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Mexiko |

"Wir sammeln Geld für den Grabstein statt für die Geburtstagsparty"

Im Nordmexiko wurde die schwule "Karnevalsköniging der Vielfalt" Juventino Espinoza erschlagen. LGBTQ+-Aktivist Tiago Ventura von der NGO "Sinaloa+Incluyente A.C." spricht mit Blickpunkt Lateinamerika über Hassverbrechen, zerstörte Karnevalswagen und warum Kokain-Konsum der queeren Gemeinde in Lateinamerika schadet.

Am 24. März wäre Juventino  Espinoza 37 Jahre alt geworden. Foto: privat

Sie kannten das Opfer gut. Wer war Juventino?

Juventino Espinoza war ein junger Mann aus San Miguel Zapotitlán mit vielen Träumen, fröhlich. Er lebte offen schwul und war als Crossdresser (Anm. d. Red.: Tragen von Kleidung, die nicht der Geschlechterrolle einer Person entspricht) unter dem Namen Violeta Navarrete bekannt. Er liebte es zu tanzen, gab Zumba-Tanzkurse, leitete die Tanzgruppe "Proyecto One" für Jugendliche und Kinder. Er war in seinem Wohnort ein sehr beliebter junger Mann, hatte viele Freunde. Bei Tanzwettbewerben gewann er immer den ersten Platz.

Was ist eine "Karnevalskönigin der Vielfalt"?

Beim Karneval in Mexiko gab es schon immer einen König und eine Königin. In den letzten Jahren ist es zunehmend beliebter geworden auch eine Diversity-Königin zu krönen, Transsexuelle oder Crossdresser, die beim Umzug auf einem Wagen als Königin der Vielfalt vor der ganzen Ortschaft paradieren.

Juventino wurde drei Tage nach seiner Krönung in seinem Haus erschlagen und von Freunden zwei Tage später tot aufgefunden. Die Tatwaffe war laut Polizeiangaben ein schwerer Gegenstand. Sein Karnevalswagen war vor dem Umzug von Unbekannten zerstört worden, musste neu gebaut werden. Was ist über die Tat bekannt?

Anfangs war die Staatsanwaltschaft bemüht, die Person oder Personen zu finden, die Juventinos Leben beendet haben. Sie sagten, dass es sich ganz klar um ein Hassverbrechen handelt. Letzte Woche erklärte die Polizei dann, dass vielleicht kein Hassverbrechen vorliege. Die gesamte LGBTQ+-Community und Aktivisten im Bundesstaat Sinaloa haben allerdings keinen Zweifel, dass es sich um ein Hassverbrechen handelt. Das war kein Raubüberfall! Das waren Wut und Hass!

Von 2017 bis heute sind in Mexiko 539 Menschen aus der LGBTQ+-Gemeinschaft eines gewaltsamen Todes gestorben. Im Bundesstaat Sinaloa hat Ihre NGO mit dem Tod von Juventino 22 queere Menschen, die seit 2014 getötet worden, gezählt ...

Mexiko ist nach Brasilien das Land mit den meisten Hassverbrechen in Lateinamerika. Und es gibt keinen Zugang zur Justiz ohne Diskriminierung für LGBTQ+- Personen. Weil es Menschen gibt, die glauben es sei schlecht, schwul, lesbisch, Crossdresser oder transsexuell zu sein. Sie tun das oft aus religiösen Gründen und wegen des Stigmas gegenüber Menschen, die offen und öffentlich queer leben. LGBTQ+ sind Beleidigungen, Aggressionen und Angriffen auf ihr Leben ausgesetzt. Es gibt kein Vertrauen in Strafanzeigen von Vorfällen, weil die Polizei die Taten fast immer herunterspielt. In einigen Fällen wird man sogar von der Polizei diskriminiert. Es heißt, wir hätten die Angriffe verdient, weil wir LGBTQ+ sind, dass wir die Aggressionen selbst provozieren.

Sind Sie mit der aktuellen LGBTQ+-Minderheitenpolitik einverstanden?

Es gibt Fortschritte und Rückschritte. Zwar gibt es in vielen Bundesstaaten zahlreiche positive Gesetzesinitiativen wie die Ehe für Alle, das Gesetz zur Geschlechtsidentität, die Kriminalisierung von Hassverbrechen, aber auch Rückschritte wie das Verbot von Konversionstherapien. Auf lokaler Ebene gibt es immer noch zu wenig diskriminierungsfreien Zugang zu Arbeit, Gesundheitsdiensten und Bildung, besonders für Transgender-Personen.

Sinaloa ist ein Bundesstaat, der von Drogenkartellen kontrolliert wird. Wie beeinflussen diese Organisationen der Gewalt das Leben von LGBTQ+-Personen?

Es gibt definitiv einen Einfluss des organisierten Verbrechens. Wir leben in einer Gesellschaft, in dem die Narko-Kultur bis in die LGBTQ+-Bevölkerung vordringt. Hassverbrechen gegen diverse Menschen im Zusammenhang mit Drogenhandel sind meistens besonders brutal.

Betrifft Sie das persönlich?

Ja, nach einer aggressiven Verleumdungskampagne einer lokalen Regierungspolitikerin gegen mich stehe ich derzeit unter Polizeischutz. Der trat aber erst nach drei Wochen in Kraft. Bisher werde ich von der lokalen Polizei beschützt, der ich aber nicht besonders vertraue. Das nationale System zum Schutz von Menschenrechtlern hat sich immer noch nicht bei mir gemeldet. In einigen Fällen dauert diese Gewährung von Schutz durch die Nationalpolizei bis zu sechs Monate. In dieser Zeit ist man völlig ungeschützt, was das Leben, die körperliche und emotionale Unversehrtheit verschlechtert, die Leistung im Beruf beeinträchtigt.

Ist die Katholische Kirche bei der Bekämpfung von Queer-Diskriminierung eine Hilfe?

Die Kirche in Sinaloa hat sich immer gegen Queers gestellt. Sie mischt sich in staatliche Angelegenheiten ein, nimmt Einfluss auf Gesetzgebung und Öffentlichkeit. Obwohl die Verfassung das verbietet, denn Mexiko ist ein säkularer Staat. Oft nutzt die Kirche Sonntags die Kanzel, um Reden zu halten, die zum Hass gegen LGBT+-Menschen aufrufen. Mexiko ist ein katholisches Land, auch wenn immer weniger Menschen in die Kirche gehen. Die religiöse Erziehung sagt, es sei eine Sünde, ein diverser Mensch zu sein.

Am 24. März wäre Juventino 37 Jahre alt geworden. Mit seinen engsten Freunden sollte eine große Party steigen. Jetzt wird Geld für einen schönen Grabstein gesammelt.

Interview: Benjamin Beutler   

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