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Venezuela: Dampfkessel ohne Ventil

Während die Pandemie in Venezuela wütet, baut Maduro seinen repressiven Apparat weiter aus. Er beschimpft Infizierte als "Bioterroristen" und steckt sie in Lager. Die Opposition findet darauf keine Antwort. Experten rechnen mit Millionen neuen Flüchtlingen.

Präsident Maduro unterdrückt während die Corona-Krise wütet seine Gegner mehr denn je (Archivbild). Foto: Nicolás MaduroEneas De TroyaCC BY 2.0

Auch für venezolanische Verhältnisse läuft aktuell gar nichts rund: Das Coronavirus wütet im Land und hat die halbe sozialistische Führungsriege erwischt. Die Popularität von Machthaber Nicolás Maduro ist auf 13 Prozent gesunken (Datanalisis). Ein Unfall in der Raffinerie El Palito hat eine Ölpest in einem Naturschutzgebiet ausgelöst. Das Ölindustrie zerfällt immer stärker, das Land fördert aktuell so wenig Erdöl wie zuletzt 1943. Eigenes Benzin wird kaum noch produziert. Zur Hilfe gerufene iranische Öltanker werden von den USA auf hoher See unter Berufung auf das Embargo gekapert. Und die USA jagen auch venezolanische Strohmänner, Embargobrecher und Geldwäscher rund um den Globus. Dennoch schickt sich Machthaber Nicolás Maduro an, die letzte Bastion der Opposition auch noch anzugreifen: Das Parlament.

Maduro hat Wahlen für Dezember angesetzt - unter Bedingungen, die im Vergleich zu anderen Ländern Lateinamerikas nicht einmal „minimale demokratische Standards“ erfüllen. Die Opposition unter Führung des Parlamentsvorsitzenden Juan Guaidó will deshalb gar nicht erst antreten. Unter anderem deshalb, weil die Regierung bei den großen drei Oppositionspartei interveniert hat, um an deren Spitze loyale Regimesoldaten zu setzten. Der einzig demokratische Ausweg ist damit versperrt. Doch große Proteste bleiben aus. Maduro scheint trotz der katastrophalen Lage im Land so fest im Sattel zu sitzen, wie selten zuvor.

Maduros repressiver Apparat 

Das verdankt er vor allem dem Militär. Die Pandemie war der ideale Vorwand für den Umbau vom autoritären zum repressiven Staat. Menschenrechtsorganisationen wie Foro Penal zählen 478 politische Gefangene. 13 Ärzte sind dem Gremium zufolge inhaftiert, weil sie die Corona-Statistiken oder die Strategie der Regierung öffentlich anzweifelten. Neben der Nationalgarde und der Geheimpolizei (FAES) spielen auch paramilitärische „Colectivos“ dabei eine Schlüsselrolle.

Kriminalisiert werden nicht nur Oppositionelle, sondern jeder ist der staatlichen Willkür ausgeliefert - Schwarzmarkthändler ebenso wie Coronakranke, die als „Bioterroristen“ stigmatisiert werden. „Wenn jemand bei einem der wenig zuverlässigen Schnelltests positiv getestet wird, kommt er sofort in staatliche Isolationslager“, berichtet der Arzt Jaime Lorenzo per Videotelefonie. „Selbst wenn er gar keine Symptome hat.“ Die Zustände in den vom Militär kontrollierten Lagern beschreiben Hilfsorganisationen als unmenschlich. Das führt laut Lorenzo dazu, dass Kranke sich aus Angst verstecken. Regelmäßig führen Sicherheitskräfte deshalb Razzien durch, bei denen Bürger willkürlich festgehalten und einer „Bewusstseinsschulung“ in Sachen Covid-19 unterzogen werden.

Die Regierung als Paten der Mafia 

Die Medien stehen derweil fast komplett unter Kontrolle von regimetreuen Unternehmern; unabhängige Portale und Kritiker werden verfolgt so wie zuletzt der linke Publizist Nicmer Evans. Er wurde wegen „Aufstachelung zum Hass“ festgenommen, einem vor drei Jahren von Maduros Verfassungsgebender Versammlung verabschiedeten Gummi-Strafparagraphen.

