Wirtschaftsaufschwung im Schatten der großen Nachbarn
Nach langen Phasen der Rezession wird in Argentinien und Brasilien jede positive wirtschaftliche Meldung bejubelt, schreibt das britische Wochenmagazin "The Economist". Das im Vergleich mit den Nachbarn winzige Uruguay dagegen hat 2017 das Bruttoinlandsprodukt um 2,7 Prozent gesteigert und verzeichnet somit seit 15 Jahren Wachstum - die längste Expansionsphase in der Geschichte des Landes. Bemerkenswert: Uruguays Wirtschaft wuchs auch nach 2011, als die weltweiten Rohstoffpreise zurückgingen. Dies sollte Argentinien und Brasilien zu denken geben, schreibt "The Economist". Der Erfolg von Uruguay belege die Wichtigkeit einer offenen Wirtschaft, starker Institutionen und von Investitionen in Know-how.
Uruguay 2002 von Argentinien-Krise mitgerissen
2002 war Uruguay in den katastrophalen Sog des Schuldenausfalls Argentiniens geraten. Argentinische Anleger zogen ihr bei Banken in Uruguay angelegtes Geld zurück und lösten eine Krise aus. Der Internationale Währungsfonds (IWF) musste mit einer Rettungsaktion die Zahlungsunfähigkeit Uruguays abwenden. Dies habe dem Land viel Vertrauen bei Anlegern eingebracht, so Jesko Hentschel, IWF-Direktor für Argentinien, Paraguay und Uruguay.
In der Folge machte sich Uruguay an die notwendige Diversifizierung seiner Wirtschaft. Unter der Führung des seit 2005 regierenden linksgerichteten Parteienbündnisses Frente Amplio (Breite Front) begann Uruguay, sich von Argentinien und Brasilien wirtschaftlich unabhängiger zu machen. Die Präsidenten Tabaré Vázquez (2005 bis 2010, seit 2015 erneut Präsident) und der ehemalige Guerillero José Mujica (2010 bis 2015) sorgten für steuerliche Sonderregelungen und schufen spezielle Wirtschaftszonen, um Anleger anzulocken. Uruguay begab sich in für das Land neue Wirtschaftssektoren wie den Software-Bereich. Die Exporte gingen in neue Märkte. Hatten die Exporte nach Brasilien und Argentinien 2001 einen Anteil von 37 Prozent, so betrug dieser 2016 nur noch 21 Prozent. In letzter Zeit investiert die Regierung in eine Steigerung der Produktivität. Die öffentlichen Ausgaben für Wissenschaft und Techbnologie stiegen von 2007 bis 2015 um 73 Prozent.
Mittelklasse kräftig gewachsen
Während die Rindfleisch-Exporte Argentiniens von 2005 bis 2012 um drei Viertel zurückgingen, verkauft Uruguay inzwischen mehr Rindfleisch als der große Nachbar. Die Regierungen der Frente Amplio halten an ihrer Politik fest, das Land für Investoren attraktiv zu machen, etwa durch niedrige Steuern und die Sicherung der Unabhängigkeit der Justiz. Während Brasilien und Argentinien 2014 in die Rezession gerieten, wuchs Uruguays Wirtschaft weiter. Machte die Mittelklasse 2003 noch 39 Prozent der Bevölkerung aus, so waren es 2015 erstaunliche 71 Prozent. Das Prokopfeinkommen Uruguays ist das höchste in ganz Lateinamerika.
Allerdings ging das Wirtschaftswachstum 2015 zurück und hat seither nicht das alte Niveau erreicht. Beobachtern erscheint Uruguays Wirtschaft noch immer zu stark abhängig von Exporten. Mit dem Wohlstand wächst aber auch die Unzufriedenheit, etwa über steigende Energiepreise. Die Zustimmung zur Regierung liegt derzeit mit 27 Prozent so niedrig wie nie zuvor. Bei der Wahl im kommenden Jahr könnte die Frente Amplio nach 15 Jahren die Macht verlieren. Es wäre das Ende einer wirtschaftlichen Erfolgsgeschichte. (bs)