Verhandlungen sollen den Weg aus der Krise in Venezuela weisen
Nach Monaten der Unbeweglichkeit machen Regierung und Opposition Zugeständnisse. Die Venezolaner haben derweil keine Zeit und Nerven, um für einen Regierungswechsel zu demonstrieren. Das tägliche Überleben ist aufreibend genug.
Es ist schon länger still geworden um den chronischen Machtkonflikt in Venezuela. Nicolás Maduro gegen Juan Guaidó, Chavisten gegen Opposition. Autokratie gegen Demokratie? 2019 war das Jahr, als das Ende der regierenden Linksnationalisten in Caracas nahe schien, nachdem sich der bis dahin unbekannte Parlamentspräsident Guaidó zum Übergangspräsidenten ausrief, den Sturz Maduros versprach und dafür von der halben Welt – darunter auch Deutschland – anerkannt wurde. Wochenlang gingen seinerzeit Hunderttausende Venezolaner auf die Straßen.
Lang ist das her, Maduro sitzt aber weiterhin so fest im Sattel wie eh und je. Und Guaidó? Von dem sind die Venezolaner komplett enttäuscht. Er kommt derzeit gerade noch auf eine Zustimmungsrate von 11 Prozent in seiner Heimat, wie das Meinungsforschungsinstitut Datanalísis im März ermittelte. Vor drei Jahren waren es noch 77 Prozent.
Es drangen zuletzt vor allem erschreckende Nachrichten aus dem südamerikanischen Land: prekäre Nahrungsmittelversorgung, Hungersnot, Impfstoffknappheit, kollabierende Krankenhäuser. Während sich die Konfliktparteien in ihren politischen Schützengräben eingerichtet haben, leidet wie immer in diesen Konflikten die Bevölkerung am meisten. Die Corona-Krise hat ein Land im permanenten Krisenmodus in einen internationaler Notfall verwandelt.
In diesem Panorama wundert es nicht, dass die Venezolaner keine Zeit und keine Nerven mehr haben, um für einen Regierungswechsel zu demonstrieren. Das tägliche Überleben ist aufreibend genug.
Kaum Luft zum Atmen
„Essen und Covid-19 überleben”, das seien seit langem die Hauptprobleme der Venezolaner, sagt José Gregorio Ochoa, Aktivist in dem Armenviertel Carapita im Westen der venezolanischen Hauptstadt. Die Verschärfung der Hyperinflation und die schleichende Dollarisierung der Wirtschaft haben die Ungleichheit nochmal verschärft. Neben der ständigen Suche nach Arbeit, um an Geld zu kommen, müssen sich die Menschen jetzt auch noch um die Beschaffung von Treibstoff und Kochgas kümmern. Und sich vor der Pandemie schützen.
Aber auch die Regierung kommt nicht weiter und ist wirtschaftlich am Ende, fördert immer weniger Öl und ist international isoliert. Die Sanktionen lassen den Machthabern in Caracas kaum noch Luft zum Atmen. Vor allem deshalb wollen die Chavisten jetzt wieder an den Verhandlungstisch zurück und willigen in einen entsprechenden Vorschlag Guaidós von Mitte Mai ein.
Gegenwärtig laufen Sondierungsgespräche unter Führung Norwegens zwischen den Konfliktparteien. Das Misstrauen bei der Opposition ist riesig, denn in den vergangenen Jahren verliefen alle Annäherungs- und Gesprächsversuche im Sand. Die Chavisten wollen eigentlich nie Zugeständnisse machen, sondern immer nur Zeit gewinnen. Aber jetzt könnte es sein, dass es Maduro und Co. ernst meinen.
Ist gegenseitige Anerkennung die Lösung?
Der Schriftsteller Alberto Barrera Tyzka hält die Rückkehr an den Verhandlungstisch für die einzig mögliche Chance auf einen Ausweg. „Beide Seiten sind mit ihren Alles-oder-Nichts-Strategien gegen die Wand gefahren“. Jetzt müssten Opposition und Regierung tun, was sie am meisten hassen: sich gegenseitig anerkennen.“ Verhandlungen seien nicht „ideal, aber möglich“, betont Barrera Tyzka. Und sie müssten sich darauf konzentrieren, Verbesserungen und Erleichterungen für die Bevölkerung zu vereinbaren.
Tatsächlich kann das der einzige Leitfaden sein. Denn Venezuela leidet unter gleich mehreren Krisen auf einmal: einer politischen mit Parallelregierungen und Parallelparlamenten sowie einem fast absoluten wirtschaftlichen Debakel mit der annähernd vollständigen Zerstörung des Produktivapparats. Als sei das nicht genug, schlittert das einst wohlhabende Ölland immer weiter in die Unregierbarkeit mit starker Präsenz des Organisierten Verbrechens, Drogenhandel, kolumbianischen Rebellen und illegalem Bergbau in der Amazonasregion.