Während das Militär effektiv bei der Unterdrückung und sozialen Kontrolle der Bevölkerung ist, erweist es sich im Kampf gegen die Organisierte Kriminalität als unnütz. Caracas und die Goldregion im Süden des Landes beschreibt die UN-Menschenrechtskommission als „gesetzlose Gebiete, in denen Verbrecherorganisationen das Sagen haben". Die Straffreiheit der Mafia beruht darauf, dass sie politische Paten hat. Ein Teil der venezolanischen Führungsriege ist zur internationalen Fahndung ausgeschrieben, wegen Delikten, die vom Drogenhandel über Geldwäsche bis zu Massakern reichen.

Flankiert wird die Repression von staatlichen Lebensmittelpaketen, den sogenannten „Cajas Clap“. Ihr Import ist ein gutes Geschäft für die Führungsriege – Recherchen des Portals armando.info zufolge vor allem für den Maduro-Clan – und hält die notleidende Bevölkerung in Abhängigkeit. Offiziellen Zahlen zufolge erhalten 24 der knapp 29 Millionen Venezolaner solche Pakete. Doch diese reichen hinten und vorne nicht. Der Alltag vieler Venezolaner besteht aus Schlangestehen für Benzin, öffentlichen Transport, Lebensmittel, Medikamente. Zeit und Energie für politisches Engagement fehlt.

US-Embargo trifft Bürger, das Regime weicht aus

Das US-Embargo, mit dem die Hardliner in Washington die Finanzen der Führungsriege austrocknen wollen, trifft vor allem die Bevölkerung, denn es erschwert Benzin- Lebensmittel – und Medikamentenimporte. Die Führungsriege hingegen findet immer neue Schlupflöcher. Beraten werden sie dabei von den Bruderstaaten Kuba und Iran. Seien es Briefkastenfirmen in Mexiko oder in Steuerparadiesen, die Waren als „humanitäre Hilfe“ tarnen, Drogenschmuggel, Container oder Öllieferungen, die auf hoher See umgeladen werden, bis zum blutbefleckten Gold aus dem Orinoco-Becken, das in Privatflugzeugen über die Türkei auf die lukrativen Abnehmermärkte nach Indien oder in Nahost gelangt.

Unfreiwillig Hilfe leistet Maduro auch die Opposition, die chronisch zerstritten keine gemeinsame Strategie findet. Ehemalige Anführer wie Henrique Capriles haben sich frustriert ins Private zurückgezogen, andere wurden vom Regime ins Exil getrieben oder festgenommen, dritte geschmiert. Fehler des unerfahrenen Guaidó spielten Maduro in die Hände, wie seine Kontaktaufnahme mit US-Söldnern, die daraufhin eine ebenso kontraproduktive wie skurrile „Invasion“ starteten. Eineinhalb Jahre nach seiner öffentlichen Vereidigung als „Gegenpräsident“ hat sich Guaidós Charisma abgenutzt.

Nicht zuletzt kann Maduro auf die internationale Unterstützung von China, Russland, Iran und der Türkei rechnen. Sie sehen in Venezuela wirtschaftliche Chancen (etwa die russischen Ölkonzerne und Waffenexporteure) und ein geopolitisches Pfund, mit dem sie auf die USA und US-Alliierte wie Kolumbien Druck ausüben können. Das US-Zentrum für Strategische und Internationale Studien (CSIS) vergleicht das Land daher mit einem Druckkessel unter Dampf: „Ohne Aussicht auf eine politische Lösung und mit eher schrillen, rhetorischen Warnungen statt Taten der internationalen Gemeinschaft rutscht das Land immer weiter in Gewalt und Chaos“, heißt es in einer Studie von Evan Ellis. Das dürfte vor allem für die Nachbarländer dramatische Folgen haben. Mit bis zu fünf Millionen weiteren Flüchtlingen ist dem CSIS nach zu rechnen.

Autorin: Sandra Weiss

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