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Wahl in Venezuela: "Wir steuern auf ein absurdes politisches Vakuum zu"

Schriftsteller Alberto Barrera Tyszka sieht das Ende einer Politik in Venezuela gekommen, die wirklich noch etwas verändern kann. Das Land werde nach der Wahl noch totalitärer – und wie Haiti ein chronischer Krisenfall, sagte er im Interview voraus.

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Schriftsteller Alberto Barrera Tyszka (60) aus Venezuela. Foto: Klaus Ehringfeld

Blickpunkt Lateinamerika: Herr Barrera Tyszka, am Sonntag wird die oppositionelle Nationalversammlung in Venezuela neu gewählt. Aber aus der Opposition kandidiert niemand. Welchen Wert hat diese Abstimmung? 

Alberto Barrera Tyszka: Die Wahl ist eine Farce und Teil des venezolanischen Wahnsinns. Es kann keine Überraschungen geben, denn es gibt ja gar nichts zu wählen, da die einzige Opposition diejenige ist, die von der Regierung eingesetzt wurde. Es ist der Betrug schon vor der Wahl. Es geht bestenfalls darum, eine staatsbürgerliche Pflicht zu erfüllen. Die regierenden Chavisten wollen mit der Wahl die Opposition endgültig eliminieren und auch die internationale Gemeinschaft in Bedrängnis bringen. 

Inwiefern?

Die Unterstützung für Juan Guaidó durch rund 50 Staaten ist ja nicht an ihn als Person gebunden, sondern an seine Funktion als Parlamentspräsident. Aber ab Ende Januar wird Guaidó nicht mehr da sein. Und sollte er an seinem Job festhalten wollen, weil er die Wahl am Sonntag nicht anerkennt, ist er ab Januar genauso illegal wie Nicolás Maduro es ist. Dann haben wir die totale Illegalität, in der es keine anerkannten Institutionen mehr geben wird. Was will die Internationale Gemeinschaft dann machen?   

Im Januar wird auch US-Präsident Donald Trump weg sein. Ohne ihn und Guaidó fehlen die beiden Pole, die neben Maduro die Politik des Landes bestimmt haben. Was bedeutet das für Venezuela? 

Es ist ein Wendepunkt. Nicht nur die politische Opposition, sondern auch alle politischen Optionen auf einen Wechsel werden beendet sein. Mit Trump verschwindet die Hoffnung der radikalen Anti-Chavisten auf eine schnelle und gegebenenfalls militärische Lösung. Ohne Guaidó gibt es keine politische Lösung mehr in einem institutionellen Szenario. Dabei hatten die Menschen immer auf ein rasches Ende des Wahnsinns gehofft. Das ist jetzt vorbei. Und das gerade in einem Moment, in dem die Venezolaner deprimiert und vollständig demobilisiert sind, anders als zu Beginn von 2019, als Guaidó auftauchte und Venezuela elektrisierte.

Was folgt daraus? 

Zwei Dinge. Ich fürchte zum einen, dass wir vor einer neuen enormen Migrationswelle stehen und das zu einem Zeitpunkt, zu dem die bisher aufnehmenden Länder wie Kolumbien, Peru und Chile eigene massive politische und wirtschaftliche Probleme haben. Zudem steuern wir auf ein unbekanntes und absurdes politisches Vakuum zu. Bisher hatte die Opposition eine Stimme und eine Führungsrolle, aber nach der Wahl wird es das nicht mehr geben. 

Wer soll dieses Vakuum dann füllen?

Neue Protagonisten aus der Zivilgesellschaft, Unternehmer, die das Land wieder produktiv machen, Nichtregierungsorganisationen, welche die Hungernden mit Nahrungsmitteln versorgen. Die Politik hat jedenfalls als verändernde Kraft in Venezuela ausgedient, sie gibt keine Hoffnung mehr. Es ist das Ende der Repräsentativität. Manche fürchten, dass Venezuela zu einem vollständig totalitären Regime werde könnte.

Ein apokalyptisches Szenario…Gibt es keine Hoffnung?

Ich bin sehr pessimistisch. Was machst Du mit einer skrupellosen Bande, die ein Land gestohlen hat? Wie und mit wem redet man über die Chance eines Machtwechsels? Wie bringst Du die Militärs wieder in die Kasernen? Die Polizei und die Streitkräfte handeln in völliger Straffreiheit. Der kulturelle Schaden nach über 20 Jahren Chavismus ist enorm. Man müsste das Land neu erfinden, weil es einen Wiederaufbau ja nicht mehr geben kann. Zudem scheint Venezuela aus dem Fokus der Welt zu verschwinden, weil sich die Tragödie normalisiert. Venezuela wird immer mehr wie Haiti.

Wenn Sie jetzt wieder ein Buch über Ihr Land schreiben müssten, was wäre das Thema? 

Es wäre ein Buch über die Opfer dieses Wahnsinns. Es ginge um die vielen, vielen Verlierer in unserem Land. Über die Dörfer, in denen es keine arbeitsfähigen Erwachsenen mehr gibt. Nur noch kranke Großeltern und unterernährte Kinder. Das ist die Tragödie, die man erzählen müsste. Und die von den Millionen Menschen, die das Land verlassen haben und vermutlich nie zurückkehren.

Zur Person: Alberto Barrera Tyszka (Caracas, 1960) ist venezolanischer Schriftsteller und lebt seit 2014 in Mexiko. In seinem Buch „Die letzten Tage des Comandante“ (Nagel und Kimche, 2016) hat er die letzten Jahre von Hugo Chávez verarbeitet.

Interview: Klaus Ehringfeld

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