Wie der Barmherzige Samariter
In Guatemala, einem der ärmsten Länder Lateinamerikas, ist das Gesundheitssystem marode. Die Hälfte der Kinder leidet an Unterernährung. Die kirchliche Gesundheitspastoral will mit Hilfe des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat das Leben der Menschen grundlegend verbessern.
Der Ofen ist sein ganzer Stolz: Unter dem Vordach von José Pérez Pos’ kleiner Hütte thront der von Ruß verfärbte Betonquader mit seinem gewölbeartigen Dach. Es duftet nach frischem Gebäck. Rund 1.200 Brote backen José Pérez Pos und seine Familie pro Woche und verkaufen sie dann auf den Märkten der Region. Früher hat sich José mit Gelegenheitsjobs über Wasser gehalten: Er hat auf Finkas geschuftet, als Maurer gearbeitet, geschreinert und Elektroleitungen verlegt. Zum Leben reichte es immer nur knapp.
Dann kam die Idee mit dem Soja-Brot. „Es war reine Neugier, denn ich kannte Soja nur als Futtermittel“, erinnert sich der Kleinbauer. Carolina de Magalhães hat ihn auf die Idee gebracht. „Ich war auf der Suche nach etwas, das nahrhaft ist und hier wächst“, erzählt die Ernährungswissenschaftlerin. Carolina de Magalhães leitet die Gesundheitspastoral der guatemaltekischen Diözese Suchitepéquez-Retalhuleu im Westen des Landes an der Grenze zu Mexiko. Guatemala ist eines der ärmsten Länder Lateinamerikas. Viele Menschen – vor allem Kinder – sind mangel- und unterernährt. „Die Menschen arbeiteten hier auf großen Sojaplantagen, die Futtermittel produzieren. Aber niemand dachte daran, es selbst zu nutzen“, erklärt Carolina de Magalhães. So kam ihr die Idee, den Kleinbauern zu zeigen, wie sie Soja für den eigenen Bedarf anbauen und verarbeiten können.
Viele Menschen in der Region backen mittlerweile ihr Brot aus Sojamehl oder verarbeiten die Sojabohnen zu Milch und Käse. „Fleisch und Milchprodukte können wir uns nicht leisten“, erzählt der Kleinbauer Lissandro Fuentes. Darum ersetzen er und seine Kollegen diese immer häufiger durch die kleine nahrhafte Bohne. Das verbessert den Gesundheitszustand der Menschen und schafft mehr Ernährungssicherheit.
Bildung und Prävention
Angeregt haben dies die „Animadores“. Die engagierten Ehrenamtlichen vermitteln im Auftrag der Gesundheitspastoral den Kleinbauern in den Dörfern effektive und nachhaltige Bewirtschaftungsmethoden mit organischem Dünger und wassersparenden Bewässerungssystemen. Sie zeigen ihnen den Anbau alter, gesünderer Maissorten und versorgen sie mit ursprünglichem, nicht genetisch verändertem Saatgut.
Gerade in der Pandemie war das für viele von unschätzbarem Wert: Familie Pos besitzt mittlerweile ein kleines Stück Land, auf dem sie zusätzlich Bohnen, Obst und Gemüse anbaut und Geflügel züchtet. „In der Coronazeit hat es uns das Überleben gesichert“, sagt Josés Sohn Daniel. Der 22-Jährige leitet mittlerweile die Bäckerei. Er und seine Geschwister haben die Schule besucht, einige haben sogar studiert. In dem Armenviertel, in dem sie leben, ist das eine kleine Sensation.
„Wir wollen die Menschen dazu befähigen, ihre Situation selbst zu verändern“, sagt Carolina de Magalhães. „Sie sollen ein Leben in Würde als Kinder Gottes führen können.“ Darum verfolgt die „Pastoral de Salud“ einen ganzheitlichen Ansatz: Sie setzt auf Prävention, indem sie den Menschen zeigt, wie sie ihren Lebensstil und ihre Lebensbedingungen verbessern können. Das reicht von einfachen Dingen, wie etwa der Verwendung von sauberem Trinkwasser, bis zu Strategien, die Ernährung für die Menschen in den Dörfern zu sichern.
Ambulanzservice und Heilpflanzen
Es geht aber auch um akute medizinische Versorgung. Denn die Gesundheitsversorgung in Guatemala ist marode. „Seit Jahren beobachten wir, dass das staatliche Gesundheitssystem nicht funktioniert, Medikamente fehlen und zu wenige Sprechstunden angeboten werden“, erklärt Martín López Velázquez, der die zum Bistum gehörende „Clínica Maxeña“ leitet. Zwar gebe es in den Gemeinden staatliche Gesundheitsstationen, diese seien aber häufig nicht besetzt und schlecht ausgestattet. Selbst einfachste Dinge wie Desinfektionsmittel oder Verbandszeug fehlten.
In der „Clínica Maxeña“ kostet eine Behandlung umgerechnet etwa vier Euro. Aber auch wer kein Geld hat, wird untersucht. Die Medikamente werden zum Selbstkostenpreis abgegeben. „Und wir haben einen Ambulanzservice eingerichtet, der zu den Menschen fährt, die es nicht zu uns schaffen, weil sie so krank sind oder weil ihnen das Geld für den Transport fehlt“, erzählt López Velázquez.
Im großen Garten hinter der Klinik wachsen zahlreiche Heilpflanzen. Der Klinikleiter geht zwischen den Beeten hindurch, zupft einige Blätter ab, reibt sie zwischen den Händen und riecht daran. Die Klinik beziehe auch traditionelle Naturheilverfahren in ihre Arbeit mit ein, berichtet er. Es handele sich um Methoden, die in der indigenen Kultur Guatemalas eine lange Tradition haben. Eine Trennung zwischen Schulmedizin und Naturheilverfahren gibt es nicht. „Heilpflanzen wirken nicht so unmittelbar wie die Medikamente der Schulmedizin, aber sie unterstützen Heilungsprozesse. Deswegen versuchen wir hier beides zu verbinden“, sagt López Velázquez.
Für die Menschen im Bistum Suchitepéquez-Retalhuleu ist die Gesundheitspastoral ein Segen. Denn wer arm ist, kann sich keinen Arztbesuch leisten und oft liegt die nächste Gesundheitsstation weit entfernt. Bei dem seit 1998 bestehenden Projekt handelt es sich laut Bischof Pablo Vizcaíno Prado um eine Herzensangelegenheit. „Unsere Arbeit hat den Barmherzigen Samariter zum Vorbild“, erklärt er. „So wie in dem Gleichnis der Samaritaner dem verletzten Mann hilft und seine Wunden versorgt, so wollen auch wir nicht die Augen vor dem Leid verschließen, sondern die Situation verändern.“ Unterstützung erhält das Bistum dabei seit Jahren vom Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat. „Unsere Arbeit wäre ohne Adveniat nicht möglich“, sagt der Bischof. „Adveniat ist für uns die ausgestreckte Hand, die man uns reicht und für diese Solidarität sind wir sehr dankbar!“