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Verloren im Oriente: "Telex aus Kuba"

Das Kuba der 1950er Jahre beschreibt die Autorin Rachel Kushner in "Telex aus Kuba", ihrem aktuellen Roman.
Das Kuba der 1950er Jahre beschreibt die Autorin Rachel Kushner in "Telex aus Kuba", ihrem aktuellen Roman.

Als K.C. Stites am Morgen wach wird, liegt die Sonne hinter einem merkwürdigen Nebel. Eine "verschwommene, tiefrote Kugel", die wie ein "Edelstein hinter Lagen von Seidenpapier" schimmert.

Was der 14-Jährige für das Vorzeichen eines tropischen Sturms hält, ist der Anfang vom Ende seines Lebens im Osten Kubas: Die Zuckerrohrplantagen der United Fruit Company liegen in Flammen. Malcolm Stites, K.C.s Vater und Leiter des US-Unternehmens, kann gegen den von Raúl Castros Rebellen gelegten Brand nichts ausrichten. Sein älterer Sohn Del soll sich sogar den "barbudos", den bärtigen Kämpfern in den Bergen, angeschlossen haben. Sein sonst so adrett sitzender weißer Leinenanzug ist rußverschmiert so kehrt der Unternehmer nach Hause zurück. Zum ersten Mal erlebt K.C. seinen Vater hilflos.

So rasant wie der Thriller-artige Titel vermuten lässt, beginnt Rachel Kushners "Telex aus Kuba" und erinnert damit an ihren gefeierten Roman "Flammenwerfer", die Geschichte einer jungen Bikerin, die ihren Platz in der exzentrischen New Yorker Kunstszene der siebziger Jahre sucht. Doch dann springt Kushner gleich mehrere Jahre zurück, passt das Erzähltempo der schwülen Hitze des kubanischen Ostens an und führt mit der jugendlichen Everly Lederer die zweite Protagonistin ihres multiperspektivischen Romans.

Auftritt von Castro und Hemmingway

Everly ist die Tochter des Chefs einer amerikanischen Nickelmine im Oriente, "Kubas größte, ärmste und schwärzeste Provinz". Hier leben die Angestellten der mächtigen US-Unternehmen in einer luxuriösen Enklave, fast wie in einem Staat im Staate. Doch trotz aller Annehmlichkeiten genießen die meisten der Zugezogenen das Leben in den Tropen fernab der Heimat nicht. Die Langeweile wird im Alkohol ertränkt, während es im restlichen, vorrevolutionären Kuba brodelt.

Einer, der den Rebellen in den Bergen Waffen liefert, ist de la Mazière, ein zynischer französischer Agent mit SS-Vergangenheit. Er hat ein Verhältnis mit der Tänzerin Rachel K wie fast alle Männer, die im Buch eine Rolle spielen, darunter auch Diktator Batista. Die Castro-Brüder tauchen in "Telex aus Kuba" ebenfalls leibhaftig auf. Kunstvoll verwebt Rachel Kushner Fakten und Fiktion. Wobei man darüber streiten mag, ob es eine gute Idee war, Fidel Castro homoerotische Neigungen anzudichten oder Ernest Hemingway als notorischen Säufer in seiner Lieblingsbar in Havanna auftreten zu lassen.

Intensive Recherche und Familiengeschichte

Doch insgesamt ist "Telex aus Kuba" ein großartiger Roman, Kushners Erzählweise filmisch dicht und sinnlich. Beim Lesen fragt man sich irgendwann, wie es ihr gelingen konnte, so anschaulich und detailliert in das Kuba der fünfziger Jahren einzutauchen, ohne vor Ort gelebt zu haben. Doch ihre Familie hat tatsächlich eine unmittelbare Verbindung zur Karibikinsel: Kushners Großvater war Ingenieur in der großen Nickelmine in Nicaro, ihre Mutter und deren Schwestern sind dort aufgewachsen.

Ganze sechs Jahre hat Kushner an ihrem Romandebüt gesessen (in den USA wurde es bereits 2008 veröffentlicht) davon allein drei Jahre fürs Recherchieren. Doch sie wollte weniger ihre Familiengeschichte aufarbeiten, als an einem emblematischen Fall die politische "Mechanik der Welt" beleuchten, wie sie in einem Interview gesagt hat. Und als sie bei ihren Nachforschungen auf die kompletten Unterlagen der United Fruit Company stieß, die die Amerikaner auf der Flucht zurückgelassen hatten, entschied sie sich, das Buch zu schreiben.

"Wir kamen nach Kuba und nahmen uns, was wir wollten"

Den Leser lässt Kushner vor allem aus Sicht von K.C. Stites und Everly Lederer am Geschehen teilnehmen. Ihr Kunstgriff, zwei unbedarfte Jugendliche ins Zentrum zu stellen, ermöglicht es ihr, die Geschichte ohne Moralisieren und Besserwisserei zu erzählen. K.C. und Everly verstehen zunächst viel von dem, was sie tagtäglich beobachten, nicht. Warum fährt Dad etwa nie selber, sondern wird immer gefahren? Oder warum haben alle Amerikaner Hausangestellte, während die Einheimischen in Hütten ohne Wasser und Strom leben und in der Mine oder auf den Zuckerrohrfeldern in 18-Stunden-Schichten schuften müssen?

Doch langsam begreifen die beiden mehr von dem, was um sie herum passiert, nicht zuletzt lernen sie auch bestimmte Codes kennen, zum Beispiel welche sozialen Unterschiede verschiedene Hautschattierungen ausmachen können. Am Ende schließlich bekennt K.C. inzwischen ein alter Mann: "Tatsache ist, dass wir nach Kuba kamen und uns nahmen, was wir wollten."

Ewiger Kampf um's Vermögen

Kushners historischer Roman wirft auch Fragen auf, die noch für die Zukunft eines post-sozialistischen Kubas eine wichtige Rolle spielen dürften gerade was den Umgang mit dem Eigentum der nach der kubanischen Revolution verstaatlichten US-amerikanischen Unternehmen betrifft. Das gilt auch für die United Fruit Company, die später zu Chiquita wurde ein für sein politisches Engagement in Mittelamerika seinerzeit berüchtigter Konzern. K.C. Stites ist sich jedenfalls sicher: "Auch nachdem der letzte Mann, der noch für United Fruit gearbeitet hat, längst gestorben ist, wird das Unternehmen darum kämpfen, sein Vermögen zurückzubekommen."

Rachel Kushner: Telex aus Kuba. Roman. Aus dem Englischen von Bettina Abarnell. Rowohlt Verlag, Reinbek 2017, 460 Seiten, 19,95 €.

Autor: Ole Schulz.

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