sich ändern? Die Abwesenheit und das Desinteresse des Staates müs- sen aufhören. Ein Beispiel: In einem Dorf, in dem ich fotografiert habe, gab es mal einen Streit zwischen zwei Familien um eine Grundstücksgrenze. Einer ritt zur Poli- zei in die nächste Stadt – zwei Tage auf einem Esel. Die Polizisten haben nicht einmal verstanden, von welchem Dorf er sprach. Sie wollten, dass er sein Anliegen schrift- lich einreichte, obwohl der Mann nicht schreiben konnte. Als er zurück ins Dorf kam, ging er zu den Farc-Rebellen, die den Streit letztlich geschlichtet haben. Und das zieht sich durch alle Bereiche: Bildung, Gesundheit, Bürger- rechte – der Staat kümmert sich an vielen Orten nicht darum. Was bedeutet das für den Friedensprozess? Die stärkste Waffe der Guerillagruppen ist die Unterstüt- zung, die sie in den Gemeinden auf dem Land haben. Leute aus der Stadt glauben oft, dass die Landbevölke- rung in Angst vor der Guerilla lebt. Das ist Unsinn. Als die Entwaffnung der Farc-Rebellen begann, kamen in einem Dorf Bauern auf mich zu und wollten wissen, ob ich auch Kontakte zur ELN hätte. Ich sollte sie bitten, in ihr Dorf zu kommen, wenn die Farc sich zurückziehen würden. Das klingt paradox, aber die Guerilla erfüllt an vielen Orten die Rolle des Staates, kümmert sich um Polizeiaufgaben und darum, wer wie viel Holz aus dem Wald nehmen darf. Homeoffice im Untergrund. Y 17

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