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Nicaragua |

"Sie wissen nicht, dass sie sich wehren dürfen"

Sie wurden missbraucht - und wenn sie um Hilfe bitten, stoßen sie häufig auf Ablehnung und Ignoranz. Mädchen in Nicaragua sind besonders oft sexueller Gewalt ausgesetzt. Im Interview mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) berichtet Amnesty International-Aktivistin Gunda Opfer zum Weltfrauentag über ein Tabuthema in Nicaragua.

KNA: Frau Opfer, die Amnesty-Daten zu sexueller Gewalt in Nicaragua sind erschreckend. Warum trifft es gerade minderjährige Mädchen so stark?

Opfer: Das Thema Sexualität ist in Nicaragua ein Tabu. Deshalb werden Kinder auch nicht über die Gefahren sexueller Gewalt aufgeklärt. Mädchen wissen nicht, dass sie sich wehren dürfen, dass sie ein Recht auf körperliche und seelische Unversehrtheit haben. Die Täter drohen den Kindern und schüchtern sie ein. Je jünger das Opfer ist, desto eher kann der Täter damit rechnen, dass er nicht angezeigt wird.

Haben Sie Zahlen?

Zwischen 1998 und 2008 wurden in Nicaragua offiziell 9.700 Vergewaltigungen registriert. Die Dunkelziffer ist aber weitaus höher. Zwei Drittel der Mädchen waren jünger als 17 Jahre, in der Hälfte der Fälle sogar nicht einmal 15 Jahre alt.

Meistens ist der Täter kein Unbekannter.

Richtig. Eine Amnesty-Mitarbeiterin vor Ort schilderte mir folgenden Fall: Ein kleines Mädchen spielte mit ihrem Nintendo, als ihr Cousin sie nach Wasser fragte und in ein Zimmer lockte. Er zog er ihr die Kleider aus, sie versuchte zu fliehen. Er hielt ihr den Mund zu. Ihr Vater kam und fragte, ob er sie angefasst habe. Sie verneinte. Der Vater schlug sie - das Mädchen ist sieben Jahre alt. Missbrauch ist häufig, genauso wie das Schweigen, das ihn umgibt.

Selten kommt es nach sexuellen Übergriffen zur Anzeige, die Täter bleiben ungestraft. Warum?

Es fehlt nicht an Gesetzen. Familiäre Gewalt und Vergewaltigung sind strafbar. In Fällen sexueller Gewalt und sexuellen Missbrauchs tragen in der Gesellschaft des Landes allerdings die Opfer die alleinige Schuld. Sie werden stigmatisiert, wenn sie über das Erlebte sprechen, sie schämen sich. Die Polizisten glauben ihnen meist nicht. So fühlen sich die Opfer im Stich gelassen.

Viele junge Mädchen werden nach Vergewaltigungen schwanger, oft von Familienangehörigen. Manche Menschenrechtsorganisationen fordern deshalb eine Lockerung des strikten Abtreibungsverbots.

Vor dem 2008 eingeführten strikten Verbot galten Ausnahmeregelungen. Eine Schwangerschaft konnte abgebrochen werden, wenn etwa das Leben und die Gesundheit der Mutter gefährdet waren - oder bei Schwangerschaften als Folge einer Vergewaltigung. Ärzte machen sich heute strafbar, wenn sie bei einer notwendigen medizinischen Behandlung dem Fötus unbeabsichtigt Schaden zufügen. Es gab zum Beispiel den Fall eines sehr jungen Mädchens, dessen Leben durch eine Schwangerschaft nach einer Vergewaltigung in hohem Maß bedroht war. Die Ärzte durften ihr nicht helfen.

Tabuisierte sexuelle Gewalttat scheint in Nicaragua ein tief in der Gesellschaft verankertes Problem zu sein. Wie steht es um die Stellung der Frau?

Die 1979 an die Macht gelangten Sandinisten hatten sich derzeit die Frauenrechte auf die Fahnen geschrieben. Zwei Jahre später ratifizierten sie eine Konvention gegen Diskriminierung. Seit dem Regierungswechsel 1990 hat sich die Situation von Frauen jedoch wieder erheblich verschlechtert. Viele sind arbeitslos und es gibt kaum Betreuungsmöglichkeiten für Kinder. Das Gesundheitswesen wurde größtenteils privatisiert, die zu Sandinisten-Zeiten eingeführten Programme zur Sexualerziehung sind weitgehend abgebrochen. Problematisch ist außerdem die stetig zunehmende Prostitution.

Gibt es Hilfen für die Opfer?

Der Oberste Gerichtshof hat zwar einen Leitfaden veröffentlicht, an den sich Polizei, Staatsanwaltschaft, Gerichtsmedizin und Justiz halten sollen. Aber es fehlt an finanziellen Mitteln, die Richtlinie umzusetzen. Die Nichtregierungsorganisationen übernehmen die Aufgabe, jungen Opfern sexueller Gewalt psychologische und andere Hilfe bereitzustellen, damit sie nach einer Vergewaltigung ihr Leben wieder neu gestalten können. Es existieren nur wenige Frauenhäuser, die oft weit entfernt liegen. Finanzielle Zuschüsse vom Staat für solche Einrichtungen gibt es keine.

Die Fragen stellte Julia Grimminger (KNA).

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